Es muss sich gerade ziemlich gut anfühlen, Jack Garratt zu sein

Anders als alles andere, aber dann doch auch ein bisschen wie alle anderen: das spritzige Debüt eines Newcomers, der eigentlich keiner ist.

Scheinbar mühelos singt sich Jack locker-flockig durch ein buntes Potpourri von energiegeladenem Gute-Laune-Pop, mit teils inflationärem Piano-Pathos und euphorischen Hände-in-die-Luft Momenten im fliegenden Wechsel. Jack Garratt ist ganz klar nicht nur groß genug für jede Konzerthalle, spätestens beim zweiten Song »Breathe Life« steht auch fest dass er auf seinem Erstlingswerk nichts dem Zufall überlässt: ganz bewusst werden auf »Phase« einzelne Songs zu Hits inszeniert, mit eingängigen Melodien, mehr oder weniger austauschbaren Texten und Spannungsaufbau hin zum Refrain in klassischer EDM-Manier – knapp zwei Millionen Views auf YouTube seit der Veröffentlichung Ende 2015 sprechen eine klare Sprache. Dennoch scheut sich Garratt nicht, auch Kanten und Ecken zu zeigen, und so herrscht beispielsweise auf »The Love You’re Given« (neben »Worry« und »Weathered« einer der stärksten Songs am Album) nach vier Minuten grooviger R’n’B-Schunkelei plötzlich völlig überraschenderweise brachial-euphorische Abrissstimmung.

Sound Of 2016

Weil Genres bekanntlich eher 2000 sind klingt »Phase« dabei natürlich anders als alles andere, aber dann doch auch ein bisschen nach allem anderen. Ein Album voller musikalischer Referenzen und Anlehnungen an eine Vielzahl von Genres, vor allem moderner elektronischer Tanzmusik in allen Facetten: UK-Garage Beats und wobblige Dubstep-Gedächtnis-Basslines, Elemente von Breakbeat und House, R’n’B und Hip Hop sowieso. Und auch wenn Garratt sagt, »Blunderbuss« von Jack White und »Channel Orange« von Frank Ocean wären die primären Inspirationsquellen für sein Debüt gewesen, drängen sich Vergleiche zu James Blake und Ben Khan, Son Lux und Flume immer wieder auf, hier und da vielleicht auch ein bisschen Bon Iver.

Die eigene musikalische Vergangenheit ist auf »Phase« natürlich ebenfalls nicht zu überhören: mit bluesigen Klavierakkorden auf »Far Cry« und klassischer Singer-Songwriter-Gitarrenromantik bei »Weathered« finden sich am Debütalbum noch vereinzelt Relikte aus der Prä-Vollbart-Ära des Protagonisten. Und irgendwie macht das alles auch richtig Spaß, obwohl es manchmal ein bisschen chaotisch und überladen wirkt. Überhaupt ist »Phase« kein wirklich kohärentes Album, die Cuts zwischen den einzelnen Songs kommen oft sehr hart und unerwartet, brechen somit leider immer wieder den Fluss – ein Album ist eben doch mehr als die Summe seiner Teile, keine bloße Aneinanderreihung von einzelnen Songs, mögen sie auch noch so großartig sein.

Der Kitt, der viele dieser Fugen ausfüllt und das Gebilde dann doch irgendwie zusammenhält, ist Jack Garratts eindringliches R’n’B-Falsetto, mal beklemmend und zerbrechlich, mal kraftvoll und energisch – und spätestens bei »My House Is Your Home« am Ende des Albums, einer sehr stimmigen Klavierballade, die völlig ohne elektronischen Schnickschnack auskommt, ist die Welt dann doch wieder in Ordnung.

Das nächste große Ding?

Jack Garratt erfindet auf »Phase« definitiv das Rad nicht neu, aber wozu auch? Zwischen Akustikgitarren und urbanen Beats (quasi die Schnittmenge von Ed Sheeran und Pharrell Williams, jetzt ist es raus) liefert er ein ebenso zeitgemäßes wie kurzweiliges Debütalbum, bunt und erfrischend, ohne Längen und Füller, konstant solide mit Ausreißern nach oben. Das Timing könnte besser nicht sein, sowohl Künstler als auch Label haben exzellente Vorarbeit geleistet, schiefgehen kann jetzt eigentlich nichts mehr – es muss sich gerade ziemlich gut anfühlen, Jack Garratt zu sein, proklamiert selbstsicher der Pressetext zum Album. Das nächste große Ding? Ja, ziemlich sicher.

»Phase« von Jack Garratt wird am 19. Februar via Island / Universal veröffentlicht.

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