Ja, Panik sind jetzt zu dritt. Ihr zweites Debüt geht nach einem Abstecher über Madagaskar an die Eingeweide einer anderen, besseren Welt, die zwar eben nicht möglich ist, nun aber süß und verlockend klingt.
»Macht euch nichts vor. Wir sind nicht die besseren, faireren Typen. Es wird Business gemacht.« Andreas Spechtl
Stefan Niederwieser: Ist »Libertatia« eure größte Veränderung bisher?
Andreas Spechtl: Ich denke ja. Für mich ist es ein zweites erstes Album. Natürlich aufgrund der personellen Veränderungen, aber auch musikalisch, von der Haltung. Ich sehe es als unsere wichtigste Platte nach dem Debüt.
Das sagen Oasis auch immer über ihr aktuellstes Album.
Stefan Pabst: Zu Recht.
A: Ich hätte das bei der letzten Platte vermutlich nicht gesagt. Wir haben »Libertatia« ganz anders – nicht mehr live – aufgenommen, mit anderen Leuten. Jeder von uns hat mehr gespielt, Gitarren, Keyboards … Wir haben ja zwei neue Musiker, wollten aber diese Platte gezielt zu dritt mit einem gewissen Selbstbewusstsein machen, als Band unter neuen Vorzeichen. Die wichtigste Platte war etwas daher gesagt, aber die schwierigste war es auf jeden Fall, die mit der größten Veränderung. Es ist die am wenigsten schwärzeste Ja, Panik-Platte, für unsere Verhältnisse eine fast optimistische Platte, aus einem kritischen Standpunkt heraus.
S: Viele Mechanismen waren zu dritt nicht mehr möglich.
2009 meintest du, Andreas, in einem Interview noch nach langen Sätzen über Surrealisten, Plagiate, Collagen und Authentizität: "Umso überraschender ist für mich auf musikalischer Ebene, wie traditionell und altmodisch unsere Platte doch letztlich klingt.” Wie altmodisch klingt “Liberatatia”?
A: Die Arbeitsweise war eine relativ moderne. Wir haben die Platte mehr produziert als komponiert. Wir denken eher drüber nach wie wir das machen als was da rauskommt.
Waren eure Texte immer schon so allgemein, fast universell formuliert, so frei geräumt von Referenzen oder sind die nur schwerer zu erkennen?
A: Ich finde, dass dieses Mal einige der klarsten Texte drauf sind, die wir je geschrieben haben, dass sie sich auch einfacher erschließen. Und es gibt genügend Referenzen; aber wenn letztes Mal mehr Bücher und Filme vorkamen, hab ich diesmal vielleicht mehr Zeitung gelesen. Ich fand es wichtig, aus diesem Turm herauszukommen. Es ging um Verständlichkeit; und auch um Schönheit. Es sind ja Songtexte, ich verstehe das schon als Poesie, das ging immer etwas unter.
Habt ihr »The Beach« gesehen? Ich erkenne da manche Themen wieder, am anderen Ende der Welt das Paradies suchen, ein alternatives System aufbauen, das dann, zumindest im Film, kippt.
Ja, das ist nur zu lange her. Aber Libertatia, das gibt es, zumindest die Legende von Daniel Dafoe. In einer Enzyklopädie aller Piraten, Schiffe dieser Zeit kommt dieser Ort auch vor. Obwohl im 17. Jahrhundert von französischer Revolution noch keine Rede war, hatte man dort gewisse Forderungen schon eingelöst. Da wurde die Sklaverei abgeschafft, es gab Religionsfreiheit, Frauenrechte … Es war der Schrecken der Europäer, lag eigentlich an der Küste Madagaskars. Selbst wenn es nur erfunden ist, das gab es da. Es ist ein ungoogelbarer Begriff, der ein Wink in der Vergangenheit sein soll und in die Zukunft weist.
Ihr greift diesen Begriff an mindestens drei Stellen am Album auf. Wie ist das nun mit Ja, Panik und dem gesellschaftlichen Ganzen?
Es geht auch darum, einen alten Begriff aufzufüllen. Wir benützen das für uns. Es hat natürlich mit Gemeinschaften zu tun und auch mit uns: Jenseits von irgendwelchen politischen Repräsentationen, die eh schon über den Berg sind, gibt es Verknüpfungen von Menschen. Wir brauchen uns aber nicht vormachen, dass wir an einem abgekapselten Ort das bessere Leben führen können. Es geht nicht um eine Enklave, nicht einmal um eine Heterotopie, davon halte ich nichts. Ich glaube nicht, dass man in einem abgesteckten Raum irgendetwas Utopisches schaffen kann. Das ist im Endeffekt eine Antihaltung gegenüber jeder Subsistenzwirtschaft und gegen alle Bioprodukte. Das gibt es nicht. Auf jedem zweiten Plakat liest man: Eine andere Welt ist möglich. Nein, fuck it. Es gibt da diese hier. Und wenn’s nicht jetzt passiert … Wir haben uns diesen Begriff »Libertatia« aus der Vergangenheit geborgt. Wir füllen das jetzt mit unserem Ding.
Seht ihr euch dann eher als Flaneure, die stattdessen halb drin, halb draußen sind?
Dieses Flanieren finde ich schwierig. Man könnte das heute aufs Digitale übertragen, wenn ich mich etwa durch Facebook klicke. Das Internet ist eine seltsame Einlösung dieses Gedankens.
Wann macht ihr mal wieder eine Platte ohne Manifest?
Die letzte war ohne Manifest.
Der letzte Song war eigentlich ein Manifest.
(Mit einem Hauch Sarkasmus) Genau, ja, ja, das ist richtig. Für uns war der Gedanke eher: Hey, wir machen wieder einmal ein Manifest. Wird doch Zeit dafür.
In eurem Manifest steht, dass eine andere Welt nicht möglich ist. Ist denn Musik und Kunst nicht die Vorbedingung für ein anderes Bewusstsein, das dabei hilft, die Welt zu verändern?
Ja, natürlich, es hat im besten Fall etwas in die Zukunft schauendes. Nein, natürlich kann Musik die Welt nicht ändern. Aber einerseits gibt es eine Kommentarfunktion und andrerseits kann man die lange Tradition von Protest-, Arbeiter-, Sklaven- und Partisanenliedern auch nicht leugnen. Musiker so abzutun, was glaubt ihr denn, da würde es Blues und Gospel nicht geben. Im weitesten Sinne sehe ich Musik machen und Texte schreiben in dieser Tradition.
Was genau ist diese Große Independent-Halluzination, von der ihr im selben Atemzug sprecht?
Es geht um unser Geschäft, um Musik, wer im Endeffekt eh wieder die Finger drin stecken hat. Aber auch um den Alltag, um städtische Enklaven. Alles schön und gut, aber macht euch nichts vor. Wir sind nicht die besseren, faireren Typen. Es wird Business gemacht.
Ihr formuliert andererseits fast positive Parolen, als wäre die Krise schon fast hinter uns, singt im Titelstück fast provokativ »One World, One Love«, dann wieder von den 20er Jahren als Falle, die bekanntermaßen in einer großen Katastrophe geendet haben. Lasst ihr das absichtlich offen?
Mit den Golden Twenties meine ich, dass Leute in unserer Umgebung langsam 30 werden. Auch da passieren gewisse Katastrophen. Aber eigentlich geht es um das Alter. Und andrerseits wollen wir wieder Forderungen in den Mund nehmen. Wir sagen nie es ist so. Das Titelstück ist in gewisser Weise ein hymnisches Gospelstück, eine Einladung, der Versuch, eine Hymne zu schreiben, die nicht blind verbrüdert oder verschwestert. Es ist auch ein Stück gegen Grenzen und den Nationenwahnsinn. Und im zweiten Stück »Dance The ECB« geht es dezidiert darum, dass die Krise eben nicht vorbei ist. Das wäre gefährlich zu behaupten. Wenn, dann fängt das auf unserer Seite erst an, interessant zu werden. Es geht da um Staatsfinanzen, um die Europäische Zentralbank, auf eine relativ leichte Weise.