Explosionen ohne Eier

Glaubt man den Besucherzahlen, sind alte Leute ziemlich interessant. Die Verfilmung des schwedischen Bestsellers "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" lockt mit Situationskomik und Skurilität und belegt damit gerade Platz Zwei der meistbesuchten Filme Österreichs.

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Ein Seniorenheim ist ein trostloser Ort. Alle tragen die gleichen beschrifteten Birkenstock-Hausschuhe; Marzipan oder türkischer Honig sind tabu. Selbst ein Geburtstag ist da keine Ausnahme und so macht der Protagonist Allan Karlsson sehr bald das, was einem der überlange Filmtitel verspricht: Er steigt aus dem Fenster und schlurft im Bademantel zum Bahnhof. Zurück lässt er verzweifelte Pflegerinnen und einen Schokokuchen mit 100 Kerzen.

Wettlauf mit der Zeit

In 35 Sprachen übersetzt und dann 31 Wochen auf der Platz Eins der Spiegel-Bestsellerliste: Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Debütroman des schwedischen Journalisten und Autors Jonas Jonasson, für die Leinwand adaptiert wird. Regisseur Felix Herngren stand nun vor der großen Herausforderung, mit dem Vorwissen behaftete Leser nicht zu langweilen und Neueinsteiger nicht allzu verwirren. Beides gelingt: Das Drehbuch folgt mit einigen wenigen Kürzungen strikt dem Original-Plot, die Szenen lockern die Komplexität mit starkem Bildmaterial und bodenständiger Situationskomik auf.

In knapp drei Stunden ist Zeit für die Gegenwartsebene und einen parallelen Rückblick auf das Leben des Protagonisten. Das ist vielleicht der einzige Schönheitsfehler des Films: Beide Handlungsstränge schließen zwar logisch aneinander an, der zusätzliche zeitgeschichtliche Exkurs ist für den ohnehin schon kompakten Plot einer Krimikomödie dann doch zu viel des Guten. Drei eigenständige Geschichten auf einmal zu erzählen funktioniert vielleicht im Buchformat, im Kino wirkt es wie ein Wettlauf mit der Zeit. Das gesamte 20. Jahrhundert zieht einfach mal so vorbei. Da passiert es schnell, dass man eine Szene gerne länger gesehen hätte.

Skrupellose Greise

Dem Greis Allan, der eines Tages aus Langweile aus einem Altersheim im schwedischen Kaff „Malmköping“ entflohenen war, gerät am Bahnhof ein Koffer mit 50 Millionen Kronen in die Hände. Nichts ahnend wird er in eine Kriminalgeschichte verwickelt. Während er vor den wahren Besitzern, einer kriminellen Drogenbande auf der Flucht ist, lernt er den 70-jährigen Gelegenheitsdieb und neurotischen Langzeitstudenten Julius Jonsson und die mit einer Elefantendame einsam auf einem Hof lebende Gunilla Björklund kennen. Die vier bilden ein chaotisches und skurriles Grüppchen, schaffen es schlussendlich aber gemeinsam mit dem Geld nach Bali durchzubrennen.

Im Hauptstrang der Geschichte erstaunt einem immer wieder das skrupellose Vorgehen der Gruppe: Da werden Gegner in den Kühlraum gesperrt und bei Minus 20 Grad "zufällig" vergessen. Da erdrückt ein Elefantenhintern einen Mafia-Boss und da werden mit Vorliebe Artefakte in die Luft gejagt.

Die Liebe zur Explosion

Erst im langatmig erzählten, zweiten Hauptstrang wird klar: Allan Karlsson ist der prototypische Anti-Held: Ein Mitläufer, Opportunist und auf verkehrte, naive Art trotzdem ein Genie. Insgesamt alles Eigenschaften, die einem in einem Machtgefüge schnell zum Spielzeug werden lassen. Nachdem Allan im zarten Alter von zehn einen lokalen Industriellen bei einem seiner Dynamit-Experimente in die Luft sprengt, wird er als "sozial gefährlich" eingestuft und deswegen zwangssterilisiert. In der harschen Sprache des Films ausgedrückt: "Die Eier sind weg, die Liebe zur Explosion bleibt."

In einer Reihe von Zufällen wird der Schwede in alle wichtigen Ereignisse des 20. Jahrhunderts verwickelt; man muss an Forrest Gump denken. Allan rettet General Franco im spanischen Bürgerkrieg das Leben, flieht mit Winston Churchill nach London und wird in ein Gulag verwiesen, nachdem er den Zorn Stalins auf sich zieht. Dass er als Doppelagent viel Schaden anrichtet und permanenter Gefahr ausgesetzt ist, scheint ihn nicht zu stören, solange ein Shot Wodka und eine Stange Dynamit in seiner Nähe sind. Die unbeschwerte und optimistische Art, mit der er durchs Leben geht – sei es als Zehnjähriger am Krankenbett seiner Mutter, oder neunzig Jahre später auf der Flucht vor der Krankenschwester – wird zum Leitmotiv der Komödie.

"Der Hundertjährige…" lebt von seinen überspitzten Charakteren, einem makaberen, aber süßlichen Nachgeschmack und einer köstlichen Situationskomik. Der Film vertieft Historisches, könnte an allen Ecken und Enden moralisieren, will aber lieber unterhalten. Er kommuniziert ganz hervorragend, dass man nie zu alt ist, die Birkenstockpantoffeln hinzuschmeißen und sich eine ordentliche Portion Marzipantorte reinzuhauen.

Der Film "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" ist bereits in den österreichischen Kinos angelaufen.

Die Autorin auf Twitter: i>@franziska_tsch

Bild(er) © Filmladen
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