Man müsste aus guten Ideen mehr machen. Eine kurze Geschichte von vergebenen Chancen, 3.000 Waldviertlern und 600 Millionen Weltbürgern.
Vergangenen Herbst in Weitra, der ältesten Braustadt Österreichs: Vertreter von Land, Künstler- und Hochschülerschaft, Medien und Arbeitsmarktservice erörtern im geschichtsträchtigen Rahmen der „Waldviertel Akademie“ Lage und Perspektiven der Jugend. Vorzeigejugendliche kammermusizieren, Landjugendliche geben ein leuchtendes Beispiel ab für ehrenamtliches Engagement. Die Waldviertler Denkwerkstatt versucht ihn redlich, den Spagat zwischen lokaler Akzeptanz und überregionalem Input. Doch man bleibt bescheiden, schlussfolgert in vorgedachten Rastern.
EPOS4 zum Beispiel. Ein paar Jugendliche haben sich ein funktionierendes Online-Netzwerk gestrickt! Eine virtuelle Community geschaffen! Eine Vernetzungsplattform aus dem Waldviertel! Es ist zwar nicht klar, ob alle, die hier jetzt im Rathaus zu Weitra applaudieren, auch wirklich wissen, wovon genau da gesprochen wird. Doch dafür wird die Freude umso lauter, der Stolz umso erhebender, als erwähnt wird, dass EPOS4 schon lange vor Facebook funktioniert hat. Ist ja auch wirklich beachtlich. Nicht wenige Großkonzerne haben Millionen verbrannt beim Versuch, so was authentisch hinzukriegen. Und fast alle sind daran gescheitert, eine Community aufzubauen. Würdig und recht also, dass EPOS4 hier voll Stolz präsentiert wird.
Doch dass sich dieses Best-Practice-Beispiel auch als Geschichte eines strukturellen Versagens erzählen ließe, kommt keinem in den Sinn. Niemand stellt konsequent die unangenehme Frage: Wenn EPOS4 Jahre vor Facebook funktioniert hat, warum tummeln sich dort heute bloß 3.000 Waldviertler und nicht jene knapp 600 Millionen Menschen, die sich auf Facebook austauschen?
Theoretisch hätte nichts dagegen gesprochen, dass es ein Niederösterreicher an Stelle von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg als „Mann des Jahres” aufs Cover des Time Magazine schafft. Praktisch dann aber doch so einiges: zuallererst die Mentalität, der fehlende Unternehmergeist und die Selbstbeschränkung, die nicht bloß im Waldviertel, sondern in ganz Österreich vorherrschen.
Denn EPOS4 ist kein hehres unkommerzielles Sozialprojekt, sondern tatsächlich eine Medienplattform, die sich im Wesentlichen über Parties und Gelage unterschiedlichen kulturellen Gehalts am Leben erhält. Schon auch okay, man begnügt sich halt mit der Welt im Kleinen.
Dagegen gesprochen hätte auch, dass Innovation in Österreichs größtem Bundesland nicht genügend gefördert wird, wenn es sich um Ideen handelt, die sich nicht einfach den althergebrachten Branchen und Industrien zuordnen lassen. Niederösterreich fördert Wirtschaft, keine Frage. Man hat gelernt, kulturelle Institutionen – vom Museum über Theater bis zu hochkarätigen Nischenfestivals – höchst erfolgreich zu managen. Es gibt ein Bekenntnis zu großer kultureller Vielfalt und genügend Geld auch für kritische Gegenkultur, die im unmittelbaren Umfeld nicht bloß auf Zustimmung stößt. Man kann, muss und will es sich leisten. Auch Aktivitäten von EPOS4 wurden bereits aus Mitteln der Jugendkulturförderung (über deren Vergabe der Kolumnist mit entscheidet, Anmerkung) unterstützt. Aber eben nur solche, die ausdrücklich nicht kommerzielle Absichten hegten. Andernfalls wäre eine Förderung rechtens nämlich gar nicht möglich gewesen. Genau das aber ist Teil des Problems.
Es gibt keine strukturelle Wahrnehmung der Zwischenwelt, des Spannungsfelds zwischen Kultur und Wirtschaft. Niederösterreich ist das einzige Bundesland, das zwar über einen nennenswerten Anteil an Kreativen verfügt, allerdings über keinen erkennbaren Masterplan, was eine Förderung der Creative Industries betrifft.
Genau in diese schwammige Kategorie fällt nämlich EPOS4 als technologische Plattform zur Vernetzung von Jugendlichen. Die Macher dahinter denken wirtschaftlich, bauen aber auf Pop- und definieren sich über Jugendkultur. Manchmal mit Betonung auf Kultur, immer aber ohne Angst vor Kommerz.
Gerade hier tut sich, auch im Waldviertel, ein dynamischer Raum für Innovation auf, können Geschäftsideen blühen: wo gut ausgebildete, technisch versierte junge Menschen mit genügend Zeit sich an den nicht-kanonisierten kulturellen Ausprägungen der Gegenwart abarbeiten. Oder schlicht die Probleme des eigenen Alltags lösen. Im Anfang von EPOS4 stand nichts als die banale Frage: Wie vernetze und verabrede ich mich mit Gleichaltrigen? Alles Weitere basiert auf ein, zwei guten Ideen und viel Tatkraft. Von beidem gibt es in Niederösterreich reichlich. Doch wäre EPOS4 in Wien passiert, jede Wette, dass die dortige Förderagentur Departure irgendwann aktiv auf die Gründer zugegangen wäre. Und in der Steiermark hätte sich Creative Industries Styria (CIS) des Projekts angenommen. Froh zu sein, dass man eh früher dran gewesen wäre, ist ganz genau die falsche Bescheidenheit. In Weitra wie im Rest der Welt.
Der Text ist bereits in "KunstSTOFF – die Zeitschrift der Kulturvernetzung NÖ" erschienen.