Österreich empört sich über Faymanns falsche Facebook-Freunde. Dabei sitzt das Problem viel tiefer: Das Medienverständnis der SPÖ baut auf falsche Freundschaft. Im richtig großen Stil.
Die Aufregung war groß, die Geschichte gut beobachtet und recherchiert. Das Magazin Datum konnte Screenshot für Screenshot belegen, dass der Bundeskanzler auf seiner Facebook-Seite von Fans angepriesen wird, die sich keinen realen Personen zuordnen lassen. Dass das Profilfoto von Faymann-Fan Hannes W. von der Bildagentur iStockfoto jenen zum Verkauf angeboten wird, die nach »American Teens« suchen. Der Verdacht, es könnte sich bei manch überschwenglichem Faymann-Befürworter um Fake-Accounts zur Propaganda handeln, drängt sich auf.
Ob diese mutmaßlichen Marionetten-Accounts nun von der Konkurrenz eingeschleust wurden (wie die Kanzlerpartei argumentiert) oder von der SPÖ selbst ins Spiel gebracht, ist zwar eine spannende Frage, wird sich aber nur schwer ermitteln lassen. Überrascht haben werden solch falsche Freunde ohnehin nur gänzlich unerfahrene Zeitgenossen. Denn die Arbeit mit anonymen Profilen ist gerade in den sozialen Netzwerken gang und gäbe. Aufmerksame Beobachter wissen, dass es im Umfeld von politischen Parteien virtuelle Akteure gibt, deren Hintergrund zumindest hinterfragenswert wäre. Sie beobachten und frohlocken, provozieren und unterhalten. Manche ganz offensichtlich gesteuerten »Kampf-Poster« im Forum von DerStandard.at etwa haben ein Eigenleben entwickelt, lange bevor es im Web 2.0 möglich war, virtuellem Leben Charakter zu verleihen. Über derlei Aktivitäten im Umfeld der politischen Parteien wurden an den Publizistikinstituten hoffentlich bereits vor Jahren Diplomarbeiten verfasst.
Real existierender Socialismus
Stimmt schon: Selten waren Fake-Freunde derart leb- und lieblos wie im Falle von Hannes W., Renate K. oder Hannah S. Mancher mag sich auch daran ergötzen, wenn Werner Faymann durchs digitale Dorf geprügelt wird wie ein Ochs am Nasenring. Ein staatstragender Gestus ist wahrlich etwas anderes – und als solcher war der Web 2.0-Auftritt am Nationalfeiertag wohl gedacht: Der Bundespräsident richtet sich in einer Rede an die Nation, der Kanzler macht auf Facebook und Twitter auf volksnah. Das ist peinlich, doch derlei wird sich einspielen. Und darüber hinaus ist die Aufregung über den real existierenden Socialismus übertrieben.
Nichts Neues ist auch, dass Leserbriefe nicht ausschließlich von Lesern verfasst werden. Ich selbst wurde früher von meinem Vorgesetzten in einem großen Verlagshaus öfter einmal dazu angehalten, den einen oder anderen Leserbrief zu verfassen. Es gab nicht genug, und die Seite musste gefüllt werden. Das kommt in den besten Medien vor! Mir selbst hat das damals vor allem Spaß bereitet, und ich habe dieses Forum manchmal für subtile Kritik an Kollegen genützt, die sich ihre Sache in der Vorwoche vielleicht doch ein wenig zu leicht gemacht hatten.
Die Wende 2.0?
Und sollte es stimmen, was nun ein U-Bahn-Blatt »aufgedeckt« hat – dass die SPÖ selbst von falschen Mailadressen aus Leserbriefe an die Redaktion verschickt hat: Würde das wirklich jemanden wundern? Ungeschickt bloß, wenn sich die Parteisoldaten dabei erwischen lassen. Wirklich wunderbar ist allerdings, dass ausgerechnet ein Blatt wie Heute, dem besondere Nähe zur Wiener Stadtregierung und der Sozialdemokratie nachgesagt wird, derlei publik macht. Schon klar: Das ist eine Flucht nach vorne. Es könnte aber auch einen Wendepunkt im Kommunikationsgebaren der politischen Parteien in diesem Lande bedeuten. Bislang beschränkt sich dieses nämlich vor allem darauf, dass die jeweils Regierenden sich durch überaus großzügige Anzeigengeschenke ein ruhiges, willfähriges oder jedenfalls wohlwollendes redaktionelles Umfeld erkaufen. Dieser Deal mag vielleicht nur in den seltensten Fällen explizit ausgesprochen werden, aber er ist »part of the game«.
Dass man es auch hier mit »falschen Freunden« zu tun hat, zeigt eben das Vorpreschen von Heute. Denn wer eine Partei oder einen Politiker nicht aus Überzeugung unterstützt (auch das soll bei Medien vorkommen), der wird sich für Besserbietende genauso prostituieren. In Österreich nennt man das dann: Unabhängigkeit.
Vielleicht ist es genauso naiv zu glauben, dass sich all das wirklich ändern ließe. Doch was, wenn nicht der Medienwandel und die offensichtliche Unbeholfenheit des Polit-Establishments im Web 2.0, bietet diese Chance? Derzeit verlässt sich die SPÖ auf Rezepte aus den 90er Jahren. Wolfgang F. ist da vielleicht der einzig »echte« Freund. Dieses Denken allerdings schadet allen. Am allermeisten jenen SPÖ-Politikern, die wirklich etwas zu sagen hätten oder für etwas stehen. Ja, auch die gibt es. Von selbst kommen diese oft nicht einmal mehr auf den Gedanken, dass ihr Tun und Schaffen wirklich Medien und Menschen da draußen interessieren könnte. Auch wenn nicht für Berichterstattung inseriert wird.
Herr Faymann, Facebook ermöglicht es Ihnen, mit den Menschen in Ihrem Leben in Verbindung zu treten und Inhalte mit diesen zu teilen. Ein Freund mit etwas Erfahrung im Internet hätte Ihnen das in zwei, drei Stunden näherbringen können.
Thomas Weber, weber@thegap.at
Herausgeber
@th_weber