So wichtig der kulturelle Beitrag auch ist, den Festivals für die Gesellschaft leisten: Die krisenbedingte Abwanderung der großen Sponsoren gefährdet diesen seit einiger Zeit.
Eva Fischer, sound:frame Festival
"Krise kann einen erden" Man traut es sich angesichts der prekären Realität beinahe nicht zu sagen, aber die Krise kann auch Chancen mit sich bringen. Zumindest hat sie uns dazu gebracht, 2012 mit dem Thema "Substructions" einen für uns wichtigen Schritt zu gehen. Nach Jahren der Wagnisse haben wir uns "gesund geschrumpft", unsere Ziele den Rahmenbedingungen noch konkreter angepasst, jeden Euro drei Mal umgedreht. Die Krise kann einen erden. Wir haben die Essenz von sound:frame aus einem größeren Ganzen herausgeschält und uns Fragen gestellt wie: Braucht es fünf Flyer oder genügt auch einer? Muss ich wirklich überbezahlte Headliner ins Programm buchen oder freut sich unser Publikum auch über tolle Newcomer? Wo liegen unsere Prioritäten? Was wollen wir inhaltlich erreichen? Der wichtigste Punkt ist wahrscheinlich, dass es zu jeder Zeit Menschen und Institutionen gab, die uns unterstützt haben – vor allem auch ohne Geld, durch ehrenamtliche Arbeit, Kooperationen und Warensponsoring. Das ist unser Sicherheitsnetz, unsere Community, ohne die es nicht funktionieren würde. So schön dieses "Kollektive" auch ist, so schnell bringt mich die Realität gerade an diesem Punkt immer wieder zu dem Schluss: Hör auf mit dem Festival und such dir endlich einen "richtigen" Job! Doch dann denke ich an unser tolles Team und an den Enthusiasmus; daran, wie spannend es ist, einmal im Jahr so viele großartige Künstler zusammenzubringen. Und vor allem denke ich an unsere Crowd, die ebenfalls daran glaubt, und es toll findet, dass da etwas passiert in ihrer Stadt. Mag.ª Eva Fischer, 29, ist u.a. Kuratorin und künstlerische Leiterin des sound:frame Festivals und Lehrbeauftragte für »Audiovisuelle Medien« an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien.
Paul Gessl, Musikfestival Grafenegg (© Franz Baldauf)
"Starker politischer Wille notwendig" Festivals und Krisen existieren beide seit Langem mit- und nebeneinander. Deshalb stellt sich für mich die Frage nicht, ob es Festivals trotz Krisenstimmung geben kann. Es gab sie, es gibt sie und es wird sie auch weiterhin zur gleichen Zeit und im gleichen Raum geben. Fest steht, dass man in Österreich keinen Kulturbetrieb allein aus Drittmittel durch Sponsoren und Förderer etablieren und positionieren kann. Dafür waren und sind ein starker politischer Wille und die Unterstützung durch die öffentliche Hand notwendig. Kunst und Kultur müssen ihren Platz in der Gesellschaft haben, sie werden für die Gesellschaft, für Menschen gemacht. Sei es als Regulativ, als Bildungseinrichtung, als reine Unterhaltung oder um Prozesse in Gang zu bringen. Das Musikfestival Grafenegg ist weder elitär noch exklusiv, wir versuchen musikalische Hochkultur der Gesellschaft möglichst barrierefrei zugänglich zu machen. Diese Offenheit schätzen auch unsere Partner aus der Wirtschaft. In dieser Haltung finden sie sich wieder und gehen auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit uns in die Zukunft. Ohne Sponsoren und Förderer wäre der Gestaltungsspielraum wesentlich kleiner. Unsere sieben Hauptsponsoren sowie der Freundesverein des Musikfestivals Grafenegg bieten uns zusätzlichen wirtschaftlichen Nährboden, eine wirtschaftliche Freiheit, aus der Neues und Außergewöhnliches entstehen kann. Unser Composer in Residence-Programm beispielsweise, das neben einer Auftragskomposition auch einen Workshop für Komponisten vorsieht, wäre ohne diese Drittmittel schwer möglich. Paul A. Gessl, 51, ist Geschäftsführer der Niederösterreichischen Kulturwirtschaft sowie Geschäftsführer des Musikfestival Grafenegg und des Tonkünstler-Orchesters in NÖ.
Barbara Pichler, Diagonale Filmfestival (© Ruth Ehrmann)
"Commitment der Kulturpolitik" Festivalkultur ist zumindest im Filmbereich etwas, wo man innerhalb weniger Tage nicht ausreichend Einnahmen generieren kann, um eine professionell geplante Veranstaltung abzudecken. Das ist nur möglich, wenn es weiterhin öffentliche Förderungen gibt, daran führt kein Weg vorbei. Die Diagonale ist dabei in vielerlei Hinsicht ein privilegiertes Beispiel, weil wir dank unserer vielen Partner und Sponsoren nicht nur von Förderungen abhängig sind. Trotzdem wäre es unmöglich, ein Festival dieser Größenordnung und mit diesem qualitativen Anspruch zu veranstalten, wenn es keine Leistungsbereitschaft vonseiten der Kulturpolitik gäbe. Wenn dieses Angebot, das dabei für Publikum wie auch für Filmschaffende entsteht, für die Kulturpolitik nicht relevant genug ist, dann hat man ein Problem: Dann werden die Veranstaltungen entweder der Reihe nach eingehen, weil es einfach unmöglich ist, ein Festival nur aus privaten Mitteln zu finanzieren, oder sie werden ihre qualitative Latte deutlich niedriger legen und weiterhin auch mit (Selbst-)Ausbeutung und absolut prekären Arbeitsverhältnissen leben müssen. Lösungsansätze gehen also immer Hand in Hand mit einem deutlichen Commitment, das von der Kulturpolitik kommen muss. In der Filmbranche fällt außerdem auf, wie wenig Festivals als Verbreitungsmaßnahme und vor allem als Diskursraum mitgedacht werden. Das heißt es geht im Grunde immer darum, zuallererst eine andere Form von Bewusstsein und Wertschätzung für diese Arbeit und ihre Bedeutung für eine aktive und kritische Filmkultur zu schaffen. Barbara Pichler, 44, ist Kuratorin, Publizistin und Filmvermittlerin. Seit 2009 leitet sie die Diagonale, das Festival des österreichischen Films.
Thomas Heher, Waves Vienna - Music Festival & Conference
"Unverwechselbarkeit erreichen" Wir haben 2011 sozusagen mitten in der Krise gestartet und hatten von Beginn an stark um Sponsoren zu kämpfen. Daher ist uns die Situation, dass wir nur von Jahr zu Jahr planen, vertraut. Neben dem Clubfestival gibt es auch den Konferenz-Teil, der sich in erster Linie an Leute aus der Musikbranche richtet und für den wir auch Unterstützung von öffentlicher Hand erhalten. Zusätzlich müssen wir einerseits Partner aus der Privatwirtschaft an Bord holen, andererseits wird der Konferenz-Teil durch das Clubfestival querfinanziert. Förderungen machen etwa 15% unseres Gesamtbudgets aus, den größten Fördergeber stellt die Stadt Wien. Der Bund stellt "traditionellerweise" keine Mittel zur Verfügung. Da kommt vermutlich wieder die absurde Unterscheidung zwischen U- und E-Musik zum Tragen; und wir Us ziehen den Kürzeren. Weitere 55% des Budgets decken Sponsoren ab, der Rest kommt aus dem Ticketverkauf. Für Sponsoren ist natürlich der Werbewert, den sie für das eingesetzte Budget erhalten, entscheidend. Je nach Unternehmen und deren Sponsoring-Planung trägt auch das Image des Festivals, und nicht zuletzt wer dahinter steht, zur Entscheidungsfindung bei. Es wird wohl in Zukunft noch wichtiger sein, eine Unverwechselbarkeit, einen fixen Platz in der Festivallandschaft und letztlich eine USP zu erreichen. Nur mit einem scharfen Profil und einer Vision, wo es mit dem Festival hingehen soll, können sich Sponsoren ein Bild machen, ob die Veranstaltung zu ihrer Kommunikationsstrategie passt und eine für beide Seiten fruchtbare Partnerschaft entstehen kann. Thomas Heher, 38, ist Festivalleiter des Waves Vienna – Music Festival & Conference. Über den Dachkonzern Super-Fi besteht eine lose Verbindung zwischen Waves Vienna und diesem Magazin.
Festivals haben weit mehr zu bieten als ein paar feierwütigen Hormonschleudern einen unvergesslichen Sommertrip ohne Aufsichtspersonen zu bescheren. Es gibt Festivals für jeden Geschmack: in Stadt-, Land- und Flussausführung, indoor wie outdoor, für Massen oder Familien, Pflichtveranstaltungen und Geheimtipps, für die künstlerische Elite oder den avantgardistischen Untergrund. Sie sind zugleich Anlass und Selbstzweck, vor allem aber Dreh- und Angelpunkt von gesellschaftlichem Diskurs. Ein Festival, das alles richtig macht, bietet Raum für Reflexion von Zeitgenössischem, denkt outside the box, provoziert, beschreitet neue Wege und stellt Weichen für die Zukunft.
Wo sonst kann man an derart gebündelten progressiven Gedankenexperimenten teilhaben? Kulturfestivals haben eine essentielle Funktion für die Gesellschaft. Eine Funktion, die zunehmend bedroht ist. Denn spätestens, wenn es um die Finanzierung geht, prallt diese tragende Rolle auf den harten Boden der Realität: Krisenstimmung & Co. machen auch vor Festivals nicht halt und haben in den letzten Jahren zu einem massiven Rückzug großer Sponsoren geführt. Wenn Banken jetzt Rücklagen bilden müssen und sich aus ihrer Kulturarbeit zurückziehen, dann sind das unmittelbare Auswirkungen der Krise. Festivaldirektoren werden zunehmend zu Fundraisern, statt inhaltlichen Steuermännern. Kunst- und Kulturbudgets haben häufig eine schlecht organisierte Lobby und fallen leichter als andere dem Rotstift zum Opfer – dabei tun gerade in Krisenzeiten Kürzungen im Kunst- und Kulturbereich nur vermeintlich am wenigsten weh.
Im internationalen Vergleich (etwa wenn man gen Süden blickt, wo drastische Budgetkürzungen an der Tagesordnung sind) befinden wir uns hierzulande zwar noch auf einer Insel der Seligen. Aber wie steht es um die Zukunft der österreichischen Festivallandschaft in diesem zunehmend rauen Klima? Was braucht ein Festival, damit es in Zeiten, in denen immer weniger private und öffentliche Gelder für Kultur zur Verfügung stehen, überlebt oder gar floriert? Welche Lösungsansätze gibt es? Und was bedeutet diese Entwicklung für unsere Gesellschaft und das kulturelle Leben vor Ort?