Früher musste man für Musik und Badewetter nach Spanien. Seit Briten plötzlich auch Osteuropa für avancierte Line-ups entdecken, liegen diese Feste für Leute aus Graz, Klagenfurt und Wien plötzlich in Autoreichweite. Die Leber ist willig, aber der Kopf ist schwach.
Alexander Knechtsberger, DocLX (© Alexander Knechtsberger)
Kroatien war die richtige Entscheidung Wir haben Istrien als Eventlocation bereits 2005 entdeckt. Die anfänglichen Unzulänglichkeiten im Bereich touristischer Qualität wurden von den Kroaten mit unserem Input rasch behoben. Unser Vorteil war, dass eine österreichische Investmentfirma die größte Hotelkette Kroatiens gekauft hatte und wir damit unter unterschiedlichen Venues wählen konnten. Weiters von Vorteil war der Umstand, dass sehr viele Kapazitäten im 2-Sterne-Bereich vorhanden waren und man daher relativ günstige Preise für die Event-Tourismusgäste anbieten konnte. Kroatien hat dann in den letzten Jahren v.a. durch englische Veranstalter den entscheidenden Drive erlebt und wird nicht zu Unrecht als das neue Ibiza bezeichnet. Das ist sicher auch den sehr offenen und liberalen Behörden und Gemeinden zu verdanken. Nachdem wir in Porec nun bereits zum 9. Mal das Spring Jam veranstaltet haben, ist uns heuer durch die Kooperation mit der Pratersauna mit dem elektronischen Festivalprodukt Lighthouse Festival ein perfektes Produkt gelungen, welches inhaltlich zu 100 Prozent den Pratersauna-Jungs zu verdanken ist. Ich sehe in Ost-und Südeuropa ein massives Potenzial im Bereich Festivals, weil die Kombination Vacation und Top Line-ups die Zielgruppe fasziniert. Lange genug ist man nur in pannonischen Gefilden im Gatsch herumgesessen und hat sich mit schlechtem Wetter ärgern müssen. Nein, im Ernst, ich glaube, dass jetzt, wo sogar amerikanische Veranstalter (Ultra) Kroatien als Venue entdeckt haben, sich die Festivals massiv vermehren werden und Ibiza bald neidisch auf Kroatien blicken wird. Ein großer Vorteil ist sicher auch, dass sich die Festivaltouristen mit den sehr musikaffinen Kroaten vermischen und dadurch ein noch größeres Potenzial besteht. Ich bin mir auf alle Fälle sicher, dass es die richtige Entscheidung war, in den Ausbau der Festivals in Istrien zu investieren. Alexander Knechtsberger ist Gründer und Geschäftsführer von DocLX, das u.a. X-Jam und Spring Jam veranstaltet.
Peter Smidt, Eurosonic Festival (© Peter Smidt)
»Rock-Herkunftsländer sind erst einmal ausgereizt« Während der Gedanke eines vereinten Europas im politischen Bereich schwere Zeiten durchlebt, wächst der europäische Musikmarkt jedes Jahr mehr und mehr zusammen. In allen Ländern des Kontinents nimmt die Zahl der Festivals zu, und durch Internet und die sozialen Netzwerke kann sich das Publikum die besten herauspicken. Das Marketing über Landesgrenzen hinaus wird deshalb immer wichtiger werden. Manche Festivals wie das Sziget in Ungarn haben damit sehr früh begonnen, Primavera Sound in Barcelona und das Exit in Serbien haben das sehr gut adaptiert. Beim Eurosonic präsentieren wir jährlich etwa 300 der besten europäischen Newcomer. Wir arbeiten dabei mit rund 100 Festivals und 25 Radiostationen zusammen, um die Bekanntheit der Künstler außerhalb ihrer Heimatländer zu steigern und ihnen Karrierechancen zu ermöglichen. Wir sehen nicht nur eine Steigerung in der Qualität der Acts, sondern auch der Festivals, insbesondere in Ost- und Mitteleuropa: Polish Woodstock, Pohoda, Positivus, um ein paar Namen zu nennen. Mit Unterstützung des Kulturprogramms der Europäischen Kommission steigern wir den Austausch der Festivals in der Region untereinander, kümmern uns aber auch um nachhaltige Verbindungen zu den Märkten in Westeuropa. Mit der wachsenden Anzahl an Festivals steigt auch die Nachfrage nach Headlinern. Die »klassischen« Herkunftsländer UK und USA stoßen mittlerweile an ihre Grenzen. Die nächsten Stars werden Österreicher, Kroaten, Holländer sein und unabhängig von ihren Heimatmärkten funktionieren. So wie das bereits mit Kraftwerk, Rammstein, Mano Negra oder – etwas aktueller – Daft Punk geschehen ist. Klangkarussell als Nummer Eins in den Niederlanden macht Hoffnung. Peter Smidt ist Creative Director beim Eurosonic Noorderslag und Manager Pop/Rock bei Buma Cultuur.
Georg Rosa, Österreich-Marketing Volt und Sziget (© Georg Rosa)
»Transeuropäischer Festivaltourismus ist Normalität« Immer mehr musikbegeisterte stimmen ihre Urlaubsplanung mit diversen Festivalterminen ab. Dass in diesen Plänen in den letzten Jahren vermehrt auch ost- und südeuropäische Festivals berücksichtigt werden, ist also nur ein logischer Schritt. Erstens lässt man sich lieber – beispielsweise im sonnigen Kroatien – von seinen musikalischen Heroen unterhalten, als im wettertechnisch doch etwas unsicheren Mitteleuropa. Zweitens gibt es kaum noch Acts, deren Tourrouting nicht in den Osten bzw. Süden unseres Kontinents führt. Somit kann man dort auch lineup-mäßig quer durch alle Musikstile goutieren. Das niedrige Preisniveau bzw. die etwas lockerer gehandhabten Vorschriften bei Sperrstunde, Lautstärke etc. steuern ihr Übriges zur Attraktivität bei. Trotzdem dürfte der Zenit bald erreicht sein. Immer mehr Veranstalter springen auf den – bereits mit ziemlichem Tempo dahinbrausenden – Festivalzug auf, immer mehr Großbühnen sprießen wie die sprichwörtlichen Schwammerln aus dem (oftmals schlammigen) Boden. Nicht umsonst gibt es bereits eigene Pages, die dem geneigten Besucher den Weg durch den Festivaldschungel weisen. Bleibt zu hoffen, dass sich keiner der vielen Veranstalter in den nächsten Jahren beim »Abenteuer Festival« eine blutige Nase holt … Georg Rosa kam 1998 zu Zomba Records. Seit 2003 arbeitet er selbstständig und ist aktuell u.a. für das Österreich-Marketing der ungarischen Festivals Volt und Sziget verantwortlich.
Clare Dover, Festival-Promoterin (© Clare Dover)
»Wachstum der Festivalindustrie in Kroatien ist beispiellos«
Osteuropäische Festivals befinden sich seit vielen Jahren im Aufwind. Exit war eines der ersten Festivals der Region, das sich einem internationalen Publikum geöffnet hat und auf die Wünsche von abenteuerlustigen Musikliebhabern, eingegangen ist: mit seinem einzigartigen Schauplatz, der Festung Petrovaradin, die über der Donau thront. Das Festival war Vorreiter für andere, sich einem internationalen Publikum vorzustellen und erhöhte die Erwartungen der Festivalbesucher, weil es etwas völlig Neues und Einzigartiges anbot; und das bei tollem Wetter und leistbarer Verpflegung. Das Wachstum der Festivalindustrie in Kroatien im Laufe der letzten Jahre ist beispiellos. Alles begann mit dem Garden Festival, das die Festivaltradition in Kroatien begründete. Die Briten Nick Colgan und Eddie O’Callaghan, die schon lange in der Musikindustrie gearbeitet hatten, riefen das Festival in Petrcane 2006 ins Leben – anfangs mit nur 500 Besuchern. Damals war Kroatien als Feriendestination von Briten noch weitestgehend unentdeckt. Heute, acht Jahre später, findet das Festival in Tisno statt und wurde zu einer der meistbekannten Veranstaltungen Kroatiens, die jeden Juli tausende Musikliebhaber aus der ganzen Welt willkommen heißt.
Besucher und einheimische Musikliebhaber mischen sich ganz unkompliziert untereinander und viele lokale Betriebe in Tisno und darüber hinaus profitieren vom erhöhten Tourismus. Die Gründer des Garden Festivals förderten auch andere Festivals vor Ort, welche nun selbst höchst erfolgreich sind: zum Beispiel Electric Elephant und Stop Making Sense. Außerdem inspirierten und verbreiteten sie eine ganze Reihe von Musikfestivals unter britischem Management wie die elektronischen Bassmusikfestivals Outlook und Dimensions. Aber nicht nur britische Promotoren profitieren von dieser Festivalexplosion. Kroatien bietet großartige eigene Festivals wie das Terraneo in Sibenik: Das Line-up findet gleichermaßen beim einheimischen und internationalen Publikum Anklang und hat sich schnell einen Namen gemacht. Rob Garza (Thievery Corporation) ernannte es kürzlich zu einem seiner Lieblingsfestivals und wird sich künftig bei der Kuratierung des Events einbringen. Kroatien erfährt generell viel Tourismus aus Deutschland, Österreich und Italien: So ist es nur folgerichtig, dass das Publikum aus diesen Regionen zunimmt und noch mehr internationale Promotoren nach Kroatien kommen.
Festivalliebhaber suchen immer etwas Neues – wenn der Markt gesättigt ist und die Preise steigen, wird es für Festivals erforderlich sein, etwas Einzigartiges anzubieten. Ob es eine überwältigende Location ist, wie bei Exit, kreative und einfallsreiche vor-Ort-Produktion wie bei Kazantip Republic in der Ukraine oder ein ethisch/umweltbewusster Fokus ist wie bei Terraneo: es wird immer wichtiger werden, Festivalbesuchern ein einzigartiges Erlebnis in Aussicht zu stellen, das sie dazu bewegen wird, davon zu erzählen und wiederzukommen. Festivalbesucher aus Osteuropa lieben es, internationale Besucher bei ihren Veranstaltungen willkommen zu heißen und ihnen eine schöne Zeit zu bereiten. Man kann unter vielen aufregenden und einzigartigen Locations in der Region auswählen. Die Kosten der Festival Tickets, der Unterbringung und der Verpflegung sind auch viel billiger als in Westeuropa; dadurch sind die Festivals ein kostengünstiger Weg, um große Acts und DJs zu sehen, während man einen Festivalurlaub in der Sonne verbringt.
Clare Dover ist Partner bei Globalpublicity, einer britischen PR-Agentur, die Festivals wie das Exit in Serbien, B’estfest in Rumänien, Kazantip in der Ukraine, das Off in Polen, das Snowbombing in Tirol oder das Terraneo in Kroatien international betreut.
»Der Osten ist schon voll bespielt«, ließ Harry Jenner lapidar via Mail wissen. Der Chef von Skalar Music, dem Quasi-Festival-Monopolisten in Österreich, hatte sich vor sechs Jahren noch die Finger in Zagreb verbrannt, obwohl er sich nur erwartet hatte, den Markt aufzubauen. Zu Placebo, Kaiser Chiefs und Queens Of The Stone Age kamen damals schlappe 5.000 Besucher. Da fehlte offenbar noch mehr als das Fundament.
Das Glück scheint man in diesem Eck Europas eher an der dalmatinischen Küste zu finden. Und indem man Musiktouristen und Feieranten aus England und Nachbarländern wie Österreich und Italien abzieht. Kroatien tritt mit 1. Juli 2013 nicht nur der EU bei, sondern verfügt über ein exzellentes Autobahnnetz bis hinunter nach Split und wird allein von Ryanair an drei Küstendestinationen angeflogen. Anders lässt es sich schwer erklären, dass dort Acts wie Wu-Tang Clan, My Bloody Valentine, Azealia Banks, A$ap Rocky, Snoop Dogg, Metro Area, Avicii, Mos Def, Modeselektor, Disclosure oder The Horrors diesen Sommer dort spielen.
Das Lighthouse Festival pilgerte heuer von Wien aus nach Istrien, das Waves Vienna plant ein Auswärtsspiel in Bratislava. Ebendort wurde gerade das Wilsonic abgesagt. Der Grund war so einleuchtend wie ernüchternd: schlechte Ticketverkäufe. So richtig scheint das mit dem Besucheraustausch noch nicht zu klappen – bei einem Festival, das von Wien aus nur halb so weit entfernt ist wie das Springfestival und unwesentlich teurer als ein Tagesticket in Graz.
Umgekehrt: Wie viele Leute haben mitbekommen, dass Dizzee Rascal schon zweimal in Österreich live gespielt hat, in Mayrhofen in Tirol beim Snowbombing nämlich. Dort fallen einmal jährlich ein paar tausend Engländer ein, trinken englisches Bier, starren auf englisches Sponsoring und sind dann wieder weg wie die Heuschrecken. Nun, es gibt Schlimmeres, ist ja genug Fressen da.
Im Osten haben es dagegen erst ein paar Festivals geschafft, im nahen Ausland bekannt zu werden, wie etwas das Sziget in Budapest, das Exit Festival in Novi Sad oder das Tauron in Polen. Das darf ruhig noch intensiver werden. Sonst müsste man ja dauernd zu Nova Rock und Frequency fahren.