»Der Nische ihren Platz« – FM4-Chefin Doroteja Gradištanac im Antrittsinterview

Mit der Bestellung des neuen ORF-Generaldirektors Roland Weißmann und dem Wechsel an der Spitze von FM4 ist zuletzt etwas Unruhe aufge­kommen, was die Zukunft des jüngsten unter den öffentlich-rechtlichen Radio­sendern anbelangt. Ist er zu spitz positioniert? Zu alt? Seine Zeit gar abgelaufen? Die neue Sender­chefin Doroteja »Dodo« Gradištanac, auch bekannt unter ihrem Geburts­namen Roščić, über Stärken und Schwächen von FM4, das Mission Statement und die DNA des Senders. Sowie darüber, warum sie sich auch mit 49 zu dessen Ziel­gruppe zählt.

Immer wieder wird die Bedeutung von FM4 für die positive Entwicklung der heimischen Musikszene herausgestrichen. Welche Rolle spielt dieser Aspekt in Ihren Überlegungen, was die Zukunft von FM4 betrifft?

Österreichischen Künstler*innen, der österreichischen Musikindustrie eine Plattform zu bieten, ist ein ganz, ganz wichtiger Teil der DNA von FM4. Und dem habe ich mich genauso verschrieben wie meine Vorgängerin Monika Eigensperger und wie der gesamte Sender. Nur wenige wissen, dass der Anteil österreichischer Musik auf FM4 bei 40 Prozent liegt.

Gibt es Ambitionen, den Anteil österreichischer Musik noch zu steigern? Oder sind sie mit 40 Prozent zufrieden?

Bei so etwas muss immer noch Luft nach oben sein. Aber es liegt ja nicht nur an FM4, sondern auch an der Musikszene. Sie ist lebendig, sie pulsiert. Und ich denke, auch bei dieser ist noch Luft nach oben. Wir sind da auf jeden Fall in regem Austausch und es gibt mein volles Commitment für eine weitere fruchtbare Zusammenarbeit.

Erachten Sie es als wichtige Aufgabe von FM4, den Blick auch in die Nischen zu werfen?

Die kredible Betreuung oder Spiegelung von Szenen ist uns auf jeden Fall ein Anliegen. Wenn ich zum Beispiel »Tribe Vibes« hernehme, glaube ich schon, dass unsere Deep-Dive-Knowledge wahnsinnig wichtig ist. Es muss halt, so wie es jetzt eh auch passiert, in einer dafür geeigneten Form stattfinden. Also ja, der Nische ihren Platz.

FM4 hat mit FMqueer schon recht früh explizit pro-queere Positionen nach außen getragen. Wie wichtig ist es Ihnen, dass FM4 als Sender für eine gewisse gesellschaftspolitische Haltung steht?

Außerordentlich wichtig. Auch hier würde ich auf die DNA von FM4 verweisen, in die das unmissverständlich eingeschrieben ist. Es ist etwas, das von mir definitiv weitergetragen wird.

Haben Sie Pläne bei der Zweisprachigkeit oder beim Muttersprachenprinzip des Senders in irgendeiner Form einzugreifen?

Das Prinzip des Senders ist gesetzlich festgeschrieben. Es ist geregelt mit den Worten »vorwiegend fremdsprachig«. Daraus ist in der Geschichte von FM4 »vorwiegend englisch« geworden – was nachvollziehbar ist, da es sich um die Lingua franca des Pop und der Popkultur handelt. Ich glaube, es gehört dazu, die Internationalität nicht nur in den Themen von FM4, sondern auch im Ton dieser Muttersprachler*innen zu hören.

»Ich verstehe nicht, wem eine Debatte darüber, ob und wie es FM4 weiterhin geben wird, nutzen soll.« – FM4-Chefin Doroteja Gradištanac (Foto: ORF / Roman Zach-Kiesling)

FM4 gilt auch als ORF-Talentepool. Ist das eine Funktion, die für Sie eine Rolle spielt?

Wenn man, wie ich, mit so wunderbaren jungen Menschen zusammenarbeiten darf, liegt es in der Natur der Sache, dass immer wieder mal jemand auffällt und wo anders hinwechselt – sei es als Sendungsmacher*innen oder als On-Air-Talent. Ich sehe das als Kompliment.

Worin sehen Sie den öffentlich-rechtlichen Mehrwert von FM4?

Auf jeden Fall in der Zusammenarbeit mit der österreichischen Musikszene. Weiters streiche ich die inklusive, integrative Leistung des Journalismus bei FM4 und ebenso die thematische Auseinandersetzung mit Popkulturphänomenen heraus. Ich hebe die Korrektheit der Sprache hervor, das konsequente Gendern, und dass auf FM4 laufend Schwerpunkte wie etwa kommendes Monat der Black History Month stattfinden. Das sind Dinge, die zu FM4 gehören. Und umgekehrt gehört FM4 zu diesen Dingen.

Ihrer Vorgängerin Monika Eigensperger wurde nachgesagt, sie habe für FM4 gekämpft wie eine Löwin. Welche Aspekte von FM4 werden Sie ähnlich energisch verteidigen?

Ich habe seit meinem Antritt keine Situation erlebt, in der ich FM4 verteidigen hätte müssen. Ich spüre ein großes Interesse an FM4, eine Liebe für FM4, eine Emotion. Selbstverständlich stehe ich für den Sender ein, selbstverständlich werde ich mich für den Sender mit ebensolcher Energie einsetzen.

Braucht FM4 nicht auch eine gewisse Reibung?

Die Reibung braucht es beim Programm und bei der Auseinandersetzung mit popkulturellen und gesellschaftspolitischen Phänomenen. Aber ich verstehe nicht, wem eine Debatte darüber, ob und wie es FM4 weiterhin geben wird, nutzen soll.

In den letzten 20 Jahren waren Sie beim ORF vor allem im Bereich TV-Entwicklung tätig. Im Sommer bewarben Sie sich dann um die Direktion des ORF-Landesstudios Wien, jedoch ohne Erfolg. Nun sind Sie FM4-Chefin. Sind in diesen doch recht unterschiedlichen Aufgabenfeldern dieselben Eigenschaften gefragt?

Darf ich ausholen? Als ich mich für das Landesstudio Wien beworben habe, wusste ich nicht, dass FM4 vakant werden würde. Und man hat als Frau – oder als Frau in meinem Alter – nicht so oft die Möglichkeit, aus seiner Unsichtbarkeit herauszutreten, darauf aufmerksam zu machen, dass man Führungsaufgaben übernehmen möchte. Bewerbungen gehören dazu und sind ein probates Mittel. Immer wieder sagen Frauen einander auch: Man muss sich bewerben, man muss sichtbar werden, man darf nicht darauf warten, dass etwas passiert, sondern muss für sich und seine Ambitionen und seine Talente eintreten. Und das habe ich anlässlich des Landesstudios Wien gemacht.

On another note: Die Beschäftigung mit Radio Wien würde ich schon auch für eine spannende Aufgabe befinden. So gesehen gibt es sicher Überlappungen bei den Talenten oder bei den gefragten Führungsskills. Und es scheint ja gelungen zu sein, mit dieser Bewerbung auf mich aufmerksam zu machen.

Jetzt bei FM4 sein zu dürfen, ist für mich und meine Interessen, für mein Gefühl – ich hab mir ja gut überlegt, ob ich mich bewerbe, ob ich mir das zutraue, was ich einbringen kann – ein Volltreffer. Aber ich verstehe, wenn man das von außen betrachtet, dass das ein bisschen erratisch wirkt. Es ist aber eigentlich total logisch! (lacht)

Würden Sie uns drei konkrete Ideen für FM4 nennen, mit denen Sie sich um den Job beworben haben?

Ich möchte Ihnen gerne meine aktuellen Überlegungen dazu sagen. Wäre das okay?

Natürlich.

Eine konkrete Überlegung ist, dass ich davon überzeugt bin, dass FM4 seine Personalitys herausarbeiten und den Sendeformaten zuordenbar machen muss. Also anders gesagt: Armin Wolf und die »ZIB 2« werden als untrennbar wahrgenommen. Ich glaube, da muss man auch bei FM4 hin.

Eine weitere Überlegung: Falls Sie gestern die »Morning Show« gehört haben – es war der Internationale Tag des Kompliments. Ein wunderschönes Beispiel dafür, was warum in eine »Morning Show« passt. Gerade beim Radio – das ist so intim und sitzt quasi bei mir am Tisch, während ich mir den ersten Kaffee koche – müssen die Geschichten einen Konnex zu dem Tag haben, an dem sie stattfinden, und zu dem Moment, an dem sie ausgespielt und moderiert werden. Das hat perfekt zusammengepasst. Das ist die Richtung, in die wir noch stärker müssen.

Das waren zwei …

Ach ja, noch ein drittes. Eine weitere Überlegung ist, die Relevanz – die journalistische, aber auch die gesellschaftspolitische – zu erhöhen. Daran werden wir verstärkt arbeiten und auch Social Media dafür nutzen.

Zum Abschluss: Wird es FM4 in zehn Jahren noch als lineares Radio geben?

Ja.

Bernhard Frenas Artikel »Ein Zuhause für die Subkultur – Warum FM4 nie (nur) Jugendsender war« ist hier zu finden. Stimmen zur Bedeutung von FM4 hier.

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