Das Land gehört der Raiffeisen Bank, sagt die Laokoongruppe. Mit 16 Laptop-Gstanzerln singt sie Österreich ihren Unmut entgegen.
Einigen wir uns auf »sie«. Sie, die Laokoongruppe, ist Karl Schwamberger, eine Ein-Mann-Band aus Wien. Karl Schwamberger denkt bei dem Namen Laokoongruppe nicht an ein Verwirrspiel. »Die Laokoongruppe« – das ist zuerst ein künstlerisches Mittel, um sich auf die Suche nach einem »Wir« zu machen, oder auch um sich aus der Gruppe heraus von dieser lehrhaften, deutschen Liedermachertradition abzusetzen. »Sie«, das ist also die Laokoongruppe. Gerade erscheint ihr zweites Album mit dem Titel »Staatsoper“. Der Vorgänger, das Debüt, hieß »Walzerkönig« und wurde euphorisch besprochen, wenn auch kaum gehört. Von einem neuen Modell wie man österreichische Musik machen könnte, war da die Rede. »Das mit den Flügelhörnern, Heimelektronik und Bruckner-Samples bin ich und hat sich halt ergeben.« meint die Laokoongruppe dazu. Deutlich geplanter: »Staatsoper« arbeitet sich mit vertonter Lyrik ins dunkle Herz der Republik vor. Musik und Text bilden ein einzigartiges Ensemble und setzen das Prinzip der Lokalität so konsequent wie nirgends sonst um. Das Album ist der Soundtrack der in Serie geschalteten Unschuldsvermutung.
So ist halt die Jugend auf dem Land
»Ich habe in meiner Jugend, in der Tristesse der oberösterreichischen Provinz, eben die üblichen Dinge gehört: Bruckner, Mahler, das ist doch typische Teenagermusik.« Die Laokoongruppe ist im direkten Gespräch eher unlustig und meint das ernst. Um fünf trinkt sie das erste Bier. Sie erzählt von der eigenen musikalischen Vergangenheit ohne jede Koketterie. »Die Laokoongruppe ist geprägt von meiner musikalischen DNA.« Und deren Stränge beginnen eben schon früh mit Blasmusik, mit Bearbeitungen von Schubertmessen und Walzern von Strauß für die Blaskapelle. Im Lauf der Jahre kamen in Wien zu Schlager und Klassik außerdem Jazz, Dylan, Techno, Fugazi und Pop hinzu. Pop, damit meint die Laokoongruppe die Beatles, nicht etwa Britney oder Lady Gaga.
Glitch Gstanzerln
Diese ganz persönliche Sound-Geschichte hört man »Staatsoper« an. Laufend werden genau diese Einflüsse nebeneinander collagiert. Allerdings nie mit dem Anspruch einen Bauplan für ein ganzes Genre zu liefern; also keine Skizze für eine zeitgemäße Popmusik aus Österreich, die ihre internationalen Einflüsse mit den eigenen Traditionen kurzschließt. Walzer und Country, Landler und Rauschen der Maschinen, Ave Maria und gerade Bassdrum – darum geht es nicht, aber so klingt es. Andere Leute schreiben mit Reggae, mit Zwölfton-Musik oder HipHop über ihre soziale, politische Gegenwart. Denn die eigene Zeit und ihre Zumutungen kann man immerhin auf vielen Wegen herausfordern. Die Laokoongruppe nimmt dafür, was sie selbst beschäftigt und berührt. Falls das dann jemand für originäre, österreichische Popmusik halten mag, ist das zwar nicht gewollt, aber schon auch in Ordnung.
Schwammerlpolitik
»Staatsoper« kommt zum richtigen Zeitpunkt. Der Sager vom Operetten-Land Österreich ist veraltet und stumpf – denn eigentlich ist es heute schlimmer: Wir leben in einem Land der Staatsoper. Und dieser Zustand geht über harmlose Schmierenkomödien und Intrigenstadl hinaus. Die Nuller Jahre waren in Österreich ein Jahrzehnt der liberalen Selbstbediener, in dem der Staat ein Vehikel für Bereicherung war, ein Koloss, der nach außen hin das Prinzip von Leistung und Gerechtigkeit auf der großen Bühne inszeniert, aber hinter den Kulissen Korruption und schiefe Millionendeals wuchern. Was lange ausgesehen hat wie eine Gesellschaft, die fairer funktioniert, fairer bezahlt, die Engagement belohnt und Nichtstun sanktioniert, zeigt nun endgültig seine dreckige Seite.
Ganz passend dazu ist »Staatsoper« düster geworden, mit viel Misanthropie und enttäuschten Hoffnungen. Seit dem Ende von Schwarz-Blau hat sich kaum etwas verbessert, sagt die Laokoongruppe mit einem seltenen Anflug von Erregung. »Man sieht Grasser & Co und ihre grausigen Deals, und man sieht, wie damit dann in Regierung und Justiz umgegangen wird. Haider wurde gegen Strache getauscht, Faymann gegen Schüssel. Beide lächeln und schweigen. Die Diskussionen um Ausländer und Sozialschmarotzer haben sich auch nicht geändert. Ob das nun die Schwarzen oder die Blauen sind, es wird gehetzt. Wiener Blut und Moschee Baba, Rehchenaugen, Sarrazin-Lob und Arbeitslosen-Keule, ich seh da wenig Unterschied.« Die Laokoongruppe ist definitiv keine dieser Bands, die sich im Interview vor politischen Aussagen drückt. Im Interview erkennt man schnell den gar nicht so verschachtelten Subtext des Albums: »Wir haben eine Koalition zwischen zwei Parteien die sich kaum unterscheiden, und das Land gehört so oder so der Raiffeisen.« Die piepsige Rolle des Staats gegenüber dem Kapital ist nur eines der Themen, mit denen die Laokoongruppe ringt. Die Krise ist nicht vorbei, wir sitzen in Scherben. Aber nein, die soziale Wärme brauchen wir hier nicht.
Untergeher
So deutlich wird auf »Staatsoper« selten getextet. Eher werden Dinge umschrieben, literarisch verfremdet und absichtlich unklar gelassen. Die Laokoongruppe schichtet Positionen gegeneinander auf, dreht sie weiter bis sie absurd und schwarz werden. Hier spricht kein Aufdecker, kein Ankläger, sondern jemand, der auch einen reinen Lyrikband verfassen könnte. Immer wieder verlieren einzelne Songs dadurch an Prägnanz. Die Texte ziehen Schleifen, bleiben vage, fahren Zitate, Namen und einen Berg an Wissen auf und landen dadurch immer wieder schief im Ohr. »Staatsoper« tut sich mit eingelernten Hörgewohnheiten schwer. Für gnadenlos fordernde Popmusik gibt es kaum eine Tradition und wenn, dann gehört sie eher in eine Sonderreihe des Konzerthauses als aufs Wiener Popfest. Ebendort wirkte die Laokoongruppe vergangenen Frühling ziemlich verloren. Beim kostenlosen Open Air hatte die Menge zufällig angespülter Menschen bei den Pathosgeladenen Texten und ihrem artifiziellen Gestus wenig zum Anhalten. Die Laokoongruppe braucht erfahrene Hörer und Diskurshasen. Zeilen wie jene aus »Die bessere Melodie« möchte man sich dennoch sofort ins Notebook ritzen: »Du Professor… für Mode, ich Dozent für das Verschwinden / Er ist Lehrer für die Toten, sie ist VJ für die Blinden.«
Es muss immer weiter deklamiert werden
»Komm und tanz und mir« hieß 2008 das Duett mit Gustav, in dem noch Kunst und Agitpop und Schlager auf, ja doch: sehr, sehr fantastische Weise miteinander spielten. Simple Melodien, ein Text mit Fallstricken und Gitarrenlärm von Oliver Stotz – so viel Zug zum Tor hat am ehesten noch »Kapital Chacha«. Doch mit dem Ballast eines vershuffleten Beats und einer quengeligen Alarmorgel erreicht der Song erst ab dem Refrain die volle Pracht. Außerdem ist »Staatsoper« mit 16 Songs gefühlt um ein Viertel zu lang. Loops hängen in der Schleife. Breaks, Fills, Übergänge, hätten sich noch etwas Aufmerksamkeit verdient und kleben nah am Copy-Paste-Raster, das die Produktion am Laptop vorgibt. In Songs wie »Wenn die Toten erwachen« oder der großartigen Schlussnummer »Der Preis der Propaganda« ist die Laokoongruppe allerdings am Dachstein des Diskursschlagers angekommen. »Motiv, Mittel, Gelegenheit« handelt von Korruption über dem zarten Schmelz von Alphörnern – Herrje, schöner die Geldbeutel nie klingelten.
Agit-Rave vs Agit-Landler
Die Geschichte politischer Musik ist lang und voller Missverständnisse. Und die Laokoongruppe wird diese schon wieder einmal nicht auflösen. Anderswo – in Deutschland etwa – gibt der Clan der reflektierten Buben, sagen wir Tocotronic und Die Goldenen Zitronen, schon lange nicht mehr die Themen vor. Die verstrahlte Spaß-Anarchie mit sägendem Rave und Bass-Bass auf die Zwölf ist näher dran am Sound der Turbokrise – oder wie auch immer das da draußen heißt. Deichkind, Frittenbude und Egotronic geben das Wort zum Sonntag auf der Afterhour vom Samstag aus. Nun, Agit-Rave und Agit-Landler schließen sich nicht aus, beides funktioniert nebeneinander. Denn wenn es nur nach dem gehen würde, was besser zum Zeitgeist der Dekade passt, könnte man versehentlich eine Menge guter Musik verpassen. Die Laokoongruppe führt seine Hörer stattdessen in die Eingeweide und die Gedanken einer Republik, die ihren eigenen Handlungsspielraum nicht mehr erkennt. Sie macht großes Musiktheater, Theatrum Mundi, Vanitas und Göttliche Komödie am Ballhausplatz. All das, was man sich von einem Album erwartet, das »Staatsoper« heißt.
»Staatsoper« von der Laokoongruppe erscheint am 22.10. via Konkord.