Kaltgestellt

Facebook und Apple wären willens, ihren Mitarbeiterinnen das Aufs-Eis-Legen von Eizellen zu spendieren, damit diese im Konzern Karriere machen und das Kinderkriegen auf später verschieben können. Warum wir diesen Vorschlag größer denken sollten.

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Ich sag’s gleich, ich bin ein bisschen enttäuscht. Ich hatte mir erwartet, dass ÖBB, OMV, Kotanyi oder wenigstens die Post nachziehen und der weiblichen Belegschaft Vergleichbares anbieten würden: die Eizelle bei Käpt’n Iglo einzulagern und dafür – Hackel g’scheit! – ordentlich Karriere machen, um dann bitteschön gefälligst endlich die Vorstandsetagen zu entern. Auch damit, dass eine dieser Frauenzeitschriften mit ein paar zugespitzten "Ja, ich will den Nachwuchs vorerst auf Eis legen!" – oder "Nicht mit mir!" – Porträts reagieren würde, hatte ich gerechnet. Gut, ich habe nicht extra danach gesucht. Aber: Nichts davon wäre mir untergekommen.

Dabei kosten Kinder nicht nur so manche Karriere, sondern killen wohl auch so manches Start-up, weshalb man den Vorschlag durchaus größer und weiter denken sollte. Erhebungen und Studien sind mir zwar keine bekannt, doch mit allergrößter Wahrscheinlichkeit wird auch so manche Geschäftsidee verworfen oder liegen gelassen, weil sich die Gebärfähige doch gegen eine Unternehmens- und stattdessen für eine Familiengründung entscheidet. Das ist schlecht für den Wirtschaftsstandort, lässt Chancen liegen, Potenziale ungenützt.

Meinen es Departure, Impulsprogramm und Gründerservice ernst mit ihrem Auftrag – die Kreativwirtschaft stärken und Start-ups auf den Weg bringen – dann müssen sie es Facebook und Apple gleichtun. Dann müssen Stadt Wien, Wirtschaftskammer und Ministerium als dahinterstehende Träger dafür sorgen, dass junge Entrepreneurinnen ihre besten Jahre nicht in Stillgruppen und Krabbelstuben verschwenden. Genauso wie Parteien, denen die Förderung von Frauen ein echtes Anliegen ist, diese dazu ermuntern sollten, die Reproduktion hintanzustellen, um sich voll und ganz der Idee, der Partei und dem Marsch durch die Institutionen widmen zu können.

Warum auch immer "Social Freezing"

Das ist, mit Verlaub, natürlich Bullshit! Aber erst wenn man den Vorschlag der beiden IT-Konzerne konsequent weiterdenkt und auf die eigene Lebenswelt oder andere Lebensbereiche umlegt, zeigt sich dessen volle Absurdität. Natürlich haben Konzerne, Kommunen, Ministerien und auch Parteien sich darum zu kümmern, dass Frauen endlich nicht nur auf dem Papier gleiche Chancen zustehen, sondern dass sie diese auch umsetzen können. Das Einfrieren von Eizellen (warum auch immer "Social Freezing" genannt) käme allerdings einer unzulässigen Einmischung eines Arbeitgebers in die höchst private Lebensplanung gleich. Und einer Erpressung. Denn wenn sich eine junge Frau auf diesen Deal einlässt, dann bedeutet das volle Hingabe an den Arbeitgeber jetzt – oder nie. Alles andere – "Ach, Sie wollen nicht für dieses uns so wichtige Projekt den Kinderwunsch noch etwas hintanstellen?" – wirkt dann automatisch illoyal. Ganz oder gar nicht.

Natürlich ist jedes Unternehmen, jede Verwaltungseinheit, jede Stadt auf die Arbeitskraft, den Einsatz und die guten Ideen eines jeden und einer jeden Einzelnen angewiesen. Dass diese Ideen sich uneingeschränkt entfalten und zum Wohle aller entwickeln können, dafür hat vor allem die Politik zu sorgen. Trotzdem wäre ein Folgen der Logik von Facebook und Apple der falsche Weg. Weil er voll und ganz auf Beruf, Karriere, Identität und Selbstverwirklichung im Erwerbsleben abzielt. Alles andere wird genauso in die Ferne geschoben wie das Kinderkriegen.

Kaltstellen

Womit einhergeht, dass diejenigen ohne Arbeitsplatz früher oder später von einer handfesten Identitätskrise gebeutelt werden. Denn wenn die Arbeit alles ist, ist der Rest nichts wert. Auch dafür steht diese allumfassende Denkart. Dass IT-Konzerne danach trachten, die letzten Barrieren zwischen Berufs- und Privatleben niederzureißen, ist verständlich und liegt in ihrem wirtschaftlichen Interesse. Politik und Gesellschaft aber haben im Gegensatz dazu einen Spagat zu schaffen: jenen zwischen der Förderung von Karrieren und Kreativität einerseits und einem sozial verträglichen Klima andererseits, das auch jene ohne bezahlten Arbeitsplatz nicht ausgrenzt, sondern als vollwertige Menschen und Mitglieder der Gesellschaft erachtet. Derzeit gibt es in Österreich bald 400.000 Arbeitslose. Das sind mehr Einwohner, als Vorarlberg hat. Der Kosten/Nutzen-Logik von Facebook und Apple folgend müsste man diese Menschen dann konsequenterweise ebenso kaltstellen, wenn für sie gerade keine Karriere möglich scheint.

Thomas Weber, Herausgeber

weber@thegap.at

@th_weber

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