Der Kapitalismus ist in sich zusammen geklappt. Die Alternative dazu, nirgends zu sehen. Vaporwave war der Sound dazu. Seither sind zwei Jahre vergangen.
Vor etwas über einem Jahr hat Adam Harper alles über Vaporwave gesagt, was zu sagen war. In Kurzform: Vaporwave ist flüssige Werbung und gasförmiges Verlangen. Die Musik setzt sich häufig aus Samples der Werbeindustrie zusammen, die Videos sind saubere Konsumfantasien. Hinter den digital verspiegelten Oberflächen steckt nichts Tieferes mehr dahinter. Der Name selbst, Vaporwave, ist dabei absichtlich nur einen einzigen Buchstaben entfernt von Vaporware, also Produkten, die unter großen Erwartungen angekündigt, aber nie verwirklicht werden – großen Konsumversprechen also, die sich in Dampf auflösen. Die Ware wird zur Wave. Die lose Vaporwave-Szene auf Tumblrs, selbstgetrickten Youtube-Accounts und Minilabels im Netz verweigert sich und sagt gleichzeitig begeistert Ja!, ist Kritik am Kapitalismus und Kapitulation davor.
Und doch, das Großartige an großartiger Musik ist, dass sie sich nie richtig der Sprache fügt oder den Fantasien von Kulturtheoretikern und stattdessen immer wieder neue Interpretationen und andere Perspektiven offen lässt. So wie das jüngste Album von Oneohtrix Point Never.
Songs
Ja, das Album davor bestand aus dem klingenden Müll von TV-Werbespots, hatte einen illustrierten Vampir am Cover, einen Blutsauger, der seinen blanken Totenkopf im Spiegel betrachtet. Jetzt, heute, soll angeblich alles ganz anders sein, glaubt man den Vorankündigungen. Ein dumpfer Orgelton am Anfang des Albums verwandelt sich nach einigen Sekunden in eine klassische Akkordfolge, die in ihrer unverfremdeten Klarheit ganz und gar untypisch für Vaporwave ist, wie ein seltsames, einsames Relikt aus der echten Welt. Ganz am Ende kommt sie wieder, die Orgel, nur dieses Mal ganz anders. Aber dazu später.
Dazwischen, da sind die Sounds auf „R Plus Seven“ nämlich doch irgendwie geläufig. Die Samples und synthetischen Sounds kommen von Programmpaketen zur TV- und Werbevertonung, wirken digital zerdrückt und zerquetscht. Zehn fast schon traditionelle Songs sollen es angeblich sein und irgendwie stimmt es auch. Es gibt regelmäßige Strukturen, aber von so gewöhnlichen Dingen wie geschlagenem Rhythmus und gesungener Stimme ist Oneohtrix Point Never immer noch meilenweit entfernt. Größter Vorteil und auch Nachteil ist dabei, dass sich jeder Track eigentlich ständig überall hin entwickeln kann – wie etwa „Zebra“, der zwei Mal in sich wie vor Erschöpfung zusammenfällt, beim zweiten Mal endgültig. Das muss man wirklich, wirklich können, sonst überfordert diese musikalische Freiheit schnell. „R Plus Seven“ kann.
Barock
Um all das zu entschlüsseln ist man gezwungen sich an wenige Indizien zu klammern, wie das Video zu „Problem Areas“. Mit all seinem Horror-VHS-Kassetten, den silbernen Äpfeln, nicht-essbaren Bananen und blanken Konsumräumen scheint es wie eine Fortsetzung des letzten Albums: Replica. Diese toten Gegenstände, diese digitalen Stillleben sind nur mehr Nachbildungen von Nachbildungen, sind Ersatz, sind digitale Renderings der Entertainmentkultur und seiner Artefakte, während dazwischen Vanitas-Symbole auftauchen, wie die Würmer, die aus einer Uhr kriechen oder ein blanker Stierschädel. Es ist ziemlich schwer, darin keine direkten Bezüge zu den in Öl gemalten Sinnbildern der Vergänglichkeit des Barock zu sehen.
Auch der Schnelldurchlauf der Firmenlogos in „Still Life“ wiederholt immer wieder dieses Wort: Chrono – Zeit. Die digitale Ästhetik ist da schon ganz aufgesogen, mit Haut und Haaren im Elektruniversum angekommen, keine Simulation mehr. Auch auf dem Album selbst ist kein Störgeräusch zu hören – es klingt übrigens ganz hervorragend –, "R Plus Seven" ist sauber, digital und clean. Anders als der Song „Joyvtl Jvbuayf“, der von dem Appropriation Artist Cory Arcangel mit einem nicht mehr erhältlichen Codec komprimiert wurde und auf pointnever.com herunter geladen werden kann. Beides ist ein Spiel mit Zeit, mit Reproduktion und Software.
Danke
Oneohtrix Point Never bringt Fragen zum Klingen. Und einiges deutet darauf hin, dass er – ganz im Gegensatz zu seinen Vaporwave-Kollegen – am Ende doch ein Moralist ist. Ganz zum Schluß des Albums, auf „Chrome Country“, erklingt die Orgel noch einmal, mit mächtigen Akkordzerlegungen, im Hintergrund ganz leise ein himmlischer Chor, als würde etwas ganz Großes kommen. Wenn beide langsam ausfaden, bleibt ein großes Rätsel zurück, ein Puzzle, das sich nicht lösen lässt. Oder wie Oneohtrix Point Never selbst sagt: Es geht um den Prozess zu sagen: ‚Danke, aber nein Danke’.
„R Plus Seven“ von Oneohtrix Point Never erscheint am 30. September via Warp.