Grape Me

Sie stehen kurz vor dem riesigen Hype: Felix Häusler und Leo Fasbender haben sich die gegenwärtigen Probleme des Bloggings angesehen und eine unheimlich gut durchdachte Lösung für sie entwickelt – Newsgrape.

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Die Luft neuer publizistischer Freiheit ist hier förmlich schon zu riechen, vermischt mit Zigarrettenqualm und dem Geruch frischen Kaffees. Studentisches Chaos und ein leichter Hauch von Genie leben hier in friedlicher Symbiose – wir befinden uns in den Newsgrape-Headquaters im 9. Bezirk in Wien. Eigentlich ist das hier eine Studi-WG, aber in den vergangenen zwölf Monaten ist hier an dem nächsten großen Ding in der Welt des Bloggings gearbeitet worden: Newsgrape.

Die Blogger Leo Fasbender und Felix Häusler, beide Anfang 20, haben es sich zum Ziel gesetzt alle Probleme, die sie mit ihrem Online-Magazin Critics hatten auf einen Streich zu lösen. Deshalb haben sie vor einem Jahr damit begonnen still und heimlich an einer Website zu basteln. Mit den Programmierern Gabór Guzmics und Sean McAllister war nach einiger Zeit der Boys Club komplett. Unter einem Damokles-Schwerts namens Wall of Shame (eine an die Wand projizierte Liste aller Bugs der Site) haben sie die Site in den letzten Wochen nun weit genug gebracht um damit an die Öffentlichkeit zu gehen.

Die erste Story über Newsgrape kam Anfang Dezember von einem amerikanischen Blogger namens Brandon Connell. Felix und Leo hatten ihm geschrieben und ihm von Newsgrape erzählt. Seine erste Reaktion war: „Okay, pay me 500 $ for the story.“ Leo und Felix weigerten sich. Die Story entstand trotzdem, mit dem Hinweis: „By the way… NOBODY paid me to write this.“ Und auch ohne Bezahlung wurde sehr überschwänglich berichtet – durchaus zurecht übrigens.

The Kids Are Alright

In ihrem Promotions-Video kommen sie vielleicht ein wenig schnöselig daher. Doch die erste Einschätzung war weit gefehlt. Die zu Beginn des Treffens noch kritische Distanz löst sich im Laufe des Gesprächs zunehmend auf. Alle scheinen dasselbe zu wollen, nämlich journalistische Freiheit und Diskurs. Auch wenn es so wirkt, hinter dem Video steht kein professionelles Produktionsteam. Vielmehr ist es eher im DIY-Verfahren mit der Hilfe von Freunden entstanden (auf den Fotos könnt ihr übrigens die grüne Couch aus dem Video sehen, die vielleicht noch legendär werden sollte). Felix und Leo erklären, dass das Video eigentlich einem anderen Zwecke hätte dienen sollen, als sich selbst zu pushen. Es sollte nämlich erst erscheinen, wenn die Site fertig ist und dann eine schnelle Einstiegshilfe für neue User darstellen. Doch soweit musste es erstmal kommen.

Die Analyse

Wie viele junge Leute haben Leo und Felix sich entschlossen mit anderen (heute nennen sie sie „die Basis“) ein Online-Magazin zu gründen. Critics, blieb wie die meisten Onlinemagazine und Blogs unter der Sichtbarkeitsschwelle und konnte auch mit Google-Werbung niemanden ansatzweise bezahlen (etwa 13 Euro Einnahmen nach einem halben Jahr, sagt Leo.) Deshalb haben sich die beiden zusammen gesetzt und beschlossen etwas aufzubauen, dass es allen, die online Schreiben, ermöglichen soll auch gelesen zu werden. Dass sie ein Jahr auf endlose Parties und andere Vorzüge des Studierendenlebens verzichten sollten, war ihnen zu Beginn aber noch nicht klar. „Wir hatten keinen Schimmer worauf wir uns da einlassen,“ erklärt Leo.

Die Innovationen

Was ist nun anders an Newsgrape als bei anderen Plattformen, die versuchen mehrere Blogs zu vereinen? Die schiere Masse an Innovationen, die hier innerhalb eines Jahres erarbeitet worden ist, würde hier glatt den Rahmen der Lesbarkeit sprengen. Trotzdem seien hier einige der wichtigsten Neuerungen aufgezählt.

Zunächst steht einmal im Vordergrund, dass es sich hier um eine der ersten mehrsprachige Bloggingplattform handelt. „Durch die Mehrsprachigkeit vereinen wir potentiell mehr Schreiber und Leser als jede andere Plattform,“ sagt Leo. Daran ist faktisch wohl nicht zu rütteln. Gerade arbeitet er daran die Oberfläche in weiteren Sprachen anzubieten – derzeit ist das in Deutsch und Englisch möglich. Doch Newsgrape unterscheidet zwischen Oberfläche und Inhalt. Es werden also keine Sprachen einfach ausgeklammert. Vielmehr kann bei der Nutzung bestimmt werden, Inhalte welcher Sprachen angezeigt werden sollen. So ist es möglich deutschsprachige, englische, französische, russische und vielleicht auch irgendwann klingonische Blogs zu lesen. Newsgrape orientiert sich dann am jeweiligen Leseverhalten und Interesse und versucht mit einem komplizierten Algorithmus die interessantesten Blogbeiträge vorzuschlagen.

Newsgrape ermöglicht es auch, dass mehrere Personen sich zu einem Magazin zusammenschließen – inklusive Banner und eigener Chef-Redaktion. Persönlich lässt sich sehr leicht das so genannte E-Go zusammenstückeln, ein Sammelsurium aller jeweils abonierter Blogs.

Eine weitere Erneuerung, die schlichtweg von existierenden Plattformen übernommen wurde (woraus Leo und Felix auch überhaupt kein Hehl machen) ist ein hybrides Kategoriensystem. Einerseits gibt es die bekannten Klassifizierungen, wie Politik, Fashion oder Popkultur, andererseits ist es auch möglich die Artikel nach Stimmung zu filtern – also leichte Kost, oder harte, gut ausrecherchierte Beiträge („Brainfood“). Es war den Entwicklern wichtig, dass das interne Ranking solche aufwendigen Geschichten berücksichtigt. Das heißt, diese Storys (zum Beispiel längere Analyse des Nah-Ost-Konflikts) werden automatisch öfter gefeatured als kurze News-Beiträge.

Auch Twitter – revolutioniert

Auch im Bereich Kurzmeldungen, wie sie von Twitter bekannt sind, haben die Newsgrape-Jungs eine Idee entwickelt, die es auch Leuten mit wenig „Followern“ ermöglichst ungeahnte Reichweiten zu erziehlen. „The Hub“ nennen sie ihr Verdopplungssystem: Hier wird jede Kurzmeldung vier zufällig ausgewählten Personen gezeigt. Klicken mehr als die Hälfte (in diesem Fall schnell ausgerechnet mindestens drei) an, dass diese Meldung nützlich ist, wird sie wiederum doppelt so vielen, also acht Personen gezeigt. Klicken hier wieder mehr als die Hälfte darauf, wird die Meldung erneut doppelt so vielen Personen gezeigt. Das schafft die Möglichkeit, dass wichtige Nachrichten möglichst viele erreicht, ohne dass sie erst irgendwelche Gatekeeper oder Multiplikatoren passieren müssen.

Das liebe Geld

Newsgrape ist auch eine realistische Antwort auf die Selbst- und Fremdausbeutung, die momentan in Blogging und Journalismus Gang und Gäbe sind. Denn „erfolgreiche Schreiber“ sollen mit 75% der mit ihren Beiträgen erzielten Werbeeinnahmen beteiligt werden. Diese ziemlich schwammige Definition wurde schon an anderer Stelle stark kritisiert. Die Betreiber wehren sich aber dagegen. Sie meinen, dass erst ab einer bestimmten Höhe eine Überweisung Sinn machen würde. Wer bei Newsgrape bloggt habe aber auf jeden Fall einen Vorteil, meinen sie. Denn nirgendwo sonst könne realistisch ähnlich viel Geld mit Blogging verdient werden – nicht mit Google-Ads, oder sonstwie: „Und würde Google wirklich darauf achten, dass Community-orientierte Werbung bevorzugt wird?“

Aber auch Newsgrape selbst braucht für den Start der Pre-Beta-Version noch Kohle. Die Geschäftsführer Felix und Leo haben schon einige größere Investitionsangebote abgelehnt um ihre Unabhängigkeit nicht zu verlieren (Hier distanzieren sie sich ganz klar von jungen, amerikanischen College-Start-Up, die aus ihren Ideen sehr schnell Geld machen wollen). Vor erst wenigen Wochen haben sie sich deshalb (auch inspiriert vom Erfolg der Facebook-Alternative Diaspora) entschlossen um einen Platz bei Kickstarter anzusuchen, den sie – für sie überraschend – sehr schnell bekommen haben. Ihr Ziel ist es bis Mitte Jänner die Zusagen für 10.000 Dollar zu bekommen. Kickstarter funktioniert nämlich so, dass das Geld erst bei Erfolg des jeweiligen Projekts überwiesen wird. Zudem versprechen die Gründer allen, die Newsgrape unterstützen, je nach Höhe der Spende verschiedene imposante Goodies.

„Es gibt keine Exitstrategie!“

Newsgrape wirkt gerade wie das Traumland der gesamten freien Bloggingszene. Es gibt bei dieser unwahrscheinlich gut durchdachten Plattform wenig auszusetzen. Selbst die Tatsache, dass auf der Plattform Werbung geschaltet werden wird, scheint in diesem Kontext vernünftig. Denn sie soll zurückhaltend sein und garantiere allen, die schreiben, auch eine gerechte Entschädigung. Außerdem würde Werbung, die sich an den Interessen der Community orientiert, bevorzugt, indem sie billiger verkauft wird. Der undenkbare Fall, dass Werbung nicht nervt, könnte durch Newsgrape ermöglicht werden. Es scheinen hier wirklich die Innovation, das Neue, die Verbesserung und Erleichterung der Kommunikation im Vordergrund zu stehen und nicht ein Versuch etwas aufzubauen, um damit möglichst schnell möglichst viel Geld zu verdienen.

Schwimmen gegen den Mainstream

Wer in Zukunft zerstörerische Artikel über die Plattform lesen sollte, sollte sich auch die Angst der Mainstream-Medien vor einem funktionierenden Blogging-Portal vor Augen halten. „Die Mainstream-Medien müssen sich hier zum ersten Mal mit anderen Autoren auf einer Ebene messen,“ sagt Felix und zeigt, dass die Zeit reif ist für eine neue Ära des Online-Publishing. Der ewig grantelende Zynismus über die Medienszene könnte endlich vorbei sein.

„Die revolutionäre Nachrichtencommunity“

Das revolutionär bezieht sich bei Newsgrape zwar nicht auf politische Ideen – doch auch ein politsicher Diskurs wäre hier in einem bisher ungeahnten Umfang möglich. Die Gründer sind, ganz im Sinne von Wikileaks-Gründer Julian Assange, vehemente Verfechter der Rede- und Pressefreiheit („Wenn wir also für Pressefreiheit eintreten, müssen wir auch jene Stimmen zulassen, die sich gegen sie wenden.“ – Felix). Sie gehören zu einer jungen postideologischen Generation, die bereit ist sehr viel Arbeit und Energie in ihre libertären Ideen zu stecken. Mit Newsgrape holen Leo und Felix fast alles aus den gegeben Möglichkeiten heraus und machen die Website wird so zu einer der denkbar besten Möglichkeiten, im gegenwärtigen Online-Gratis-Inhalte-System möglich sind.

Alle Fotos stammen von Andreea Boca.

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