Gratis ungleich gut?

Kostenlose Freiluftfestivals schaden der Konzertszene? Drei Experten aus der Szene geben ihre Meinung hierzu ab.

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Gerade im Jahr der Wienwahl wurden und werden gratis Festivals erfunden. Diesen kostenlosen Freiluft-Festivals wie Popfest, Donaukanaltreiben, Electric Spring (*), Gürtelnightwalk oder dem Donaulinselfestival wird nun gerne vorgeworfen, sie hätten einen negativen Einfluss auf die restliche Konzertszene, weil dort gefragte Acts kostenlos auftreten und man sich diese deshalb nicht mehr in Clubs ansehen müsste. Es gibt Gegenbeispiele wie Wanda (Donauinselfest, dann Arena zwei Mal ausverkauft) oder Nazar (Electric Spring und Donauinselfest vs Arena). Aber sind das Einzelfälle?

Stimmen die Vorwürfe? Oder ist das nur unzufriedene Suderei von anderen Veranstaltern und Zu-Kurz-Gekommenen? Wie haben drei Experten – jeweils aus den unterschiedlichen Bereichen Booking-Agentur, Gratisfestival und Location-Betreiber – aus der Szene getrennt voneinander befragt. Angefragt hatten wir deutlich mehr. Aber die drei sollten es ja auch wissen.

Teilen Sie die Auffassung das kostenlose Freiluft-Festivals einen negativen Einfluss auf die restliche Konzertszene haben? Sehen Sie Phänomene, die dies bestätigen?

Christoph Möderndorfer, Popfest: Ich teile diese Auffassung nicht. Die Diskussion wird generell zu undifferenziert geführt. Man muss in Betracht ziehen, dass es sich hier um völlig verschiedene Formate handelt. Das Popfest haben wir damals als Sammelformat initiiert. Man sollte es nicht mit einzelnen Konzerten vergleichen können. Nun kann man hier natürlich die Frage stellen, ob so ein Format gebraucht wird. Wir waren der Meinung, dass genau dies der Fall ist.

Die Entscheidung, dass Festival gratis zu machen, hing einfach mit der Tatsache zusammen, dass es am Karlsplatz auch gar nicht anders möglich gewesen werde, technisch und rechtlich.

Filip Potocki, Arcadia Live: Die Antwort auf diese Frage ist abhängig davon, aus welcher Sicht man die steigende Zahl an kostenlosen Festivals betrachtet: für die BesucherInnen ist das breite und kostenlose Angebot natürlich wunderbar, das macht eine Stadt definitiv lebenswerter. Für die KünstlerInnen schaffen die genannten Festivals mehr Plattformen, sich zu präsentieren. Zudem stellen diese Auftritte auch eine zusätzliche Einkunftsmöglichkeit für MusikerInnen dar, bekanntlich ist das finanzielle Auskommen ja nicht ganz so einfach als MusikerIn.

Für uns als Veranstalter, der auch positiv wirtschaften – also Tickets verkaufen – muss, sind diese Gratis-Veranstaltungen ein zweischneidiges Schwert: steigern diese Auftritte die Popularität des Künstlers, profitieren langfristig gesehen auch die lokalen Veranstalter davon. Allerdings leidet natürlich auch die Zugkraft, wenn KünstlerInnen nicht mal 2 Monate vor einer angesetzten Show eventuell sogar mehrmals bei freiem Eintritt in der selben Stadt spielen.

Rainer Krispel, Autor, Verein Forum Wien Arena: Schwierig. Vorerst muss man differenzieren: Popfest ungleich Donaukanaltreiben ungleich Electric Sping ungleich Gürtel Night Walk ungleich Donauinselfest ungleich Volksstimmefest. Unterschiedliche (Entstehungs-)Geschichten, unterschiedliche (stadtpolitische) Kontexte, unterschiedliche Stoßrichtungen, unterschiedliche Budgets aus unterschiedlichen Quellen. Gratiskultur ist ungleich Gratiskultur, also ist sie weder im Prinzip per se abzulehnen noch im Prinzip per se gut zu finden.

Negativen Einfluss auf die restliche Konzertszene? Weiß nicht, in einer Welt, in der es an sich keine/ wenig Verteilungsgerechtigkeit gibt, warum sie ausgerechnet hier eine vermuten? Wenn Wasser ein Gut ist, dass uns allen gehört, warum soll ich anderseits für die Verknappung eines Kulturguts argumentieren – welche Veranstalter_innen veranstalten denn bitte welche Acts legitimerweise, "richtig"? Und es wird nicht "kostenlos aufgetreten", sondern die Gagen werden eben nicht über Eintritte oder in Relation zu diesen finanziert.

Having said all that: Als Obmann des Vereins Forum Wien Arena hätte ich nichts gegen mehr Kultur zu freiem Eintritt in Erdberg, das müsste aber schon auf vielen Ebenen passen, in einem Gleichgewicht von Form und Inhalt umgesetzt werden.

Ich glaube, dass Bands, die eine gewisse Zugkraft haben, die sie sowohl für Eintritt auf Frei-Events als auch für Veranstalter_innen interessant machen, durchaus auf die Balance achten, auf die Frequenz, in der sie hie wie da auftauchen. Viele andere müssen letztlich spielen, was sie spielen können.

Sind diese Festivals gute und richtige Möglichkeiten, um sich ein Publikum

zu erspielen oder geht man ohnehin unter, weil ein Großteil nur wegen des Events und nicht wegen der Musik da sind?

Möderndorfer: Wir Veranstalter müssen ja mit der recht diskreditierenden Dachmarke des "Gratisfestivals" leben. Das gehört zwar dazu, aber man ist eben sofort in dieser Diskussion drin, die ich vorhin als undifferenziert bezeichnet habe. Die Idee, die wir beim Popfest haben (und andere Festivals wie z.B. der Nightwalk zum Großteil sicher auch) ist die Idee der "Arealbelebungen": Mit qualitativ hochwertiger heimischer Kultur, mit einem Zugang für viele. Diese Idee halten wir für außerordentlich gut und sinnvoll.

Potocki: Klar können sich KünstlerInnen auf diesen Festivals ein Publikum erspielen. Am Ende des Tages ist es auch völlig wurscht, aus welchem Grund genau wie viele BesucherInnen dort hin gehen. Die KünstlerInnen werden gesehen, und haben die Chance zu überzeugen.

Krispel: Sich ein Publikum zu erspielen hat wenig mit so letztlich singulären Ereignissen wie den anfangs genannten zu tun; das funktioniert über viele, viele Gigs, siehe Ernst Molden, 5/8erl, Wanda etc etc. Und: ich wünschte ich wäre in meinem Leben öfter wegen des Events da gewesen.

Zahlen diese Gratis-Festivals über normalem Marktpreis, genau richtig oder sogar zu wenig?

Krispel: In Zeiten einer post-demokratischen, post-kapitialistischen, turbo-deregulierten Welt? Die einen schauen, dass sie kriegen, was zu kriegen ist und die anderen schauen, dass sie mit so wenig wie geht durchkommen. Zwischen diesen

Polen wird geschachert und der jeweils eigene Zugang/ die eigenen Möglichkeiten zum Prinzip erhoben – mündige Musiker_innen hätten aber zumindest theoretisch die Option für ein bestimmtes Geld in einem bestimmten Kontext NICHT zu spielen, so wie mündige Musikliebhaber_innen ihren Konsum sehr bewusst gestalten können.

Potocki: Ganz unterschiedlich, manche sind bekannt dafür besser zu zahlen, manche schlechter.

Möderndorfer: Wieder kann ich hier nur für das Popfest sprechen: Ich finde, dass wir hier eine ausgleichende Funktion zwischen Clubs und kommerziellen Festivals haben, und in dieser Funktion haben wir hier auch eine angemessene und anständige Künstlerbezahlung.

Ist die Kritik nachvollziehbar, dass in Wien zu sehr auf gratis für viele Leute statt auf Qualität gesetzt wird?

Potocki: Gegenfrage: werden Wahlen mit Qualität oder Quantität gewonnen?

Krispel: Ich mag das Donauinselfest auch nicht, aber vielleicht müssen wir alle unsere allfälligen Phobien vor "vielen Leuten" überwinden und den eigenen Geschmack nicht mehr ständig zum Maß aller Dinge erheben? Aber ja, es wäre schön, wenn eine andere Insel möglich wäre.

Sind Sie selbst gern auf solchen Events?

Möderdorfer: Für mich stehen in erster Linie immer die Artist im Vordergrund, es ist also nicht davon abhängig, ob ich viel dafür bezahlen müsste, oder nicht.

Potocki: Habe ich mich so noch nie gefragt, in den meisten Fällen ist man ohnehin aus beruflichen Gründen dort und bekommt vom eigentlichen Geschehen leider nicht so viel mit.

Krispel: Nein, nur sehr bedingt. Anderseits hat mir das diesjährige Popfest eine, nun ja, magische Begegnung beschert. Lee Scratch Perry hat mich einen Moment lang angesehen und fast unmerklich meine Schulter berührt. Der umfassende Frieden, den ich dabei empfunden habe, lässt sich schwer beschreiben, war aber etwas, worum es doch geht – ein erfüllender (Pop-)Moment zwischen/mit Menschen, der seinen Kontext transzendiert.

(*) Organisiert vom Verein Wien macht Kultur. Es gibt dabei starke personelle Überschneidungen zum Waves Vienna. Das Waves Vienna wiederum wurde im ersten Jahr seines Bestehens von der Monopol Medien GmbH, dem Verlag, in dem auch The Gap erscheint, organisiert. Seit 2012 wird das Waves Vienna von der Comrades GmbH veranstaltet. Die beiden Unternehmen arbeiten unabhängig voneinander.

Wie seht ihr das? Was sind eure Meinungen zu kostenlosen Freiluftfestivals? Welcher Aspekt fehlt? Bitte gerne in die Kommentare damit.

Bild(er) © Filip Potocki / Rainer Krispel / Christoph Möderndorfer
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