Das große Schlagwort bei Europas größter Zusammenkunft der Musikbranche – der Midem in Cannes – war die Cloud. Vom Leben und Sterben der Musik in der Wolke.
»Das Urheberrecht ist ein historischer Irrtum inmitten von Jahrtausenden künstlerischer Freiheit und die Musikindustrie soll sterben.« Auch solche Statements konnte man bei der Midem hören, doch der überwiegende Teil der 7000 Messebesucher versucht innerhalb der Industrie, den Musikmarkt zu bewegen – selbst wenn den Musikprofessionellen schon länger die Zukunft unter den Fingern zerrinnt. Seit dem Napster-Desaster keimte in der Branche jedes Jahr neue Hoffnung auf, dass das kommende Jahr nicht ganz so schlimm werden würde wie das vergangene. Mal waren es die sozialen Netzwerke, dann Musik am Handy, iTunes, werbefinanzierte Plattformen, einfachere Lizenzen, dann wieder Monetarisierung durch Remix-Wettbewerbe, Bonustracks, limitierte CD-Editionen und erhöhte Umsatzbeteiligung bei Live-Konzerten. Immer neue Rettungsfloße der Musikindustrie stechen seit Jahren in See – und regelmäßig saufen sie ab. 2011 soll also das Jahr der Cloud Services werden. Alle bauen gemeinsam daran: Google, Apple, die Mobilfunker und die Majors.
Himmlische Jukebox
Die Idee: Musik schwebt in einer großen Wolke. So wie auf YouTube mittlerweile eine schier unübersehbare Fülle an TV-Beiträgen, Kinofilmen und Musikclips abrufbar ist, soll man in der Cloud auf das komplette Musikuniversum zugreifen können. Und das überall und jederzeit. Klingt soweit fantastisch, war nur so bisher nicht umsetzbar – vor allem wegen der ungeklärten Rechtsfragen, aber auch, weil das technisch bisher nicht funktionierte. Mit der rasanten Verbreitung von Smartphones hat sich die Situation aber geändert. Musik soll nicht mehr nur als File-Ursuppe auf dem Rechner liegen, wo man sie mühsam für jedes Abspielmedium eigens synchronisieren muss, sondern wie von Zauberhand zuhause und unterwegs auf verschiedenen Geräten wie Laptop, Autoradio, Tablet oder Handy auftauchen. Unsere elektronischen Begleiter werden bald durchgehend mit dem Netz verbunden und App-ifiziert sein. So soll die Cloud Music Realität werden.
Dabei war bereits vor Jahren die Rede von der himmlischen Jukebox, die das Streamen auf Wunsch möglich machen soll. Doch einige der größten Anstrengungen sind gescheitert: Nokias »Comes With Music« wird beinahe vollständig eingestellt, das britische Sky Songs ebenfalls. Und MySpace ist schon länger nicht viel mehr als ein toter Haufen Sound-Sprühnebel. Die Gründe dafür sind vielfältig. Denn bei allen Anbietern gab es Einschränkungen, die das Musikhören verkomplizierten: Diverse große wie kleine Bands waren nicht verfügbar, man musste mit dem Netz verbunden sein oder die Musik funktionierte nur auf dem Handy, aber sonst nirgends. Und wenn man das Service kündigte, waren nicht nur der Zugang, sondern alle persönlichen Anstrengungen verschwunden.
Marktmacht und Reichweite
Nun unternimmt Sony mit Qriocity einen neuen Versuch. Der erste Eindruck: fad. Auf der Sony Playstation oder einem Sony Bravia-Fernseher wirkt es eher wie eine verwaschene Version von Last.fm – dabei fehlen sogar dessen beste Funktionen, die Artist-Radio-Stationen und User-Library-Radio-Stationen. Die Musik lässt sich nach Genres, Stimmungen und Jahrzehnten filtern, es gibt einen Like-Button und in der Premium-Version kann man sich selbst Playlists zusammenbauen. Alles andere: Fehlanzeige. Qriocity ist aber vorerst gar nicht das Service für die digitalen Eingeborenen gedacht, es soll ältere Leute, die Musik immer noch nicht digital hören, überzeugen, soll einfach bedienbar, einfach durchschaubar sein. Alle wirklich wichtigen Features kommen später. Die da wären: seinem sozialen Netzwerk mitteilen, welche Musik man mag, auf dem Handy jederzeit verfügbar sein, auch offline verfügbar sein.
Eines der erfolgreichsten Cloud-Services weltweit – YouTube – kann schließlich fast überall per Code eingebettet werden, Soundcloud ebenfalls. Dadurch schießen Videos und Tracks wie ein Virus durch das Netz. Ohne dem bleibt Qriocity eine sehr einseitige Angelegenheit mit wenig spielerischen Freiheiten. Stattdessen setzt Sony auf bisher unerreichte Marktmacht und Reichweite. Kein anderes Service kann so schnell auf derart vielen Geräten unter die Leute gebracht werden. Mit den interessanteren Features will sich Sony dafür erst im nächsten Schritt auseinandersetzen. Google und Apple sind noch nicht einmal so weit. Spotify oder Simfy allerdings sehr wohl.
Zugang ist alles
Spotify und Simfy gibt es sowohl am Desktop wie auch am Smartphone, Teile gratis, durch Werbung finanziert, andere Teile nur im bezahlten Abo. Weil es aber so etwas wie eine Lizenz für globale Nutzung von Musik nicht gibt und die Situation in großen Ländern wie Deutschland und den USA besonders schwierig ist, sind beide bisher nur in sehr wenigen Ländern erhältlich, jedenfalls nicht in Österreich – so wie übrigens auch Sonys Qriocity.
YouTube verfolgte in seinen Anfängen einen ganz anderen Weg: Man nutzte rechtliche Grauzonen, stellte geschütztes Material erst einmal online, expandierte und erst nachher wurde verhandelt, ob und wie viel Profit Labels und Bands davon haben sollten. Genau das wurde aber jetzt bei einer Podiumsdiskussion auf der Midem dem Musik-Streamer Mspot vorgeworfen, und das bleibt auch die größte Sorge, die zum Thema Cloud auf der Midem geäußert wurde: Dass irgendwo in Russland oder Indien jemand einen Weg finden wird, die große Wolke anzuzapfen, bevor es ein funktionierendes, legales Service gibt. Denn die Zwölf- bis 15-Jährigen hören Musik heute fast nur noch auf dem Handy, und Zugang ist alles. Wenn es aber wieder nur ein Cloud-Napster, Cloud-Emule geben wird, bevor Apple, Google oder die großen Labels eine sinnvolle Alternative starten, dann wird die Industrie noch weiter schrumpfen – aber auch die auf die es ankommt, die Bands selbst, werden davon betroffen sein. Von Spotify, Simfy, YouTube oder Mspot bekommen sie ohnehin nur ein paar Groschen. Den Fans wiederum wird das herzlich egal sein. Die Wolke kommt so oder so. Ob sie hell oder dunkel schimmern wird, entscheidet sich im kommenden Jahr.
Der Gründer und Geschäftsführer von Simfy, Christoph Lange, wird am 8. Februar bei den »Neue Töne Music Talks« in Wien über das Thema Urheberrecht/ Rights Management diskutieren.
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