Vergangenes Wochenende wurde Innsbruck von der zwölften Ausgabe des Heart of Noise Festivals beschallt. Unter dem Motto »Love Action« traf man dabei in intimer Atmosphäre auf motivierte Künstler*innen und ein hungriges Publikum.
Einmal im Jahr treffen sich – zwischen Nordkette und Patscherkofel – beim Innsbrucker Heart of Noise Festival all jene Menschen, die wegen Fehlbehandlung von Instrumenten aus der musikalischen Früherziehung geschmissen wurden und die erboste »Das ist doch keine Musik!«-Sager beim Vorspielen der eigenen Lieblingstracks nicht als Beleidigung, sondern als Challenge verstehen. Der Alpen-Sportstadt wird somit wieder eine krachende Alternative zum »Samba de Janeiro« am temporären Beachvolleyballplatz geboten.
Es war die bereits zwölfte Ausgabe des Festivals rund um das Team von Chris Koubek, Stefan Meister und quasi allen, die etwas mit der P.M.K. am Hut haben. Heuer fand das Heart of Noise mit reduziertem Titel »Love Action« seinen Mittelpunkt – nach teils covidbedingten Ausreißern ins Haus der Musik und den Kongress – wieder hauptsächlich im Treibhaus, das mit Turm und Keller zwei Locations anbot, die sich in puncto Hitze wenig schenkten. »Jede Location hat eben Vor- und Nachteile«, meint Koubek, wobei die intime Atmosphäre zwischen Publikum und den Künstler*innen des Festivals die Schweißtropfen schnell vergessen macht.
Locals and beyond
Verglichen mit ähnlichen Musikfestivals, die sich einen avantgardistischen Anspruch auf die Fahnen heften, setzt man beim Heart of Noise offenbar auf Nähe statt Elitarismus, auf Austausch statt Segregation. So trifft man nicht selten in den Konzerträumen auf Künstler*innen, die sich rund um ihre Auftritte die weiteren Spektakel anhören. Das Line-up, dessen Gender-Balance jene des letzten Jahres erfreulicherweise locker sticht, zeigt sowohl internationale Gäste als auch eine Melange aus Locals aus Innsbruck und ganz Österreich. Da waren etwa die DIY-Hackbrett-Malträtierer Senyawa aus Indonesien, Übergang-Häcksler Hieroglyphic Being aus Detroit (als Ersatz für die verhinderten Casual Gabberz), der libanesische Ambient-Weichspüler Anthony Sahyoun oder die französische Wahl-New-Yorkerin Leila Bordreuil. Sinnhaft verwoben wurden sie unter anderen mit dem Local-Hero-Lärmer Lukas Moritz Wegscheider, einer ultraschall-schreienden Lissie Rettenwander oder der Plattenteller-und-Konzeptmusik-Legende Electric Indigo.
Was alle Acts gemein haben, ist ein überaus hungriges Publikum, das ihnen gegenübersteht, -sitzt oder gar -liegt. Die überwiegend aus der umliegenden Gegend stammende Crowd, sie zählt zu Spitzenzeiten in der Samstagnacht wohl eine nicht ganz vierstellige Zahl, hört entweder gebannt zu oder überspringt die zwei Sicherheitsbiere an der Bar, um sich direkt dem hemmungslosen Tanz hinzugeben. Man spürt, dass es zu lange still war im Herzen der Alpen.
Lärm-Action
Die musikalische Intensität ist Tag für Tag abholend getaktet: Erst wird im Hofgarten-Pavillon bei natürlichem Licht und Vogelgezwitscher gedöst. Dieses Jahr ohne 2G-Kontrollen, dafür auch wieder zugänglich für Leute, die einen Nachmittag im Park flanieren und von den Klängen angezogen werden. Wie etwa jenes Kind, das die stille Ambient-Performance von Perila durch rhythmisches Klopfen an die schweren Holztüren unter Schmunzeln von Publikum und Künstlerin begleitet. Der öffentliche Raum nimmt indirekt wieder Teil am Musikgeschehen – nature is healing. Einzig Vori-Salzburg-Wien-Rising-Star Kenji Araki lässt sich von der Pavillon-Ruhe nicht aus dem Konzept bringen. Erst kürzlich das Debütalbum auf dem Wiener Label Affine Records veröffentlicht, stellt er nicht nur das Trommelfell, sondern auch Rhythmusgefühl auf die Probe. Nach einer einzigen Handbewegung sitzt niemand mehr auf dem Dielenboden – zuletzt sah man das 1978 in Córdoba.
Auf dem Weg vom Hofgarten zum Treibhaus lassen sich auch dieses Jahr wieder Ausstellung und Performance beim Kubus »Reich für die Insel« mitnehmen. Kuratiert von Carmen Brucic tanzen und singen dort etwa Performer*innen aus der georgischen Szene rund um den trendy Club Bassiani auf. Und zwar derart eingenebelt, dass die sichtlich wenig amüsierte Feuerwehr wegen eines Fehlalarms anrücken musste. Hashtag: lit! Nach einem erholsamen Disco-Nap im Treibhaus angekommen – es liegen drei bis vier Stunden zwischen Nachmittags- und Abendprogramm –, erlebt man die Wellenbewegung erneut: Erst die Immersion, danach die Katharsis. Space Afrika bringen das berührende Gefühl namens »Bei Regen aus dem Autofenster schauen und sich vorstellen, im Musikvideo zu sein« auf die Bühne, The Bug feat. Flowdan erlauben sich zuerst eine Beschwerde über eine zu wenig kraftvolle Anlage, bevor sie mit ihren massiven Kickdrums literally den Boden über dem Keller zum Beben bringen.
Sound- und Naturgewalt
Neben der gelungenen Programmierung ist das Heart of Noise eines dieser Stadtfestivals, die in einer Umgebung stattfinden, die die zuvor erwähnten Wartezeiten zwischen den Programmblöcken durch mögliche Aktivitäten wie eine Fahrt auf die Nordkette erlebnisreich machen. Kaum eine Insta-Story von den Festival-Künstler*innen kommt ohne das obligatorische Seilbahnfoto aus. Bis zuletzt spielt dabei auch das Wetter mit. Erst das eklektische DJ-Sets von Alaska Al Tropical wird in wenigen Augenblicken zum Tropical Fuck Storm, der im Hofgarten die Bäume aus dem Boden reißt, deren Wurzeln wohl Kenji Araki am Vortag gelockert haben dürfte. Man nimmt es mit Humor – Sicherheit geht vor.
Nachdem es das Heart-of-Noise-Team im Vorjahr nicht nur mit gehäuften CoV-Absagen zu tun hatte, sondern auch noch einen Bahnstreik streifte, rackerte es sich heuer zwar mit Flugverschiebungen ab, darf sich aber ganz zur Freude des Publikums im Nachhinein über einen weitestgehend reibungslosen Ablauf freuen. Das erste »Post«-Corona-Heart-of-Noise traf genau dort, wo es gebraucht wurde.
Das Heart of Noise Festival 2022 fand von 2. bis 5. Juni in Innsbruck statt. Ein Aftermovie dürfte folgen. Weitere Infos und Updates zu kommenden Terminen finden sich unter www.heartofnoise.at