Heimat, terrestrisch.

„Toleranz ist kein deutsches Wort“, ätzt der bayerische Kabarettist Gerhard Polt. Heimat durchaus. Beide Präsidentschaftskandidaten haben es im Wahlkampf plakatiert. Ein Fehler des nicht volkstümelnden Anwärters?

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

Selbst habe ich ja mittlerweile ein recht entspanntes Verhältnis zur „Heimat“. Im Gegensatz zum „Volk“ – welches der Germanist Karl Wagner einmal als deutsches „four-letter word“ beschrieb – ist mir der Begriff „Heimat“ nicht mehr von vornherein suspekt. Womöglich liegt das daran, dass, wenn vom Volk die Rede ist, selten der Souverän beschworen wird (von dem in der österreichischen Verfassung das Recht ausgeht); dass das Volk in der politischen Rhetorik meist nur dann bemüht wird, wenn es der Abgrenzung dient. Statt den Ariern sind es heute die Alteingesessenen (die Völkischen sprechen oft von den „Autochthonen“), die vor den Dahergelaufenen, Auswärtigen bewahrt und rein gehalten werden sollen. Es ist ein widerlich gegen die anderen wetterndes Wir, das im „Volk“ stets mitschwingt. Die vermeintliche kulturelle Überlegenheit über unzivilisierte Ziegenficker. Demgegenüber klingt die „Heimat“ heute längst aus jedem Mund anders, oft als Wellness-Vokabel. Eine jede Tochter, ein jeder Sohn hat irgendwie, irgendwo und im Idealfall selbst der oder die Heimatlose irgendwann eine eigene Heimat.

Ganz schön heimatlich: Das Reich von Red Bull

Zwar empfanden es ein paar angehende Altlinke fast als Verrat, dass sich Alexander Van der Bellen – immerhin ein altbekannter Konsenspolitiker – aus ihrer Sicht beim rechten Wählerpotenzial anbiederte, weil er nicht davor zurückscheute, vor schöner Landschaft staatstragend auch den Begriff „Heimat“ zu plakatieren. Doch weder verkleidete sich Van der Bellen in billiger Hofer-Tracht, noch bedeutet der Begriff für die Mehrheit der Menschen a priori das, wovor den Sich-verraten-Fühlenden graut. Es ist nicht der Abwehrkampf der Eingeborenen (zu dem das „Deine Heimat braucht dich jetzt“ des völkischen Kandidaten mobil und zum Schutz und Trutz alle Grenzen dicht machen möchte). Hier prescht kein starker Mann vor, den Angstbeißern und Angsthasen dabei zu helfen, sich im heimeligen Gestern einzuigeln. Die „Heimat“ eines Alexander Van der Bellen weist vielmehr ins Reich von Red Bull. Und das meine ich jetzt nicht etwa, weil in der vom grünen Präsidentschaftskandidaten schöngezeichneten Naturlandschaft in Wirklichkeit alle paar Straßenmeter eine leere Aludose im Acker liegt. Ich meine das jüngst vielgepriesene und lautstark mit Sympathie bedachte Fernsehprogramm des vom Red-Bull-Gründer betriebenen Senders „Servus TV“. Es handelt sich dabei letztlich um einen, wenn man so will, „Heimatsender“, dessen Hoheitsgebiet den überschaubaren Quoten zum Trotz terrestrisch der deutschsprachige Alpenraum ausmacht: Südtirol, die Schweiz, Österreich, der Süden Deutschlands. Da wird recht beschaulich das alpine Lebensgemüt zelebriert, das Brauchtum gepflegt, aber doch dauernd auch offen in die Welt hinausgeblickt – in Dokus, Reportagen oder zurück in die Filmgeschichte. Wie der Begriff verklärt auch der Heimatsender. Alles ist weichgezeichnet, nah dran an der Idylle, in der weltabgewandt die Strommasten und Kondensstreifen der Flugzeuge ausgespart bleiben. Als Kontrast gibt es abenteuerliche Adrenalin- und Actionschau. Hier wird bewahrt, soll aus einem überhöhten Ideal Kraft geschöpft werden. Dass manch einer da direkt aus der Stratosphäre im braunen Sumpf landet, bleibt das Risiko.

Wenn vom Präsidentschaftskandidaten Van der Bellen gleichzeitig aufgefordert wird, dass möglichst „wir alle gemeinsam“ voranschreiten sollen, „mutig in die neuen Zeiten“, dann wird deutlich, dass man sich hier bewusst das verbindende Vorwärts-Moment der Bundeshymne herausgepickt hat. Für einen offenen gedeuteten „Heimat“-Begriff, nicht für das Völkische. Zwar zitiert der Rechtsaußenkandidat geschickt die Verfassung wenn er „Das Recht geht vom Volk aus“ zusammenfasst. Dass Deutschnationale sich hier mitgemeint fühlen und wissen sollen, wem der Kandidat sich verpflichtet fühlt, ist allerdings offensichtlich.

Wenn Van der Bellen von Heimat spricht und auf dem Plakat am Waldrand spaziert, lauert im Gras vielleicht die eine oder andere Zecke auf seinen Hund. Sonst werden allerdings keine Bedrohungsszenarien konstruiert. In der Kulturlandschaft seines Kontrahenten allerdings sprießen die Kornblumen. Heimat ist also wie Beton. Es kommt drauf an, was der Mensch draus macht. Auf meinen persönlichen Heimatbegriff habe ich mich vor Jahren festgelegt. Heimat ist, wo man anschreiben lassen kann.

Thomas Weber, Herausgeber The Gap

@th_weber

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...