Fennesz spielt Orgel. Aber mehr wie ein DJ. Auch sonst konfrontiert er sich mühelos mit vermeintlichen Antithesen. Wie letztens mit Autre Ne Veut.
Natürlich hat man Kindheitserinnerungen, Kirche gehen, genervt sein – Christian Fennesz beantwortet Fragen gerne indirekt. Wie die, ob eine Orgel heute noch sakral klingt. Das ist es auch, was diese Generation avancierter Elektroniker so erfrischend gemacht hat – ja, es gibt die Konzepte, aber niemand würde gleich Programmkataloge damit füllen wollen. Es bleibt immer intuitiv. Es bleibt leidenschaftlich. Für Fennesz war es eine Motivation am Projekt teilzunehmen, um mit den Klischees der Orgel aufzuräumen, glaubt er. Aber auch Johann Sebastian Bach hat er immer gern gehört, unfassbar komponierte Musik, schon die Essenz, wie er sagt, bis rauf zu Arvo Pärt und anderen zeitgenössischen Komponisten. Gerade in der Vorbereitung zu »Spire« hat sich Fennesz intensiv in die Orgel eingehört – »Spire« gibt es immerhin bereits seit neun Jahren, live tourt es in unterschiedlicher Besetzung unregelmäßig durch Europa, meistens in ziemlich riesigen Kathedralen, bis hin zum gotischen Minster in York, 158 Meter lang, 31 Meter hoch.
Fennesz reagiert auf den Kirchenraum, der manchmal mit über zehn Sekunden nachhallt. Er hat über die Jahre Tonnen an Samples gesammelt, alle Register, von unten nach oben, alle Spielarten, Tasten, Klopfen, oder auch nur den Klang des Gebläses. Live werden diese Samples arrangiert, wie von einem DJ, werden bearbeitet und mit den für Fennesz typischen, magisch schimmernden Sounds angereichert. Heute klingt eine Orgel ja eher träge und starr, der Klang steht, die Tonhöhen auch. Früher, da galt die Orgel als Königin der Instrumente. Sie war alt, antik, teuer, irre laut und vielseitig. Spätestens mit dem Computer war das vorbei. Die Möglichkeiten, Sounds zu machen, mit ihnen zu spielen, sind explodiert. Man könnte nun meinen, dass diese langen, schwerfälligen Töne der Orgel für Fennesz eine Hürde darstellen. Aber nein. Im Lauf der Jahre hat er immer wieder bewiesen, wie flexibel er ist, dass er sich in ganz unterschiedlichen Klangwelten wohlfühlt und sie beherrscht. Eben war Autre Ne Veut zwei Tage bei ihm im Studio – großartiger, existenzieller R’n’B also. Beide haben gemeinsam einen Song geschrieben, der demnächst erscheint. Egal ob mit Mike Patton, Patrick Pulsinger, Radio-Symphonieorchester oder David Sylvian, egal ob als Remixer von Nine Inch Nails, den norwegischen Metallern von Ulver oder als Komponist von Filmscores – egal also, ob mit Beats, Noise oder eben Orgel, auch in seiner Vielseitigkeit beweist Christian Fennesz, dass er zu den bemerkenswertesten Musikern elektronischer Musik zählt.
Am neuen Album wird es ebenfalls einige Kollaborationen geben. Zur Inspiration ist ihm das wichtig. Gerade sucht er noch, kämpft mit den Aufnahmen und den Skizzen, ja sogar mit der Software. Es wird eh genau so klingen wie immer, meint Fennesz, als wollte es sich damit Druck nehmen. Mittlerweile arbeitet er wieder von Wien aus. Das »Wienpop«-Buch, in dem er ausführlich vorkommt, hat er nicht gelesen. Es war auch gut und wichtig, von hier wegzukommen. Aber gerade taugt es ihm wirklich in der Stadt, wohnen und arbeiten ist angenehm, die Lebensqualität ist cool. Vielleicht ist er auch deshalb für dieses Album zu seinen Freunden bei Mego, dem Wiener Ausnahmelabel, zurückgekehrt.
»Spire« wird am 11. Oktober in Mautern nahe Krems beim Kontraste-Festival zu hören sein. Der gemeinsame Song von Autre Ne Veut und Fennesz erscheint noch im Herbst 2013. Das neue Fennesz-Album erscheint vermutlich Anfang 2014 auf Editions Mego.