Mit Charli XCX kommt nicht nur das 90er Revival im Pop an, sondern auch noch das ganze Internet mit seinen Cut-up- und Collage-Techniken. Zumindest an der Oberfläche.
Pop hat noch nie bessere Zeiten gesehen. Endlich ist die aufgeblasene Industrie weg, keine teuersten Musikvideos aller Zeiten mehr, keine Alben, in denen neben einem Hit vor allem Songschrott gebündelt ist, kein Marketing-Bullshit. Endlich. Und erst dadurch ist Charli XCX möglich geworden. Dadurch machen Außenseiter wie sie plötzlich Pop, auch, weil es ja sonst niemand mehr macht. Denn die Lebensdauer von dem, was die Casting-Shows und Talentschmieden verlässt, steht mittlerweile bei der einer süßen Katze in einem schwarzen Loch. Außer Justin Bieber natürlich. Heute schreiben die – sehr oft weiblichen – Pop-Sonderlinge selbst ihre Songs, kümmern sich auch um die Details und verneigen sich vor ihren Vorgängerinnen. Sie heißen zum Beispiel Ellie Goulding, Aluna George, Little Boots oder Marina And The Diamonds … und ihre Königin Robyn. Sie alle machen DIY-Pop.
Charli XCX ist auch so eine. Videos dreht sie mit ihrem Freund, packt ihre besten Freundinnen mit rein, schreibt die Songs. Natürlich nicht ganz alleine, aber viel stärker, als man das von einer 20-Jährigen erwarten würde. »I Love It« von Icona Pop, das ist übrigens auch von ihr.
VHS und Buffalos
Ihr junges Alter hilft Charli XCX bei etwas anderem, sie hat die 90er nicht mitbekommen. Man hatte ja vergleichsweise wirklich lange auf das große Revival der 90er gewartet, eines mit Top-Ten-Hits und H&M-Kollektionen. Dabei kommt es jetzt anders, als man dachte – nämlich fast gar nicht über Musik. Wenn nun heute Zeichen neu kombiniert werden, kopiert, verändert und Dinge zusammenkommen, die damals nie zueinander gehört hatten, dann kann ihr das zum Glück egal sein. Latexröcke, VHS-Videoflimmern, Buffalo-Plateauschuhe, bauchfreie T-Shirts, schwerschwarzer Lidschatten – all das wird in ihren Videos frei collagiert. Ja, es gibt auf ihrem Album auch Songs, in denen sie wie zu besten TLC-Zeiten sprechsingt, ein ungelenker Gast-Rap darf sowieso nicht fehlen. Aber sonst bleibt das Album eigenartig zeitlos, es vertraut auf elektronischen Pop und reichert ihn mit ein bisschen Zeitgeist an. Da ein paar verhuschte, zerhackte Vocals, hier ein kühler Witch-House-Synth oder ein Beat der klingt, als hätte man Springsteens »Streets Of Philadelphia« in den Club geholt. Ihre Stimme, die pendelt irgendwo zwischen Saccharinschock und Synthetik, ist fürs Radio nach vorne gemischt, aber sie ist noch nicht wieder erkennbar, viel weniger greifbar als das ganze Drumherum. Wenn man wählen müsste, ob man Charli XCX nun auf Youtube, Tumblr oder Spotify folgt, dann nur in dieser Reihenfolge.
Wenn Charli XCX dort einen Song oder ein Bild postet, dann wird das zu ihrer öffentlichen Identität, dann können Fans dort andocken und auf bunte Share-Buttons klicken. Trotzdem macht Charli XCX keine Tumblr-Musik. Es wird schlicht viel weniger zwischen privat und beruflich getrennt. Heute, sagt sie, wird einfach gebloggt und remixt, alles wird zu einer Collage von Einflüssen, so sei eben die Post-Internet-Welt. Das führt dann automatisch zu einem anderen Verständnis von künstlerischer Arbeit, einem, in dem die Quellen nachvollziehbar sind, dabei aber nicht für jeden fremden Bit bezahlt werden muss. So erst wird DIY-Pop möglich, der mit dem Netz rückkoppelt, aber vor allem mit richtigen Hits in die Zukunft hinausstrahlt.
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