Hosen runter!

Das Adamskostüm liegt in der Kunst- und Kulturszene derzeit hoch im Trend. Warum eigentlich nicht gleich so?

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Da liegt er also, in all seiner Pracht – der nackte Mann. Sein Gesichtsausdruck lässt auf keinerlei Emotionen schließen; wenn überhaupt, dann beobachtet er recht unbeeindruckt das Treiben im Hof des Wiener MQ. Die Blicke derjenigen, die sich da zwischen seinen Beinen, in seinem Schoß tummeln, sind hingegen weniger nichts sagend. Die Reaktionen reichen von neugierig-interessiert, über peinlich berührt bis hin zu empörtem Kopfschütteln. Nein, so was hätt’s früher sicher nicht gegeben. Und gab’s tatsächlich auch bislang noch nicht.

„Der nackte Mann ist unsichtbar.“, wehklagt auch das Lentos Kunstmuseum in Linz und widmet ihm deshalb gleich eine ganze Ausstellung. In "Der nackte Mann" ist der Name Programm, wie auch im Leopoldmuseum. „nackte männer“ kann man also bis Ende Jänner auch in Wien bestaunen. Es gab sogar Diskussionen, wer denn nun zuerst auf die Idee gekommen sei, die männliche Blöße als lukrative Quelle künstlerisch zu erschließen. Doch wie kommt es, dass das Adamskostüm plötzlich so hoch im Trend liegt, blieb es doch bislang meist in der untersten Schublade verstaut?

Einen Anstoß gab nicht zuletzt das Zeitmagazin, dessen Cover vor einigen Monaten ein nackter männlicher Unterleib zierte. Die Empörung folgte auf dem Fuße: Was für die einen einen handfesten Skandal ausmachte, deuteten andere als Chuzpe; viele empfanden es jedoch als wahren Befreiungsschlag. In einer so hypersexualisierten Gesellschaft, wie der unseren, ist es doch erstaunlich, wenn nicht zumindest paradox, dass das Thema Penis & Co im Gegensatz zu weiblicher Nacktheit nach wie vor ein gesellschaftliches Tabu ist.

Die Absurdität beginnt dabei bereits weit über der Gürtellinie: Damen werden angehalten, ihre Brüste in der Öffentlichkeit weitgehend zu verhüllen, wobei es aber erst richtig obszön wird, lugt denn mal die ein oder andere Brustwarze heraus. Der männliche Nippel hingegen führt ein überwiegend unbeachtetes Dasein. Andererseits kann nach der österreichischen und bundesdeutschen Rechtsordnung der Tatbestand des Exhibitionismus ausschließlich von Männern erfüllt werden. Entblättert sich also eine Frau in aller Öffentlichkeit ist das zwar allemal skandalös; eingesperrt werden kann sie aber nur, wenn sie denn auch öffentliches Ärgernis dabei erregt. Ein nackter Mann hingegen ist per se schon ein öffentliches Ärgernis.

Nacktheit wird immer auch als Verletzbarkeit gewertet. Mann hat jedoch stets als stark und unerschütterlich aufzutreten und wo schon verbale Intimität (sprich über seine Gefühle zu reden) oftmals gescheut wird, gilt die nonverbale Form, die Nacktheit, als rotes Tuch. Dabei waren wir Menschen vor einigen Jahrhunderten schon mal aufgeschlossener, was die öffentliche Zurschaustellung von Phalli angeht. Pseudomoralische Rundumschläge gehen heute von jenen aus, die meinen, die fortschreitende Individualisierung unserer Gesellschaft habe mittlerweile zu einer sittlichen Verwahrlosung geführt. (Dieses vermeintlich moderne Phänomen jedoch beanstandet etwa die Kirche bereits seit Beginn unserer Zeitrechnung.)

Außerdem geht es wie so oft um die explosive Mischung aus Konformitätsdenken und Eitelkeit. Die rigiden Schönheitsideale, die uns heutzutage auferlegt werden, üben Druck auf unser persönliches Ästhetikempfinden aus. Mann hat eben auszusehen, als wäre er allzeit bereit vom Fleck weg einen Marathon zu laufen und im Anschluss noch ein Auto in die Luft zu stemmen. Entspricht er diesen Anforderungen (welche nicht zuletzt durch Hollywood an den kleinen Mann kommuniziert werden) nicht, dann gilt er schnell als „nicht Manns genug“. Muckibuden gehören nicht umsonst zu den wenigen Institutionen, denen bislang keine Krise etwas anhaben konnte (obwohl Muskeln entwicklungsgeschichtlich betrachtet eigentlich noch nie so unwichtig waren, wie in der heutigen industrialisierten Welt). Die Ausstellungsstücke im Leopoldmuseum, wie auch im Lentos Kunstmuseum, verfolgen auch deshalb das Ziel, ebensolche vermeintlichen „Unzulänglichkeiten“ zu thematisieren und kritisch zu hinterfragen. Denn die Kunst ist bekanntlich frei und soll es auch angesichts jeglicher Form von Nacktheit bleiben.

Die Ausstellung "Der nackte Mann" im Lentos Kunstmuseum in Linz läuft von 26. Oktober bis 17. Februar. In Wien kann man sich "nackte männer" von 19. Oktober bis 28. Jänner im Leopoldmuseum anschauen.

Bild(er) © Leopold Museum, Lentos Kunstmuseum
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