Wollen wir wirklich die totale Kommunikation? Oder brauchen wir nicht doch manchmal – wie uns die Junkies am Karlsplatz beim Vorübereilen fragen – besser „was Langsames“? Bekenntnisse eines Power-Users.
Eines der besseren Bilder, die mir für das Alltagsleben in sozialen Netzwerken bislang so unterkamen, ist das einer Dusche. Durchaus typisch für Facebook, Twitter und dergleichen kenne ich die Person, von der dieser Vergleich stammt, nicht persönlich.
Der Friend eines Friends meinte, über sein eigenes Nutzungsverhalten befragt, er nehme mehrmals täglich eine ”Social-Media-Dusche“. Was so viel bedeutet wie: ein paar Mal am Tag klinkt er sich in Twitter ein, checkt seinen Facebook-Account, antwortet, reagiert, kommentiert und widerspricht, widmet sich dann aber wieder den anderen, gemeint ist wohl: wichtigen Dingen des Lebens. Das Bild ist einerseits treffend, weil es die Wucht der auf einen niederprasselnden Information verdeutlicht, ihren direkten Fluss und die Anregung, die von einem – vielleicht ein wenig besser – Vollbad in der Meinungsmenge ausgehen kann. Andererseits ist es, wie eine jede Metapher, unzulänglich und trügerisch. Es täuscht nämlich vor, die Person hätte die Sache souverän selbst in der Hand – ganz so wie sich der Wasserhahn regulieren, sich die Temperatur wohldosieren lässt. Unzulänglich ist es aber auch deswegen, weil es suggeriert, dass wir unsere neuen Kommunikationsformen zwischendurch praktizieren.
In Wirklichkeit verhält es sich nämlich eher umgekehrt: sie durchspülen und erfassen einen. Sie ziehen verdammt viel Aufmerksamkeit auf sich. Und Pausen machen wir weniger fürs Kommunizieren, als vielmehr für einen Entzug. Ich spreche da weder bloß aus eigener Erfahrung, noch für eine ganze Generation. Meine Beobachtung basieren vielmehr auf meinem unmittelbaren Umfeld. Sample n = 150 so zirka. Es umfasst im weitesten Sinne die Kommunikationsbranche und digitale Vorreiter – also den neuen Medienmöglichkeiten beruflich ausgelieferte, verpflichtete und deshalb schwer suchtgefährdeten Zeitgenossen. Kaum anders geht es wohl einigen der Menschen, die wir diesmal für unsere Rubrik Wortwechsel befragt haben, wie sich ein 24/7-online-Leben bewältigen lässt. Eine bezeichnet sich da selbst als „Web 2.0-Junkie“, ein anderer wurde als qualifiziert, weil „ständig drauf“ empfohlen. Kein Wunder, dass sich unser Lektor, mit seinen dreiundfünfzig Jahren eindeutig kein „digital native“, bei manchen Antworten „irgendwie an die Argumente von Süchtigen erinnert fühlt: drogenfreier Tag; ist schon bedenklich, aber ich hab’s im Griff; probier’s am besten selbst …“. Sind wir am Ende also doch digitally naive?
Kommunikation als elementare Körpererfahrung
Die eigene Kommunikation im Griff zu behalten, das macht derzeit wohl einigen zu schaffen. Offenbar so richtig zu schaffen. Das belegen auch alle anderen Bilder, die für den Umgang mit zusammenlaufenden Kommunikationskanälen kursieren. Der eine empfindet Atemnot, die andere Rast- und Ruhelosigkeit, eine spürt permanentes Brummen in der Hosentasche ( » Phantomhandyvibrieren), dort wird die Mediengewandtheit von jung und alt als elementar unterschiedlich beschrieben: während die Alten noch zwischendurch zum Luftschnappen auftauchen müssen, sind die Jungen ganz abgetaucht. Ihnen sind – das Bild weitergedacht – Kiemen gewachsen.
All diese Vergleiche zeichnet, einschließlich der Social-Media-Dusche, eine auffällige Körperlichkeit aus. Zudem setzen sie Information als Rohstoff jeweils mit Luft und/oder Wasser gleich. Das heißt: sie werden als allumfassend, vielleicht beinahe lebensnotwendig erfahren. Einen eindeutigeren Beleg für den Stressfaktor einer im Grunde ausschließlich mentalen Angelegenheit gibt es kaum. Ich behaupte: so viele wie nie zuvor fühlen den Puls der Zeit ganz physisch pochen.
Auch ich erfahre am eigenen Leib, dass ich mir meinen halbwegs maßvollen, gesunden Umgang mit den technischen Errungenschaften erst erringen muss. Nächster Schritt in Sachen persönlicher Bewusstseinsbildung: Nachschaun, ob schon jemand die Gruppe „Über Weihnachten und Neujahr ohne Facebook“ ins Leben gerufen hat. Wenn ja: beitreten. Wenn nein: vorreiten.
Thomas Weber, weber@thegap.at