Jahrzehntelang war das Image von Astrologie klassisch das Bild der ’68er-Großtante, die um ihr Geld gebracht wird. Heute sind es eher Business-Meetings, die wegen eines rückläufigen Merkurs verschoben werden. Wann ist das passiert? Eine Annäherung daran, wie wir plötzlich Astrologie zwischen den Zeilen der Planeten lesen.
Es ist für hobbymäßige TrendforscherInnen ein sehr interessantes Gefühl, wenn sich gewisse Regelmäßigkeiten in der eigenen Mediennutzung und im Konsumverhalten ausfindig machen lassen. Wenn auffällt, dass in Memes und Instagram-Captions immer öfter diese lila Kästchen-Emojis mit den verwirrenden Sternzeichen verwendet werden, die man sonst immer weitergewischt hat. Wenn in den hippen Geschäften ganze Tische voll mit Horoskopbüchern – für jedes Sternzeichen personalisiert – aufliegen und du dir dabei zusiehst, wie du sie selbst verschenkst.
Schon seit dem Jahreswechsel 2017/18 ist in der Liebesheirat zwischen Astrologie und Memes eine Nische entstanden, die seither Social Media bestimmt hat. Einer der Stars unter den Meme-Kanälen ist @notallgeminis – eigentlich Courtney Perkins aus Los Angeles, die mittlerweile für The Fader und Garage Astrologieartikel schreibt. Hier hat sie sich vor allem darauf spezialisiert, die Sternzeichen in Popkulturikonografie darzustellen: als Celebrity Airport Looks oder J.Lo-Songs. Unter den Follower von @notallgeminis verstecken sich Frank Ocean und der Instagram-Account der Künstlerin, die anderswo Hyäne Fischer heißt.
Birth Charts in den Charts
Astrologie wird aber nicht nur in Memes verarbeitet. Astrologie ist auch selbst ein Meme. Mit Sternzeichen-Lyrics hat sich eine weitere metaphorische Ebene aufgetan, durch die eigene Musik zu kommunizieren – und es besteht eine große Chance, dass die HörerInnen diese auch verstehen. Das weiß auch Ebow, wenn sie rappt: »Du bist Scorpio? / Ist mein rising / Ich weiß ganz genau, wie dein Mind tickt« (»Neon Licht«).
Wenn sich also vor allem auch MusikerInnen sowieso mit Astro-Memes und ihren Horoskopen beschäftigen, liegt es nicht so fern, dass Festivals ihre Line-ups mit den Sternzeichen ihrer Acts promoten. Der Instagram-Feed des Hyperreality Festivals ist voll mit steckbriefartigen Shareables der angekündigten KünstlerInnen, die sich mit ihren Sonnen und Aszendenten vorstellen. Fragt man Marlene Engel, die Leiterin des Hyperreality, selbst nach der Stellung von Sonne, Mond und Aszendenten in ihrer Geburtsstunde, antwortet sie: »Steinbock, Widder, Zwilling – oder in anderen Worten: arbeitet viel und ist ehrgeizig mit Hang zum Exzess und Exzentrik. Glaub ich.« Da das Hyperreality in diesem Jahr zum ersten Mal unabhängig ist, habe sich das Team lange überlegt, wie man das Line-up ressourcensparend vorstellen könne, ohne einfach nur die Kurzbeschreibungen zu kopieren, die die Agenturen der Acts aussenden. »Ich wollte einen Zugang finden, die Arbeit der Künstlerinnen anders als sonst zu präsentieren, und denke, das ist uns gelungen«, sagt Marlene. Anders hätten wir wohl nicht so schnell erfahren, dass Quay Dash Jungfrau ist und Wwwings Widder mit Aszendent Krebs.
Auf Instagram präsentiert auch Lori Haberkorn ihre Arbeit, die aber ganz anders ist als die der Hyperreality-Acts. Vor gut einem Jahr hat sie sich als spirituelle Coach und Veranstalterin von Mondzirkeln selbstständig gemacht. Ihr »New Moon In Taurus Circle« Anfang Mai war bereits Mitte April ausverkauft. Als sie sich endgültig entschieden hatte, das spirituelle Coaching zum Hauptberuf zu machen, habe sie auf der Stelle alles gekündigt und ihr Astro-Business gegründet. Dann sei es »total irre« gewesen, wie easy und erfolgreich alles von Anfang an gelaufen sei. Gerade jetzt sei eben die Zeit da für spirituelle Angebote. Loris Mutter veranstaltete früher auch einen regelmäßigen Mondzirkel, bei dem sich ein Kreis an immer denselben Frauen in Loris damaligem Zuhause in Oberösterreich getroffen hat. Geheim musste das sein, denn damals seien die »Eso-Tanten« noch nicht so angesehen gewesen. »Als ich noch in Wien war, hatte ich auch das Gefühl, dass sich niemand damit beschäftigt, dass es auch noch überhaupt kein Thema ist. Ich habe jetzt das Glück, dass sich alles schon verändert hat, der ganze Zugang dazu. Ich muss es nicht mehr geheim machen«, erzählt Lori, die mittlerweile in Berlin lebt und arbeitet.
Reale Konsequenzen
Lori nennt die Personen, die ihre Angebote nutzen, nicht KlientInnen oder KundInnen. Sie nennt sie »ihre Frauen« – denn es sind de facto fast immer Frauen. »Ich glaube, dass ganz viele eben langsam realisieren, dass sie so sein dürfen wie sie wirklich sind, und nicht ein Produkt der Gesellschaft sein müssen«, sagt Lori. Astrologie sei ein Tool, den Lebensweg intern und selbstbestimmt zu kalibrieren und nicht von externen Impulsen abhängig zu machen. Auch wenn paradoxerweise externe Planeten die Energie dafür liefern. Egal, ob man dieser Sicht zustimmt, Lori Haberkorns »Frauen« nehmen sich aus ihrem Coaching die Motivation heraus, die sie nicht selten ihre Berufung finden lässt. Überhaupt gehe es in den persönlichen Coachings, im krassen Unterschied zu den eher liebesbezogenen Tarot-Sitzungen, hauptsächlich darum, mithilfe der Planeten weg vom alten Job und hin zur erfüllenden Tätigkeit zu gelangen. Hier könnte man auch das in der Soziologie bekannte Thomas-Theorem unterbringen: »If men define situations as real, they are real in their consequences.« Astrologie ist in diesem Sinne ein soziologisch zu betrachtendes Phänomen.
Auch ein Phänomen: Gerda Rogers. Seit 27 Jahren moderiert Österreichs wohl bekannteste Astrologin die Radiosendung »Ö3 Sternstunden«. Als Steinbock, Aszendent Skorpion, ist sie auch mit 77 Jahren immer noch in ihren astrologischen Praxen in Baden und Linz beratend tätig. Wenn es um Interviews geht, werden Gerda Rogers allerdings auffallend häufig sehr private Fragen gestellt. Ob das mehr damit zusammenhängt, dass Rogers einfach eine Frau im öffentlichen Leben ist, oder mit den eher als intim geltenden landläufigen Assoziationen mit Astrologie? »Das ist ein ganz normales Phänomen, wenn man einigermaßen prominent ist«, sagt Gerda Rogers, »aber natürlich spielt in meinem Fall der Zusammenhang zwischen astrologischem Einblick in das eigene Schicksal und der Realität meines Lebens auch eine besondere Rolle.« Bevor du mir mein Schicksal verrätst, verrate mir erst deines – emotionaler Handel auf dem Rücken der Sterne.
Den Trend, dass sich gerade Millennials wieder verstärkt der Astrologie annehmen, sieht Gerda Rogers nicht so stark vor sich, da sich bei den »Sternstunden« immer schon vor allem junge Menschen an sie gewandt hätten. Im Übrigen sind heutig junge Menschen auch nicht die erste Generation, die den Blick auf die Sterne richtet. Den letzten großen Trendaufschwung hatte Astrologie in der New-Age-Bewegung der späten 1960er-Jahre. Auch damals haben sich Sternzeichen in die Popkultur geschlichen – allen voran das »Wassermann-Zeitalter« als dominierende Metapher in zeitloses Hits wie »Aquarius / Let The Sunshine In« von The 5th Dimension, eigentlich eine Coverversion des Intros aus dem Musical »Hair«.
Anders als Lori Haberkorn berichtet Gerda Rogers, dass sich in ihren Beratungen alles nach wie vor um Liebe und Partnerschaft drehe. »Der Unterschied zu früher liegt wohl eher darin, dass sich sowohl bei Beziehungen als auch im Job das Rad immer schneller zu drehen scheint, wodurch auch Verunsicherung und Ungeduld da wie dort deutlich zunehmen«, analysiert Rogers. Im Grunde auch eine eher soziologische Aussage. Noch vor Gesellschaftsdiagnosen kommt bei Gerda Rogers aber das Coaching-Mindset: »In einem Horoskop sieht man sehr genau, zu welchen Verhaltensmustern der jeweilige Mensch neigt und vor allem warum. Dann ist es unter anderem meine Aufgabe, sie zu Lernprozessen zu ermutigen, die es ihnen ermöglichen, überholte Muster hinter sich zu lassen und sich – gemäß den Möglichkeiten und Aufgaben, die ihr Horoskop aufzeigt – weiterzuentwickeln.«
Ist es dieser dem Hyperkapitalismus inhärenten »Sei dein bestes Selbst«-Fetisch, der Astrologie heute wieder zum erfolgreichen und funktionierenden Trend macht? Oder warum beschäftigen sich so viele Menschen, die Popkultur produzieren, mit Sternenbildern, obwohl sie gar nicht unbedingt an ihr Horoskop glauben? Das ist eine Frage, die viele popaffine Medien in den letzten Monaten für sich beantworteten. Das US-amerikanische Magazin The Atlantic sieht den Millennial-Hype um Astrologie als Symptom entweder der hohen Stressbelastung der Generation oder eines möglichen Cultural Turns, vergleichbar mit dem Aufkommen der Romantik, beziehungsweise als eine Hinwendung von heutig jungen Menschen zu gleichzeitig realen und unrealen Orten, wie auch das Internet einer ist. Hengameh Yaghoobifarah hat für das Missy Magazin schon längst den Begriff der Queer Astrology im deutschsprachigen Raum verbreitet. Ihre These: Astrologie ist wie viele spirituelle Praxen mit einem »Hexen«-Stigma und als grob feminin abgestempelt. Horoskope und Chart-Readings zu verurteilen, sei also ein klassischer Mechanismus des Patriarchats, potenziell widerständige Praxen zu unterdrücken. Auch Marlene Engel warnt, danach gefragt, wie sie persönlich zu Astrologie steht, vor Wissenskolonialismus.
Zum Millennial-Hype-Verständnis gehört eben auch der Zugang über Instagram. Lori Haberkorns on-brand-ästhetisierter Account bringt ihr mittlerweile eigentlich alle ihre KundInnen ein. Es mag paradox erscheinen, dass wir gerade auf Plattformen, die als der oberflächliche Tod unserer Generation gelten, nach einer tiefgreifenden, allumfassenden Erklärung der eigenen Person suchen, die manche in ihrem Geburtshoroskop finden. »Man kommt wirklich zurück zu Essenz. Weißt du, da geht es nicht um irgendeine Oberfläche«, meint Lori. Es wäre zu kurz gegriffen, wenn wir sagen, dass wir eben diese Essenz auf einer LED-Oberfläche suchen. Denn eigentlich, ganz eigentlich, geht es beim jetzigen Astrologie-Trend nicht unbedingt darum, ob wir wirklich Erklärungen finden.
Gerda Rogers und Astro-Memes
Auch Gerda Rogers findet Astrologie-Memes lustig. »Ich bin ein humorvoller Mensch, habe also überhaupt kein Problem mit einem satirischen Umgang mit dem Thema Sternzeichen. Und meistens sind die ironischen Darstellungen der einzelnen Sternzeichen auch sehr zutreffend und bestätigen damit ja nur die astrologischen Erkenntnisse«, sagt sie. Ob es also eine astrologische Erkenntnis ist, dass uns ein Fische-Mond zu PoetInnen macht oder ein Widder-Aszendent zum Boss, steht nicht zur Diskussion, da die Identifikation mit Metaphern meist die eigene Gedankenebene nicht verlässt. Und diese ist bekanntlich radikal frei. Wenn sich ein gewisser astrologischer Habitus allerdings in die Handlungen der Menschen einbringt, die vielleicht gar nicht wirklich oder nur ironisch an Planetenenergie glauben, hat sich ein paradoxer Trend ergeben. Business-Meetings oder Dates, die aufgrund der aktuellen Stellung des Merkurs verschoben werden, sind nur ein Symptom für das Bedürfnis vieler, einen externen Rat befolgen zu können und Entscheidungsgewalt abgeben zu dürfen. »Die Astrologie ist im Prinzip ja nichts anderes als eine Rhythmenlehre, die genaue Auskunft über die unterschiedlichen Zeitqualitäten gibt und zwar auch ganz speziell für unsere individuellen Prägungen und Anlagen. Damit die Dinge so funktionieren, wie ich sie mir wünsche, muss vieles zusammenpassen und es muss der richtige Zeitpunkt dafür sein. Und diesbezüglich stellt die Astrologie, das individuelle Horoskop, eine hervorragende Orientierungshilfe dar«, findet Gerda Rogers. Denkt man das mit Lori Haberkorn weiter, kann die Beschäftigung mit Planetenkreisen der externe Impuls sein. Der Nutzen, den wir daraus ziehen, ist der Output nach der mentalen und emotionalen Verarbeitung in einem selbst.
»I don’t date Geminis«
Denn das Lesen der Planeten ist eben nicht nur ein Tool zur »Energiearbeit«. Durch Astrologie, und vor allem durch die popkulturelle Bearbeitung derer, reflektieren wir Handlungsmuster. Die zwölf Tierkreiszeichen dienen als Metapher für Verhalten, das sich sonst nicht so verkürzt und trotzdem pointiert darstellen lässt. Wenn Lizzo in »Soulmate« singt, dass sie sich davon verabschiedet hat, sich in Geminis zu verlieben, dann heißt das nicht, dass es hier wirklich um im Juni geborene Personen geht. Zwillinge sind bekannt für ihre zwei Gesichter, ihr großes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und danach, sich nicht festlegen zu müssen. Das trifft nicht nur auf Sommerkinder zu, sondern auch auf willkürlich im Jahr verteilte Geburten. Der beliebte Ausruf »I don’t date Geminis« – ob er auf einem T-Shirt steht oder auf dem eigenen Moodboard – bedeutet daher, Personen, die sich wie Geminis verhalten, genau das aufzuzeigen und sich ihrer Negativität für den eigenen Vibe nicht mehr hinzugeben. Astrologie kann also Selbstermächtigung sein. Self Care trifft Empathie – eine Win-Win-Situation.
Selbstermächtigung und -reflexion sind aber gleichzeitig auch Worte, die vielen Angst machen. Die intensive Beschäftigung mit den eigenen Verhaltens- und Denkweisen ist anstrengend und kann unerwartet gut isolierte Ecken aufreißen. Gerade denen, die sich vor jeglichen Therapieformen fürchten, täte eine solche bekanntlich besonders gut. Wenn Lori Haberkorn von ihren »Golden Circle Rituals« erzählt, hört sich das gar nicht so weit weg von einer therapeutischen Gruppensitzung an – natürlich minus dem spirituellen Gehalt. Astrologie kann erstens die bewusste Entscheidung gegen toxisches Verhalten anderer und für Personen, die einem gut tun, sein. Astrologie kann dann zweitens, angewandt auf das eigene Verhalten, eine Annäherung an Selbstaufarbeitung sein – für Personen, die Esoterik näher stehen als der Aussicht, für klassische Therapieformen im eigenen Umfeld stigmatisiert zu werden. Lori berichtet von einer extremen Nähe, die bei ihren Mondritualen im Zirkel entstehe. Enge Freundschaften, auch Jobangebote hätten sich dabei schon ergeben. Networking auf tiefstem Level – es gehe darum, »Masken fallen zu lassen«. Auch Marlene Engel sieht das ähnlich: »Selbst wenn man total skeptisch ist, kann man sich eingestehen, dass es sich um ein Mittel zur Selbstreflexion handelt, ob allein oder mit anderen.« Auf die Frage, ob Hyperreality unter einem guten Stern stehe, fragt Marlene kurzerhand ihre Freundin, Astrologin und Künstlerin Verena Dengler, die die Birth Chart des Festivals daraufhin interpretiert. Hier geht es gar nicht primär darum, was im Hyperreality-Horoskop steckt. Es geht darum, sich über ein Reflexionsinstrumentarium zu unterhalten und zu vernetzen. Besser als Smalltalk.
Das Hyperreality Festival For Club Culture fand von 17. bis 18. Mai und von 24. bis 25. Mai auf der Sophienalpe in Wien statt. Lori Haberkorn ist hauptsächlich als @lorihaberkorn auf Instagram zu finden. Und Gerda Rogers’ ist unter ihrer Beratungshotline 0900 / 600 515 zu erreichen. Mehr Infos zu ihr lest ihr auf ihrer Webseite. Anlässlich unserer Coverstory warf der Astrologe Boro Petric einen Blick in die Sterne über der EU und der EU-Wahl – hier nachzulesen.