Gertraud Leimüller, Vorsitzende der Creativwirtschaft Austria, über die Nährstoffbeziehungen der Bundesländer in die Bundeshauptstadt und den Ideen-Wettbewerb „Braintwister“.
The Gap: Frau Dr. Leimüller, Sie haben bei FAS Research eine Studie über den Vernetzungsgrad der österreichischen Kreativwirtschaft in Auftrag gegeben. Motivation dafür war auch, dass Sie als Vorsitzende der Creativ Wirtschaft Austria innerhalb der Wirtschaftskammer wissen wollten, womit genau es die Interessensvertretung eigentlich bei den Creative Industries zu tun hat. Welche Ergebnisse haben Sie den überrascht?
Gertraud Leimüller: Zuerst wollten wir nur die weißen Flecken erforschen, also die Cliquen, Gruppen und Initiativen, die wir nicht kennen, um mit ihnen in Kontakt zu treten. Doch daraus ist viel mehr geworden: Es hat sich gezeigt, dass die Kreativwirtschaft eine großes, lebendiges Netzwerk über ganz Österreich ist, mit vielen Querverbindungen und einer eigenen Identität. Vieles spricht dafür, dass hier tatsächlich eine eigene große Branche heranwächst. Nicht erwartet haben wir, dass es so starke Unterschiede gibt in der Vernetzung: Es gibt Leute, die fast nur Einzelkämpfer sind und andere, die ein großes, vielfältiges Beziehungsgeflecht um sich herum aufgebaut haben, von dem sie gut leben können.
Ihre Studie hat letztlich mehr als 900 österreichische Kreative ermittelt. Beinahe die Hälfte davon agieren in Wien und von Wien aus. Gibt es aus Ihrer Sicht spezifische Eigentümlichkeiten bei den anderen acht Bundesländern? Ist etwa irgendeine Branche in einem Bundesland besonders stark?
Ermittelt wurden die Schlüsselpersonen in den Netzwerken, das sind rund 900 wirklich gut vernetzte Leute. Das ist der Sauerteig, mit dem wir jetzt verstärkt arbeiten müssen, denn in Summe gibt es ja mehr als 150.000 Personen in der österreichischen Kreativwirtschaft. Spannend ist, dass es neben Wien zwei weitere Hubs in Österreich gibt: Dornbirn und Graz. Überrascht hat uns die Stärke Vorarlbergs. Dort hat sich rund um den Werkraum Bregenzer Wald, die Fachhochschule Dornbirn, die seit zehn Jahren Intermedia unterrichtet und einige starke Unternehmen wie Sägenvier von Sigi Ramoser ein starkes Netzwerk herausgebildet. Vorarlbergs Stärken liegen im Bereich Medien, Kommunikation und Design und in der starken Wien-Achse. Das ist durch das Hin- und Herwandern von Personen zwischen Wien und Vorarlberg erklärbar. Ein typisches Beispiel ist mein Stellvertreter in der Creativwirtschaft Austria, Roland Alton-Scheidl, der vor ein paar Jahren von Wien nach Dornbirn zog. Dieser Austausch ist wichtig.
Zahlenmäßig dominieren die Branchen Design & Grafik, PR & Werbung, Mode und Musik. Gibt es Branchen, die de facto ausschließlich in der Bundeshauptstadt aktiv sind?
In Wien ist die Mode- und Musikszene sehr stark mit eigenen Identitäten und Strukturen. Darüber hinaus gibt es fast überall ein bundesländerübergreifendes, buntes Gemisch an Subbranchen. Klar ist: Wien ist für alle ein wichtiger Hub was Inspiration, Ressourcen und Ausbildung betrifft. Die meisten Bundesländer-Netzwerke haben direkte Nährstoff-Beziehungen nach Wien, wenn man das so nennen will.
Eine sehr starke international orientierte Kreativszene gibt es in der Steiermark – weit über den Großraum Graz hinaus. Wie unterscheidet sich denn die Steiermark vom größten Bundesland Niederösterreich, in dem Kreativwirtschaft keine besonders große Rolle zu spielen scheint?
In Niederösterreich steht die Entwicklung sehr am Anfang: Es gibt viele Einzelkämpfer, die Wien-orientiert und gleichzeitig hungrig nach Vernetzung sind. Das sehen wir am überraschend hohen Interesse an unserem Peer-to-Peer-Coaching „C hoch 3“, das wir dort heuer erstmals und gemeinsam mit der Wirtschaftskammer Niederösterreich durchführen. Im Gegensatz zur Steiermark gibt es in Niederösterreich noch keine kritischen Massen an Akteuren und wenig Identität als Kreativwirtschaft insgesamt. Im Gegensatz dazu hat die Region rund um Graz ein starkes, selbstbewusstes Netzwerk, das sich allerdings noch festigen muss, denn im Moment gibt es dort nur wenige zentrale Akteure. Ohne die CIS (Creative Industries Styria) und ihre Aktivitäten stünde die Steiermark bei weitem nicht so gut da.
Zur Ermittlungsmethode der Studie von FAS Research: Haben Sie sich auch angesehen, ob Männer besonders häufig Männer nennen? Beziehungsweise: Gibt es Beobachtungen, die aus Gender-Sicht interessant sind?
Natürlich sind unter den am häufigsten genannten Schlüsselspielern mehr Männer als Frauen. Andererseits zeigt sich, dass die Hierarchien im Netzwerk der Kreativen nicht so stark sind wie in der traditionellen Wirtschaft: Frauen schaffen es schnell, in die Mitte einer Subbranche oder Region zu rücken, das sehen wir an den Ergebnissen deutlich.
Wird es seitens der Creativ Wirtschaft Austria unmittelbare Maßnahmen geben, die auf den Studienergebnissen basieren?
Ja, die Ergebnisse fließen in unsere tägliche Arbeit ein, da wird noch viel kommen. Eine erste Sache: Wir unterstützen das Wirtschaftsministerium, konkret die Initiative evolve, bei der Maßnahme Braintwister: Über Internet und Veranstaltungen ist über den Sommer und Herbst 2010 jeder aufgerufen, seine Vorstellungen einzubringen, wie die Szenen der Kreativen und ihre öffentliche Sichtbarkeit gestärkt werden können. Die besten Ergebnisse werden dann aufgegriffen. Dieser Bottom-up-Prozess ist vielversprechend und einmalig im Umgang mit Branchen.
Ein Blick in die Zukunft: Welche Ergebnisse sollte eine Studie über die Kreativwirtschaft im Idealfall liefern, wenn sie diese in fünf oder zehn Jahren noch einmal analysieren lassen?
Da sollte ein großes, dichtes Netzwerk herauskommen, in dem Vertrauenswährungen, Geld und Wissen hin- und hergepumpt werden. Was ich mir wünschen würde: Dass die Querverbindungen noch dicker werden, einerseits zwischen den Kreativen, etwa zwischen Design und Musik, Software und Film, weil in Querverbindungen sehr viel Innovationspotenzial enthalten ist. Andererseits braucht es noch stärkere Achsen hinein in die traditionelle Wirtschaft, etwas, was wir Netzwerk-mäßig noch gar nicht untersuchen ließen. Dort können Kreative sehr viel bewirken und von dort kommen oft die Aufträge her, die es braucht, um als Kreativer seine Ideen umsetzen und davon leben zu können.
Gertraud Leimüller ist geschäftsführende Gesellschafterin von winnovation und führt einen wöchentlichen Innovations-Blog auf http://salzburg.com/gewagtgewonnen