Ezra Furman ist King Of Queer und Queen Of Pop. Dass er Wien ganz gern mag, beweist er nicht nur durch wiederholte Besuche der Stadt, sondern auch dadurch, dass er den Backstagebereich des Wiener Flex besser kennt, als sonst jemand.
Du wirkst, abseits von der Debatte um skurrile Haustiere, wie ein sehr spiritueller Mensch. Wie kombinierst du diese, ja religiöse Einstellung, mit dem Rock’n’Roll Lifestyle?
Ich denke, dass die Welt der Kunst, die Welt des Rock’n’Roll, eine gewisse Art von Würde braucht. Musik hat für mich etwas Heiliges. Alleine die Phrase „Rock’n’Roll“ Lifestyle finde ich dabei schwierig. Natürlich existiert der Begriff und auch alles drumherum, was ihn ausmacht, die ganze Szene. Alkohol zum Beispiel wird mir rund um die Uhr – constantly! – angeboten. Aber dieser einfach nur hedonistische Zug hat für mich wenig mit Rock’n’Roll zu tun. Vielleicht war das in den 60ern und 70ern von größerer Wichtigkeit und ist jetzt nur noch lächerlich, ich weiß es nicht.
Für mich bedeutet das Leben, das ich mir als Rockmusiker ausgesucht habe, dass mir die Musik es ermöglicht, den Moment voller auszukosten, als ich es sonst könnte. Abseits von Alkohol- oder Drogenexzess. Ganz nach: dieser Abend passiert nur einmal. Und mein spirituelles Ziel ist es, genau diesen, jeden Moment zu nutzen.
Dein aktuelles Album, "Perpetual Motion People", klingt wie eine musikalische Mischung aller Alben, die du bisher gemacht hast.
Es ist auch genau so. Ich habe diesmal viele alte Ideen wieder hervorgeholt. Vor allem auch schön ältere Phrasen. Mein Notizbuch – bzw. seit Neuestem nun mein Handy – habe ich immer dabei und schreibe eigentlich konstant Satzfetzen oder einzelne Wörter auf. So, wie sie mir gerade einfallen. Wenn man nämlich an einem Song feilt, fehlen einem häufig ein paar passende Zeilen, weshalb ich so etwas wie einen "Phrasenpool" angelegt habe. Das aktuelle Album ist eigentlich nicht mit dem Hintergedanken entstanden, jetzt einen neuen Longplayer auszuproduzieren. Vielmehr ist es so, dass ich so unendlich viele Songs im Kopf oder bereits fertig habe, dass es wieder einmal an der Zeit war, aufzunehmen.
Du könntest also im Halbjahrestakt Alben veröffentlichen?
Du hast keine Vorstellung! Eigentlich könnte ich alle drei Monate ein neues Album rausbringen. Aber vielleicht übertreibe ich auch nur. Es wäre dann wohl nicht mehr so gut, wie es jetzt ist.
Speaking Of Phrasen: Eine Zeile im Song "Restless Year" bezieht sich auf den Tod als Frau (Death was my former employer, death was my own Tom Sawyer, death waits form e to destroy HER). Nicht nur deine Outfits, auch deine Lyrics sträuben sich gegen männliche/weibliche konventionelle Konnotationen.
Es ist mir zuwider, wie die Genderkonventionen – oder vielmehr die Intoleranz gegenüber Diversität Menschen dazu bringt, sich zu schämen. Dass mir das persönlich ein großes Anliege ist, ist kein Geheimnis. Ich habe selbst viel Zeit damit zugebracht, mich unwohl zu fühlen. In der Hoffnung, mich weiblicher fühlen zu dürfen, aber gleichzeitig in dem Glauben, die Gesellschaft erwartet von mir, männlich zu sein. An einem bestimmten Punkt habe ich eingesehen oder mir vorgenommen, tapfer zu sein und für mich selbst einzustehen. Es kostet viel Kraft, ja, beinahe Schmerz, einen Teil von dir selbst zu verstecken, den andere nicht sehen sollen.
Hat deine Familie dir Rückhalt gegeben?
Ich habe großes Glück mit meinen Eltern, mit meiner Familie. Hätten sie sich von mir abgewandt oder nicht versucht, mich zu verstehen, ich könnte nicht das Leben führen, wie ich es jetzt mache.
Ich würde dich gerne nach noch einem Zitat aus einem der neuen Songs fragen. In "Watch you go by" heißt es: I’ve got a bright future in music as long as I never find true happiness. Ist es wirklich so dramatisch?
Gut, dass du fragst. Diese Zeile habe ich sarkastisch gemeint – weil diese Annahme ja wirklich verbreitet ist. Viele Leute nehmen an, dass es Künstlern tatsächlich so geht. Das Interessante oder vielleicht wirklich Tragische daran ist, dass die Künstler bzw. Musiker infolgedessen selbst anfangen, das zu glauben. Dass sie dann fast schon gezwungenermaßen anfangen, ein psychisch und physisch ungesundes Leben zu führen – weil man das als Künstler eben so machen muss. Alkohol, Drogen, alles.
Das ist doch Mist, meiner Ansicht nach. Kreative Tätigkeit hängt nicht mit Leiden zusammen, zumindest nicht nur. Es ist nicht nötig, sich selbst noch mehr Schmerz zuzufügen, nur um daraus Kunst zu erschaffen. Das Leben hält genug davon bereit, auch ohne dein Zutun. Deshalb ist es meiner Meinung nach auch nicht nötig, sich von Heroin abhängig zu machen, um Songs zu schreiben. Ich glaube, je glücklicher ich bin, desto besser bin ich dem, was ich mache.
Du beschreibst dich selbst als schüchterne Person. Ändert dein Erfolg etwas an der Tatsache?
Im Kern bin ich wohl immer noch einigermaßen schüchtern. Ich denke das was sich ändert, ist, dass ich älter werde. Im Sinne von reifer. Ich gewöhne mich an den Menschen, der ich bin bzw. ich fange an, mich damit auch wohlzufühlen. Wahrscheinlich ist man mit 29 Jahren aber generell weniger schüchtern als mit 24.
Immerhin hast du schon einmal den sagenumwobenen 27. Geburtstag überschritten.
Eben. Ich bin unsterblich. Wieso sollte ich also schüchtern sein?
Merci beaucoup.
Ezra Furman performten am 9. November 2015 im Flex. Mit im Gepäck hatten sie ihr neues Album "Perpetual Motion People" und Perlenketten.