"Ich habe einen Schalk im Nacken"

Martin Parr, dem weltberühmten britischen Magnum-Fotografen, wird im Kunsthaus Wien die erste große Retrospektive in Österreich zu Teil. Von seiner erfolgreichen Serie "The Last Resort" bis hin zum jüngsten Werk "Cakes and Balls", eine Fotoserie über Wien, gewährt die Ausstellung "Martin Parr – A Photographic Journey" einen umfangreichen und beeindruckenden Einblick in Parrs fotografisches Schaffen.

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Passend zu den Sommermonaten steigt man mit dem ersten Ausstellungsraum gleich in das britische Strandleben ein. Mit der Serie "The Last Resort" gelang dem 1952 in Epsom, UK, geborenen Martin Parr in den 1980er Jahren der Durchbruch und der Beginn seiner internationalen Karriere. Sie zeigt das rege Treiben im Badeort New Brighton – Kinder, denen das Eis von Hand und Mund tropft, Erwachsene, die in der Sonne brutzeln, gelangweilte, scheinbar unauffällige Gesichter.

Das Komische

Parr erwischt Alltagsszenen (vorrangig der Briten) in Momenten, die Eindruck hinterlassen. In seinen Bildern findet sich eine besondere Ästhetik, etwas Unterhaltsames, das entweder im Augenblick entstanden oder gekonnt perspektivisch in Szene gesetzt wurde. Er arbeitet seit 1982 ausschließlich mit Farbfotografien und einer auffallend satten Farbigkeit. Die gezeigten Werkserien sind allesamt zwischen den 1980er Jahren und heute entstanden.

Der Ausstellungsparcours findet seine Fortsetzung in weiteren Werkserien wie "Small World", wo er thematisch den Welttourismus behandelt, und "Bad Weather", "Think of England" und "Scotland" – oftmals satirische Blicke auf die Bewohner und deren Gepflogenheiten. Komische Auswüchse des Alltags sind genauso zu sehen wie beeindruckend eingefangene Blicke auf das Leben in England. Zehn Johannisbeeren, die bei einem Wettbewerb den dritten Platz machen konnten, genauso wie eine neureiche Dame, die sich die Chanel-Sonnenbrille zurechtrückt. Der Brite hinter den Fotografien ist unverkennbar, es schimmert stets dieser (nicht zu Unrecht klischeehafte) trockene Humor durch, der u.a. zu Parrs fotografischer Handschrift geworden ist.

Das Kritische

Neben dem Komischen steht bei Parrs Oeuvre aber auch die Gesellschaftskritik im Vordergrund. Er seziert das Normale, die Konsumgesellschaft, die sogenannte Erste Welt in ihrer ganzen Unverhältnismäßigkeit. "Knokke Le Zoute", "Luxury" und "Common Sense" etwa sind Werkserien, die sich (sehr offensichtlich) in diese Thematik einreihen. Massentourismus, Eitelkeiten, demonstrativer Reichtum sind eindrücklich dargestellt – teilweise vorgehalten wie ein Spiegel. Parr zeigt die Skurrilitäten einer Gesellschaft, die im Überfluss schwimmt, spielt mit Klischees, fängt sie ein, setzt sie in Szene und zeigt damit auch sehr plakativ, dass diese nicht umsonst existieren.

Etwa die 2015/16 auf Einladung des Kunsthauses entstandene Serie über Wien "Cakes and Balls", die nun erstmals zu sehen ist, ist das reinste Konglomerat aus Klischees. Wien zusammengefasst in Freibadszenen, Bällen, Kuchen und Fleischwaren aller Art. Ironisch, ja, Klischee hoch zehn, ja. Das Wiener Image wie es leibt und lebt – und das tut es eben.

"Martin Parr – A Photographic Journey" ist eine sehr gelungene Ausstellung – kurzweilig und mit den 13 Werkkomplexen interessant aufgebaut (kuratiert von Verena Kaspar-Eisert). Sie gibt einen eindrucksvollen Einblick in das satirisch-kritisch-unterhaltsame Werk Martin Parrs, das hierzulande noch wenig ausgestellt wurde, aber eine tolle Entdeckung ist. Am Ende gibt es neben dem Bereich "Autoportraits" sogar noch die Möglichkeit zum Selfie mit dem (Papp-)Künstler und zur Vernetzung mit dem Kunst Haus. Nette Idee, noch ein bisschen Interaktivität dazu.

Die Sitzecke beim Ausgang mit Katalogen, Informationsmaterial und Videos lässt noch tiefer in die künstlerischen Prozesse des Fotografen eintauchen und bietet die Möglichkeit, den Besuch passend ausklingen zu lassen.

Zur Person

Martin Parr (*1952) lebt in Bristol und ist seit 1994 Mitglied der renommierten Fotoagentur Magnum, der er aktuell als Präsident vorsteht. Von 1970 bis 1973 studierte er Fotografie am Manchester Polytechnic. Neben seinen eigenen Fotoprojekten, für die er um die ganze Welt reist, widmet sich Parr dem Sammeln und Editieren von Fotobüchern sowie dem Kuratieren von Fotofestivals und –ausstellungen. Bisher sind bereits mehr als 90 Publikationen zu seinem Werk erschienen.

Die Ausstellung "Martin Parr – A Photographic Journey" ist bis 2. November 2016 im Kunsthaus Wien zu sehen.

Bild(er) © Martin Parr
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