In 24 Wochen thematisiert Anne Zohra Berrached das heikle Thema Spätabtreibung. Ohne zu moralisieren und empathisch, mit einer famosen Julia Jentsch in der Hauptrolle und LaiendarstellerInnen aus dem medizinischen Bereich. Wir haben die Regisseurin und Autorin zum Gespräch getroffen.
24 Wochen ist ein mutiger Film. Ein Film über die Entscheidungen, die man nur alleine treffen kann, ein Film über das moralische Dilemma der Hauptfigur. Astrid (Julia Jentsch) ist eine erfolgreiche Kabarettistin, sie ist mit ihrem Manager Markus (Bjarne Mädel) verheiratet, die beiden haben eine gemeinsame Tochter. Dann wird Julia erneut schwanger. Die Freude darüber wird bald durch die Nachricht getrübt, dass das Kind schwer krank ist. 24 Wochen begleitet das Leben von Astrid und Markus einige Zeit, die Kamera bleibt dabei immer nah dran, fängt die Emotionen der beiden ein und nimmt den Zuseher/die Zuseherin mit von Arzt zu Arzt, von Untersuchung zu Untersuchung, von Hoffnungen zu Zweifeln und wieder zurück. Ohne zu moralisieren gelingt es Anne Zohra Berrached, den Konflikt des Paares authentisch und empathisch darzustellen. Der Film gibt keine Antwort auf die Frage, ob (Spät-)Abtreibungen verwerflich sind oder nicht, sondern er zeigt vielmehr, dass es Entscheidungen im Leben gibt, die man nur alleine treffen kann – und auch nur dann, wenn man sich gerade in der Situation befindet.
Wir haben mit Anne Zohra Berrached u.a. über Tabuthemen in ihren Filmen, den Einsatz von LaiendarstellerInnen und den österreichischen Film gesprochen.
Der Inhalt des Films behandelt ein Tabuthema. Reizen diese dich besonders und wie bist du zu dem Filmstoff gekommen?
Wenn ich mir meine zwei bisherigen Spielfilme Filme ansehe, dann würde ich schon sagen, dass sie Tabuthemen behandeln. Es sind Themen, die so ein bisschen ungemütlich sind, die in der Gesellschaft gemieden werden. Ich habe mir das nicht bewusst vorgenommen. Wenn ich mir ein neues Thema suche, dann muss mich das für mehrere Jahre interessieren, also versuche ich die Themen zu suchen, die mich wirklich interessieren, denn ich glaube, man kann diese Filme dann ehrlicher machen.
Der Film behandelt das moralische Dilemma der Hauptfigur. Wie schwierig war es für dich, dich diesem Thema passend anzunähern? Und müssen FilmemacherInnen immer explizit Stellung beziehen?
Man muss das nicht, aber ich möchte Stellung beziehen. Ich habe mir vorgenommen, einen Film zu machen, der nicht wertet. Die Entscheidung, wie man zum Thema (Spät-)Abtreibung steht, muss jedeR für sich selbst treffen. Dennoch wollte ich meine Haltung einbringen und die zeigt sich etwa bei der Szene, in der die Hebamme am Bett sitzt und sagt, dass es niemand entscheiden kann, außer die Hauptfigur selbst. Und auch in der Szene, in der Astrid das Interview im Radio gibt. Meine Haltung ist: Egal, was du getan hast im Leben, im Bett liegen und Depressionen haben – diese Zeit ist irgendwann vorbei, du musst wieder aufstehen und hinausgehen. Ich glaube, dass man sich selbst und anderen alles verzeihen kann und sollte. Die Recherche war schwierig. Es war sehr einfach Ärzte, Hebammen und Fachleute zu treffen.
Die wollen auch darüber reden.
Genau. Die waren auch sehr froh, als ich kam und gesagt habe, dass ich diesen Film machen möchte, denn sie meinten, dass es zu diesem Thema noch nichts gibt. Auf der anderen Seite wollten auch Leute mit mir reden, die ein Down-Syndrom-Kind bekommen haben. So richtig schwierig war es, ein Paar zu finden, das abgetrieben hat. Ich habe dann mit einem Paar gesprochen, dass in der 26. Schwangerschaftswoche abgetrieben hat, das war auch gerade zwei Wochen davor passiert. Das war ein absolutes Glück, dass ich die gefunden habe. Ich habe bestimmt ein Jahr gesucht.
Warum ist die Hauptfigur in dem Film Kabarettistin?
Ich wusste, dass der Film in bestimmten Teilen sehr traurig sein wird, das geht auch nicht anders. Wir wollen tiefe Trauer inszenieren, um zu zeigen, wie es den Eltern in so einer Situation geht. Mir war klar, dass ich daher eine Balance schaffen muss, um der Geschichte auch eine gewisse Leichtigkeit zu geben. Als Autorin und Regisseurin möchte ich es der Hauptfigur natürlich möglichst schwer machen. Und dann dachte ich mir: Was ist das absolute Gegenteil von dieser Trauer, die sie hat? Lachen. Und was ist noch schwerer als lachen? Andere Leute zum Lachen bringen. Dann war mir klar, dass die Hauptfigur Kabarettistin sein muss. Außerdem wollte ich, dass sie in der Öffentlichkeit steht. Der Film soll zur Diskussion anregen.
Du hast im Film auch mit Laien-DarstellerInnen zusammengearbeitet, wie es etwa in Österreich mitunter Ulrich Seidl bei einigen seiner Filme getan hat. Vieles war auch improvisiert. Wie gestaltet sich die Arbeit als Regisseurin mit Laien?
Die LaiendarstellerInnen in meinen Projekten kennen die Szene und das Drehbuch nicht. Ich sage zum Beispiel: Bitte geben Sie die Diagnose Down-Syndrom. Und dann machen sie das, wie sie es sonst auch machen. Der Trick ist, dass ich die DarstellerInnen extrem intensiv caste. Ich bitte die Leute auch nie, sich vor der Kamera anders zu verhalten. Ich will diesen Dokumentarfilm-Charakter.
Wie denkst du, wird das Publikum auf den Film reagieren?
Es ist natürlich ein Festivalpublikum, das ich derzeit erlebe, der Film ist ja noch nicht erschienen. Das Festivalpublikum hat den Film viel besser aufgenommen, als ich dachte. Während des Drehs war das etwas anders: Da kamen viele auf mich zu und äußerten Bedenken, ob man über so ein Thema überhaupt einen Film machen könne. Ich hatte auch Angst, dass man an die Figur nicht anknüpfen kann. Es war aber ganz gut, dass ich diese Angst hatte, denn sonst hätte ich den Film nicht so emotional gemacht. Auch wenn jemand Abtreibungen ablehnt, muss er dennoch auf die Reise mitgehen.
Besonders die schauspielerische Leistung von Julia Jentsch wurde von der Presse gelobt. Wie schnell hast du die Rolle besetzt? Ab wann war dir klar, dass Julia Jentsch perfekt für die Rolle ist?
Das hat sehr lange gedauert. Alle waren schon gecastet, nur die Hauptfigur nicht. Normalerweise macht man es ja umgekehrt. Viele wollten diese Rolle nicht spielen, da ihnen das Thema viel zu schwierig war. Es hat mir auch eine große Darstellerinnen einen Brief geschickt und mir gesagt, dass sie 38 sei und noch ein Kind bekommen wolle und sie befürchte, dass mein Film sich zu sehr auf ihre Psyche auswirken würde. Ich habe immer das Drehbuch und auch ein sehr ehrliches Regie-Konzept an die Schauspielerinnen geschickt und da war relativ schnell klar, dass man sich so sehr in die Rolle hineinbegeben muss, dass es kein Entkommen gibt. Man kann es nicht einfach spielen, man muss es in diesem Moment leben. Und es war ja auch wichtig, jemanden zu finden, der darauf Bock hat. Julia ist ja sehr emotional und kann sehr stark ihre Gefühle veräußern. Genau das brauchte ich für den Film.
Warum wolltest du, wie bei deinem vorherigen Film Zwei Mütter, fiktive Inhalte mit dokumentarischen Elementen verschmelzen lassen?
Bei mir machen ja vor allem die Menschen diesen Doku-Charakter aus. Bei diesem Film ist es das medizinische Fachpersonal. Ich wusste, dass ein Schauspieler, um die Rolle eines Arztes zu verkörpern, ewig recherchieren müsste, daher dachte ich, dass ich gleich einen Arzt nehmen kann.
Vorher meintest du ja, dass es leicht war, Ärzte für Interviews zu finden, aber war es auch leicht Ärzte zu finden, die vor der Kamera darüber sprechen wollten und die Rolle übernehmen wollten?
Es war vor allem schwer, den Abtreibungsarzt zu casten. Die Person, die ich dann gefunden habe, fand ich anfangs nicht so geeignet. Er wäre vermutlich nicht meine erste Wahl gewesen, das kann man schon so sagen, aber er wollte dann mitmachen – ohne sein Gesicht zu zeigen und seinen Namen zu nennen.
Das ist ja dann schwierig. Wie geht man da vor?
Ich meinte dann zu meinen Kameramann, dass wir uns dann nur auf die Reaktionen des Paares konzentrieren könnten. Dieser Arzt war dann der Einzige, dem ich den Film im Rohschnitt gezeigt habe, das mache ich sonst nicht. Er meinte, dass alles so real sei und er hat zugelassen, dass sein Gesicht gezeigt werden darf. Im habe ihm im Abspann meinen Namen gegeben, weil ich wollte, dass man mich darauf anspricht, dass diese Menschen auch Angst haben. Vor seiner Praxis liegen faule Eier, weil er einer der wenigen Ärzte ist, die diese Spätabtreibungen durchführen.
In dem Film kommen in einigen Szenen die beiden Hauptdarstellerinnen deines vorigen Films Zwei Mütter vor. Wie kam es dazu?
Die Idee kam mir beim Drehbuchschreiben. Ich dachte, ich würde gerne die Geschichte dieses Paares weitererzählen und ich überlege, sie auch bei meinem nächsten Film miteinzubeziehen (lacht).
Vielleicht kommen sie nun immer vor in deinen Projekten.
Oder Julia und Bjarne (Anm.: die beiden Hauptdarsteller in 24 Wochen). Auch da gibt es Möglichkeiten, wenn das so zu meinen Stil wird und immer ein bisschen weitergeführt wird – das finde ich interessant.
Dein Film war ja auch der einzige deutsche Beitrag in der Berlinale. Wie würdest du derzeit den deutschen Film einschätzen? Was kann er leisten, wann kann er noch nicht leisten?
Allgemein gesprochen ist der österreichische Film radikaler, dadurch gefällt er mir besser. Es gibt mehr österreichische als deutsche RegisseurInnen, die mich interessieren. Diese machen einzigartige Filme, die eigen und mutig sind. Das mag ich, das fehlt mir derzeit beim deutschen Film.
Du warst davor ja auch in der Theaterpädagogik tätig. Konntest du da auch einiges mitnehmen für die Arbeit mit den SchauspielerInnen?
Ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht bewusst an bestimmte Dinge erinnern, die ich mitgenommen habe. Ich habe ja Dokumentarfilm studiert, ich habe nie geübt, mit Schauspielern zu arbeiten. Ich mache es aus dem Bauch heraus und natürlich nehme ich alles mit, was ich im Bauch habe. So wie ich bin, so arbeite ich auch mit den Leuten. Und manchmal funktioniert das gut und manchmal merke ich auch, dass es nicht funktioniert. Ich glaube, ich kann Menschen sehr schnell lesen und einschätzen.
Das muss man als Autorin wohl auch.
Genau. Und das hilft mir bei der Zusammenstellung meines Teams, wo ich einschätzen muss, wer mit wem zusammenpasst. Und manchmal hast du ja auch zum Beispiel ein Vorstellungsgespräch und da musst du den Menschen einschätzen können und das merke ich immer wieder, dass ich das sehr gut kann und auch einschätzen kann, wie der Mensch in Stresssituationen reagiert. Und so stelle ich das Ensemble und die Crew zusammen.
Kannst du uns schon etwas über zukünftige Projekte von dir verraten?
Ich kann leider nichts verraten. Ich werde 2017 den nächsten Kinofilm mit der Produktionsfirma Razor Film drehen. Der Film behandelt das Thema, wie Terror in Menschen entsteht. Es geht mehr um die Vergangenheit als um die Zukunft und um eine sehr bekannte Frau.
24 Wochen startet am 23.09. in den österreichischen Kinos.