Wir sollten uns damit abfinden: Der Herbst hat längst Einzug gehalten. Eigentlich ein guter Grund, um noch mal einen Blick zurückzuwerfen – auf das, was der Festivalsommer so zu bieten hatte. Das Tauron Nowa Muzyka in Polen zum Beispiel.
Tauron Nowa Muzyka (© Eva Egermann)
Nach weniger als fünf Stunden am Ziel: Kattowitz ist im Süden von Polen gelegen und per zügiger Durchquerung von Tschechien zu erreichen. Die Polen nennen die Stadt übrigens Katowice. Das klingt um einiges authentischer.
Tauron Nowa Muzyka (© Radosław Kaźmierczak)
Der katholische Glaube ist in Polen ein großes Ding. Der Besuch einer Kirche wird auch im Rahmen eines Musikfestivals empfohlen.
Tauron Nowa Muzyka (© Eva Egermann)
An der Fassade der St.-Peter-und-Paul-Kirche, in der das Eröffnungskonzert des Tauron Nowa Muzyka stattfand, wurde an einen der größten Popstars des Landes erinnert: Karol Józef Wojtyła.
Tauron Nowa Muzyka (© Eva Egermann)
Die Nebenbühne des Eröffnungsabends blieb unbespielt. Der beworbene Artist ist einfach nicht "erschienen".
Tauron Nowa Muzyka (© Eva Egermann)
Auch auf der Bühne im Hauptschiff war nicht der geplante Act zu sehen. Sohn, hier Auge in Auge mit der Presse, sprang für den verhinderten Chet Faker ein.
Tauron Nowa Muzyka (© Eva Egermann)
Ein Vorteil von Festival-Pressereisen: Wer keinesfalls ausschlafen möchte, kann an einer geführten Tour teilnehmen. Etwa durch die nahegelegene Tyskie-Brauerei in Tichau, die in 15 Jahren ihren 400. Geburtstag feiert.
Tauron Nowa Muzyka (© Eva Egermann)
Dieser vornehme, aber ungeduldige Herr hat nicht nur das Verfahren der Untergärung nach Tichau gebracht, sondern auch die Merkel-Raute.
Tauron Nowa Muzyka (© Eva Egermann)
Freitagabends eröffnete Cakes Da Killa mit queerem Rap das Festivalprogramm und ging dabei gleich mal auf Tuchfühlung mit dem Publikum.
Tauron Nowa Muzyka (© Radosław Kaźmierczak)
Auf der selben Bühne trug später Nozinja bunte Federn. Die Musik des Produzenten und DJs firmiert unter Shangaan Electro und fuhr der mitgebrachten Sängerin so richtig in die Knochen. Das Bild täuscht also ein wenig.
Tauron Nowa Muzyka (© Radosław Kaźmierczak)
Abendstimmung auf dem Festivalgelände. Im Hintergrund: ein Förderturm der ehemaligen Kohlemine.
Tauron Nowa Muzyka (© Radosław Kaźmierczak)
Neneh Cherry im gut gefüllten Zelt der Main Stage, kurz bevor sie in der Matrix verschwand.
Tauron Nowa Muzyka (© Radosław Kaźmierczak)
Dieser wohlerzogene Herr von Who Made Who begrüßte das ausgelassene Publikum im Knien.
Tauron Nowa Muzyka (© Radosław Kaźmierczak)
Auch bei Elliphant, vom aufmerksamen Lichttechniker vorbildlich eingekegelt, wurde fleißig gewunken.
Tauron Nowa Muzyka (© Radosław Kaźmierczak)
Samstags-Headlinerin Kelis wollte zu später Stunde noch mindestens fünf Songs spielen.
Tauron Nowa Muzyka (© Radosław Kaźmierczak)
Beim Abschlusskonzert am Sonntag trat Nils Frahm in der Porzellanfabrik auf. Industrielles Flair und Tasteninstrumente – eine bestechende Kombination.
Der Festivaltourismus hat sich in den letzten Jahren zum großen Geschäft entwickelt. Waren es anfangs vor allem die großen Rockfestivals in England, Deutschland oder Dänemark, die den Musikfreund samt Zelt auf ihre Wiesen lockten, so hat sich der Markt seitdem stark ausdifferenziert – für jeden Geschmack ein Festival und das in mindestens fünf verschiedenen Ländern, die man aus dem einen oder anderen Grund immer schon mal besuchen wollte.
Dabei besonders hoch im Kurs: zentral- und osteuropäische Länder wie etwa Kroatien, das nicht nur mit fachkundig zusammengestellten Line-ups punktet, sondern auch mit Sonne, Strand, Meer, touristischer Infrastruktur diesseits von Camping-Wiesen und – natürlich – einem besonders ansprechenden Preisniveau vor Ort. Wenn das Bier im Heimatland zum doppelten bis dreifachen Preis über den Schanktisch wandert, lohnt es sich auch, ein Festival zum Ausgangspunkt für seinen Sommerurlaub zu machen.
Das Sziget in Ungarn weiß diesen kleinen Wettbewerbsvorteil schon seit Jahren für sich zu nutzen – die Schönheit der Stadt, die besondere Atmosphäre auf der größten der Budapester Donauinseln und das gute Programm waren bzw. sind dabei aber ebenso wichtige Faktoren. Aber auch an Polen, einem der osteuropäischen Musterländer hinsichtlich wirtschaftlicher Entwicklung, ist der Trend zum gut und international programmierten Festival nicht vorübergegangen.
Mit dem Woodstock Festival Poland in Küstrin hat das Land ein ausgewachsenes und musikalisch breit aufgestelltes Großfestival im Angebot, das noch dazu bei freiem Eintritt stattfindet. Eine Nummer kleiner und mit wesentlich zuverlässigerem Gespür für Musik, die auch 2014 noch aktuell klingt: das Open’er Festival in Gdynia, das sich bei den European Festival Awards bereits zweimal in der Kategorie „Best Major Festival“ hat durchsetzen können.
Und wer’s lieber noch ein bisschen spezieller und auch überschaubarer hat, der wird in Kattowitz, der ca. 300.000 Einwohner zählenden Hauptstadt der Woiwodschaft Schlesien fündig. Neben dem (vor allem) in Sachen Gitarren auf allerbeste Kost, aber auch auf Schwerverdauliches setzenden Off Festival, sorgt dort das Tauron Nowa Muzyka alljährlich für den guten Ton – den eher elektronischen nämlich und mit dem Bonus, dass das Festival auf dem Gelände einer ehemaligen Kohlemine, mitten in der Stadt veranstaltet wird.
Das beeindruckende Ambiente – gut erhaltene Industriebauten treffen auf moderne Architektur – geht bestens mit dem musikalischen Anspruch des Tauron zusammen, von instrumentalen Nu-Jazz-Sounds bis hin zu dunklen Minimal-Techno-Klängen alles abzudecken. Was in der Eigendefinition abseitiger klingt als es ist, schließlich geizt das Festival – 2014 etwa mit Acts wie Kelis oder Neneh Cherry – auch nicht mit großen Namen.
Dazu gab’s heuer Verlässliches wie Mouse On Mars, Who Made Who oder Theo Parrish und ein gutes Gespür für Angesagtes – etwa den mit Dub und Hip-Hop verquickten Electro-Pop von Elliphant, Queer Rap von Cakes Da Killa oder den auf Musiktraditionen der südafrikanischen Townships zurückgreifenden Shangaan Electro von Nozinja. Zur Eröffnung ging’s übrigens in eine Kirche, wo der Wahlwiener Sohn, kurzfristig für Chet Faker eingesprungen, den perfekten Rahmen für seine atmosphärisch dichten Klagelieder fand.
Das Ganze mit – je nach Tages- bzw. Nachtzeit – respektvollen bis ausgelassenen Pulbikumsreaktionen sowie – zum Überdauern beider – mit einem Verköstigungsangebot, dem der Begriff Fast Food einfach nicht gerecht wird: von frisch zubereitetem Sushi bis hin zu regionalen Spezialiäten wie Pierogi. Und ja, das Bier ist auch in Kattowitz sehr günstig.
Eine Festivalempfehlung für einschlägig Interessierte sei hiermit dezidiert ausgesprochen. Vor allem auch, weil das Tauron Nowa Muzyka von Wien aus ohne Umsteigen in weniger als fünf bequemen Zugstunden zu erreichen ist.
Anmerkung: Der Besuch des Tauron Nowa Muzyka erfolgte als Teil einer Kooperation und auf Einladung durch das Festival.