Wenn uns das Kapital im 21. Jahrhundert enttäuscht hat und der Seele nicht mehr richtig Treibstoff liefert, besinnen wir uns auf das, was uns niemand nehmen kann, keine Bank und kein Staat – unsere Liebe.
Das neue Album ist besser als »Swim«. Ja klar, darüber lässt sich herrlich streiten, steht aber jetzt einfach mal da. Manche finden die psychedelischen Sachen von früher sowieso besser oder brauchen eine gerade Basstrommel, wie sie bei dem auf den Tanzboden schielenden Daphni-Nebenprojekt häufig zu hören war. »Odessa« ist kein zweites Mal drauf, derselbe Überhit fehlt. Aber dieser andere neue Song da mit dem langen langen Aufbau – für den Club gibt es ja Edits mit mehr Bumms – den konnte man seit dem allerersten zarten Loop, der einem einflüstert, nicht und nicht und nicht und nicht, und nicht und nicht und nicht und nicht ohne dich zu können, bis die Synths immer intensiver brennen, diesen Hit konnte man schon sehr oft unterwegs hören. Vielleicht ja doch ein Überhit. Und weil das erste Album seit vier Jahren durch ein Leck massiv ins Internet gedrungen ist, »Silver« auch.
Love Dance Music
Auf »Silver« hört man das Flüssige ganz besonders, das den Vorgänger schon so einzigartig gemacht hatte. Erst am Ende taucht der Song aus dem Wasserdom auf, die Melodie strahlt, ohne Wabern, klar, hymnisch, gelöst, wie für einen ganz neuen Tag. Das Liquide wird durch Liebe verdrängt, dem Überthema hier. Wie auf dem ganzen Album. Nun wird Caribou gerne damit erklärt, dass er Songs mit Tracks so mühelos verkreuzt hat. Denn früher, da hatte man noch über Gitarre oder Elektronik gestritten, was ernsthaft besser ist. Auf eine Diskussion über die Formate, entweder Club oder Konzert, muss man sich dankenswerterweise heute nicht mehr einlassen. Du willst trollen? Talk to the Caribou. Einen Grammy fürs Lebenswerk setzt es bitte hinterher.
Und ernsthaft, was soll nach so einem Hype eigentlich kommen? Erwartungen sind schwer zu treffen, deine am allermeisten. Ein erfolgreiches Album bedeutet in so einer Situation ohnehin nur, Fans nicht mit neuen Wegen zu sehr zu überfordern oder sie nicht mit dem Gleichen zu fadisieren. Das hier könnte ein Text über solche Alben sein, von The XX, Jamie Blake, Sbtrkt, Mgmt oder The Klaxons. »Our Love« ist nun gleich, aber ein bisschen anders. Zehn Songs mehr aus demselben edlen Holz, feinere Sounds, noch bessere Gefühle. Es ist nicht der große Wurf, der war schon, aber es geht auch um etwas anderes.
Der kanadische Mathematikersohn Daniel Snaith aka Caribou möchte die Komplexität und Textur aller Beziehungen in seinem Leben darstellen, Familie, Freunde, Tochter, im Guten wie im Schlechten, sagt er im Interview. Auf Tour merkte er, wie die Shows immer größer wurden. Leute sangen mit, obwohl das nie das Ziel war und auch gar nicht leicht ist, absorbierten die Musik, machten sie zu ihrer. Caribou vermeidet es, davon zu reden, etwas zurückzugeben. Aber er will sich verdrahten, ankoppeln, Musik machen, die über ihn selbst hinausgeht. Es ist für sie alle. Gelbe, violette und grüne Herzen, die Renaissance von R’n’B, Fußballer und Emo-Rapper, die ihre Hände zu Herzen falten – das hat in den letzten Jahren unsere Timelines besetzt.
Bekommst du noch viele Fragen zu Mathematik?
Bei 40 bis 50 Prozent aller Interviews, würde ich sagen. Meistens drehen sie sich darum, ob ich Mathematik in meiner Musik benutze.
Hast du Druck verspürt, ein zweites »Odessa« zu schreiben?
Ich hab daran gedacht. Es hat lange gedauert, bis mir gedämmert ist, dass etwas mit dem Album »Swim« passiert ist, etwas anderes als mit denen davor. Wir waren auf Tour, die Shows wurden größer und größer. Das hat meine Perspektive verändert. Mir kam also der Gedanke, dass »Our Love« auf dieselbe Art mit den Leuten connecten muss. Aber ich mache schon lange genug Musik um zu wissen, dass ich »Swim« nicht geschrieben habe, damit es jedem gefällt. Ich habe einfach all meine Liebe hineingesteckt. Dieses Album ist zwar kein Geschenk im strengen Sinn, weil es ja verkauft wird, aber mein Ziel war, etwas von mir teilen, etwas für die Menschen zu machen, statt mich nur im Studio einzusperren mit etwas, das nur mich interessiert.
Deine Musik scheint sich von dem Begriff »Liquid Dance Music« weiter entwickelt zu haben. Ist Caribou amphibisch geworden?
Ja, es hat nicht dieselbe Ausstrahlung. Ich wollte sehr direkt auf die Leute zugehen. Es ist ein fokussiertes Album, es soll sich unmittelbar übertragen, statt dich zu umhüllen und sich um dich herum zu bewegen. Für mich ist es trotzdem eng mit dem Album davor verwandt. Es gibt Songs darauf, die auch intim sind, das Ziel war aber fast umgekehrt. »Swim« war mein hemmungslosestes Album, seltsam und esoterisch, ich dachte nicht, dass es so bei den Leuten ankommen würde.
Würdest du sagen, »Our Love« ist nicht so dunkel wie »Swim«?
Ich schätze, es ist ein Album über Liebe. Was ich darstellen wollte, ist die Komplexität und Textur aller Beziehungen in meinem Leben, nicht nur zu meiner Frau, auch zu Freunden, Familie, meiner Tochter. Viele wurden geschieden oder sie kämpfen. Mein Ziel war, ein Album über Liebe zu machen, das diese verschiedenen Seiten von Liebe, die ich erlebe, umfasst. Zugleich ist der Grundton, dass es genau das ist, was es wundervoll macht. Dass es so komplex ist, das gehört gefeiert. Generell ist es sicher ein optimistisches Album.
Auf dem Album werden Stimmungen oft lang aufgebaut, Songs entwickeln sich linear, gehen nicht zurück zum Refrain, obwohl sie Schlüsselthemen und Leitmotive haben, also fast wie in klassischer Musik. War das Absicht oder ist das … passiert?
Ich bin nicht sicher. Es gibt einige Songs, die das machen und andere nicht. »Can’t Do Without« ist ein großes Crescendo und das ist es. »Our Love« biegt links ab und kehrt nicht mehr zur ursprünglichen Idee zurück. Ich glaube, durch das »Daphni«-Album, das geradeaus funktionale Dance Music war, machte es mir wieder Spaß, auf andere Art über Musik nachzudenken, ob es nun Strophe-Refrain ist oder etwas, das unerwartbarer ist, durchkomponiert, in einer Linie, die nicht unbedingt gerade ist, sondern irgendwo anders hingeht.
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