Das neue Wien

Das Zeit-Magazin hebt Wien auf sein Cover. Drinnen lauter Leute, die schon bei The Gap auf dem Cover waren. Das schmeichelt, stimmt im Detail natürlich oft nicht. Was uns dabei aufgefallen ist.

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„Begegnungen mit einer neuen Generation von Wienern“ ist ein Lobgesang auf Wien in all seinen sonderbaren Facetten. Einiges von dem was im Zeit Magazin über das Leben in Wien geschrieben wird ist wahr, anderes schmeichelhaft, manches aus der Luft gegriffen. Dass mit Wolfram, Bilderbuch, Vea Kaiser und Stefanie Sargnagel gleich vier Leute üppig vorkommen, die bereits das Cover von The Gap schmückten, freut uns. Aber Wien wäre ja nicht Wien, wenn man nicht auch etwas zu kritisieren hätte.

Wir haben den Artikel von einer deutschen Autorin, die schon lange in Wien lebt, lesen lassen und je sieben Punkte herausgegriffen, denen wir widersprechen bzw. zustimmen.

Nope.

#01 "Seine Generation, sagt Maurice Ernst…"

Ja, als Bilderbuch darf man sich wohl Aussagen über die eigene Generation anmassen. Die neue Generation von Wienern wird hier vertreten durch Maurice Ernst, Vea Kaiser, Wanda, Stefanie Sargnagel, Stefan Redelsteiner, Julian Schneyder … natürlich sind diese Menschen gerade Phänomene in der deutschsprachigen Popkultur, die untrennbar mit Wien verbunden sind, nur eben auch ein für den Feuilleton besonders interessanter, aber kleiner Teil. Sie treffen den Ton der Wiener Kreativenszene, aber das ist eben eine Blase. Tatsächlich ist es genau unsere Blase, aber es gibt eben auch eine Menge junger Leute und Austauschstudierende, die sich mit genügend anderen Figuren identifizieren.

#02 "Wenn jemand fragt, wofür du stehst, sag für Amore. Das singen Wanda aus Wien und werden dafür überall gefeiert."

Wanda werden gefeiert. Aber längst nicht überall. Spätestens seit „Bussi“ wurden Stimmen laut, die nicht so begeistert sind. Unvergessen der Veriss im Rolling Stone, in dem der Autor sich nicht entscheiden kann ob „die grausame Fahrstuhlmusik zum Schafott des guten Geschmacks“ schlimmer ist, oder das „zusammengefakte Plastik-Image der Band, das irgendwo zwischen Wiener Zuhälterromantik, Tinder-Profilfoto-Elend und professionellem Autodrom-Einparker-Chic herumkrebst“. In der Süddeutschen Zeitung kämpft lustigerweise eine Stefanie Sargnagel im Bezug auf Wanda mit ihrer Ambivalenz von Ekel und Faszination. Ja, Backlash halt. Sowieso normal und gesund.

#03 [Anm. Jungschauspielerin Jasna Fritzi] "Bauer lebt mit ihrem Mitbewohner in einer 160 Quadratmeter großen Wohnung mit Parkett, Stuck und Kachelofen. Das sei nichts Besonderes. Und tatsächlich ist es egal, wen man fragt, alle schwärmen von der Wohnsituation in Wien."

Na gut. Wir leben also auf 160 Quadratmeter. Es ist ja nicht zu bezweifeln, dass es sich in Wien sehr schön lebt, und tatsächlich muss man eher suchen, um eine Wohnung zu finden, die kein Fischgrätparkett und Raumhöhe von vier Metern hat. Aber genau wie in Berlin ist die Wohnsituation zumindest für die Wahlwiener mit massiv steigenden Mietpreisen und zunehmendem Wohnraummangel verbunden. Mehr Raum für viel weniger Geld gibt es zum Beispiel auch in Leipzig oder Dresden. So schlimm wie in Salzburg, Innsbruck, München oder Hamburg ist es natürlich noch nicht, aber bleiben wir bitte mal realistisch.

#04 "…mit der [die neue Generation] von neuen Nachtclubs wie der Grellen Forelle um drei Uhr morgens in einen mehr als einhundert Jahre alten Laden wie die Eden Bar weiterzieht"

Leute gehen in Clubs (von denen derzeit einige schließen). Leute gehen in Bars (und sagen nicht Laden dazu). Sie tun das üblicherweise in der anderen Reihenfolge. Aber niemand ist bisher von der Forelle in die Eden Bar weitergezogen. Passiert nicht.

#05 "Wien erlebt in jeder Hinsicht glänzende Zeiten."

Ja, es passiert so viel und das ist natürlich höchst erfreulich. Der Grundtenor des Artikels zeichnet eine generelle Aufbruchstimmung in Wien. Das ist paradox. Die Langsamkeit, das Antiheldentum und der Nicht-Ehrgeiz, der so besungen wird unterbindet ja diese Aufbruchsstimmung, die man in Wien auch schlicht und ergreifend so nicht findet.

#06 "Thomas Glavinic, der von manchen der ‚Bukoswki von Wien‘ genannt wird"

Said no one ever. Außer dieser Artikel.

#07 Boy Wear

Da sitzt Jasna Fritzi Bauer mit leicht arrogantem Blick und offenen Beinen auf einem Holzhocker und trägt einen Boy-Sweater. Boy-Stuff haben wir hier in Wien auf cirka zwei Parties gesehen. Sonst gehört der Stuff bitte an den Schädel von Fuckbois in London.

Weiter zu 7 Dingen, die das Zeit Magazin ziemlich richtig erkannt hat.

Bild(er) © 1,2: Zeit Magazin, 3: Daniel Gebhart de Koekkoek, 5: Niko Havranek, 6: Marlene Mautner
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