»Feminismus, mehr davon!« – Interview mit Marie Luise Lehner zu »Geh Vau«

Anton besucht Thea in ihrer WG. Bis es zum Geschlechtsverkehr, also zum »Geh Vau« zwischen ihnen kommen könnte, wird er mit Gesprächen über Sex, mit einer frisch geduschten Mitbewohnerin und einem Traum, in dem Erdoğan eine Rolle spielt, konfrontiert. Der feministische und lustige Kurzspielfilm »Geh Vau« ist neu in der Cinema Next Series kostenlos zu streamen. Wir haben die Filmemacherin Marie Luise Lehner zum Interview gebeten.

© Hanna Hofstätter

»Geh Vau« ist die nächste Veröffentlichung in der Cinema Next Series, die regelmäßig auf der Streamingplattform Kino VOD Club kostenlos spannende Filme von heimischen Filmtalenten präsentiert.

Cinema Next: Der Film beginnt mit einem Close-up einer Intimrasur – sicherlich eine einzigartige Szene, wie man sie so oft nicht sieht im (österreichischen) Film. Was bedeutet dieser Einstieg für dich?

Marie Luise Lehner: Das große Anfangsbild der Vulva der Protagonistin Thea (im Gartenbaukino Wien auf 15 × 6 Meter groß hat mir das eine kindliche Freude bereitet) steht vor einem Film, in dem es um eine weibliche Perspektive auf Sex geht. Es werden Gespräche über Männer, die Kondome verweigern, und Geschlechtskrankheiten aus der Perspektive von Frauen mit Vulven geführt. Es werden schamlos gesellschaftlich schambehaftete Themen besprochen, »Geh Vau« ist ein Film über Peinlichkeiten und das Überkommen dieser Peinlichkeiten durch ehrliches Kommunizieren. Der Film handelt von einem männlichen Objekt der Begierde, das von einer Frau angeschaut wird, es geht um Sex-Toys und es geht um Sex. Es wird also nicht nur eine Vulva als erstes Bild des Films gezeigt, Vulven und der Umgang mit ihnen ist ein omnipräsentes Thema.

Thea und Paula wohnen gemeinsam in einer WG, in der Körperlichkeit und Sexualität nichts Ungewöhnliches sind. An diese Direktheit muss sich Anton, der männliche Hausbesuch, erst mal gewöhnen. Was war dir wichtig in der Zeichnung deiner Charaktere?

Mir war wichtig, dass alle Charaktere sympathisch sind. Anton ist ja dadurch, dass er zu Besuch kommt und die Situation nicht versteht, erst mal die Identifikationsfigur für das Publikum. Mir war bei ihm wichtig, dass er sich von der Situation, in die er gerät, nicht einschüchtern lässt. Er ist eben ein cooler Typ, der damit klarkommt, wenn er Neuland betritt, in dem er sich nicht auskennt und nicht in einer dominanten Position ist. Bei den beiden Frauenfiguren war mir wichtig, dass sie eine liebevolle Beziehung zueinander haben. Thea ist ein bisschen unbeholfen und ich wollte, dass sie sich ein wenig eigenartig verhält. Sie ist sehr selbstbewusst, aber in Wirklichkeit schon auch aufgeregt.

Ich glaube auch, dass sich das Publikum mit einer Figur identifizieren kann, die unabsichtlich Dinge tut, die ein wenig seltsam sind. So sind wir ja alle manchmal: dass uns in einer Dating-Situation vielleicht auffällt, dass etwas, das wir getan haben, womöglich peinlich sein könnte. 

Stört es dich eigentlich, wenn dein Film als »feministisch« beschrieben wird, nur weil du deinen Film so erzählst, wie du ihn eben erzählst?

Eine Freundin hat mich gefragt, ob der Film ein feministischer Film sei, und ich habe geantwortet, ich finde, es ist einfach ausnahmsweise mal ein normaler Film. Der Film ist nicht sexistisch und im Film gibt es Frauen, die einen Charakter besitzen, aktiv handeln und die einander etwas zu sagen haben. Aber es stört mich nicht, wenn der Film als »feministisch« beschrieben wird, es ein tolles Adjektiv, das für mich mit ganz vielen positiven Eigenschaften einhergeht. Es ist vielleicht eine andere Art zu sagen: »Prädikat wertvoll« oder »guter Film«.

Ich habe überhaupt keine Scheu davor, sehr laut und leidenschaftlich für feministische Belange einzustehen. Nicht nur in meinem persönlichen Umfeld oder im Bezug auf die Inhalte der Filme, an denen ich arbeite. Auch am Set. Auch im Umgang mit den Schauspielerinnen. Auch an der männerdominierten Filmakademie. Auch bei der Vergabe der Filmförderung. Mehr als die Hälfte der österreichischen Bevölkerung sind Frauen, wir haben mindestens den halben Kuchen verdient! Feminismus, Feminismus, Feminismus, im österreichischen Film brauchen wir definitiv mehr davon! 

Filmstill © Hanna Hofstätter

Wie viel in »Geh Vau« ist kollaborativ entstanden, wie viel nach striktem Drehbuch?

Mein Zugang zum Filmemachen ist ein kollaborativer. Ich finde es sehr wichtig, dass die Filmarbeiterinnen in allen Departments sich einbringen können, damit zum Schluss das Beste herauskommt. Ich versuche immer herauszufinden, wie weit sich die klassische Sethierarchie auflösen lässt. Für das Drehbuch gab es ein grobes Konstrukt, das ich an die Schauspieler*innen herangetragen habe, und gemeinsam haben wir einen Text erarbeitet, der dann in den Szenen gesprochen wurde. Mir war wichtig, dass sich alles natürlich, entspannt und vertraulich anfühlt.
Der Traum, den Thea im Film vorliest, ist von der Schauspielerin Ekaterina Heider selbst geschrieben. Ich durfte mir einen Traum aus einer großen Sammlung an Traumtexten aussuchen, sie ist eine Autorinnenkollegin die ich sehr schätze, mit der ich auch in unserem feministischen Writers’ Room »Kollektiv Spreiz« zusammen Filmdrehbücher schreibe.

Ich mache gerne sehr wenige Takes. Beim Dreh, bei dem die beiden Schauspielerinnen am ersten Tag nackt waren und später auch geschmust wurde, war mir wichtig, Frauen in allen technischen Departments zu haben. Wir waren ein kleines sehr liebes Team, das aus ausschließlich Frauen bestand, außer Matthias, der sehr leckeres Catering gemacht hat und beim Drehen nicht anwesend war. Wir hatten einen sehr entspannten, witzigen Dreh.

Welche ist deine Lieblingsszene in »Geh Vau« und warum?

Es fällt mir schwer eine Szene herauszupicken, ich mag den Film wirklich gerne und finde, uns allen ist es gut gelungen, durchwegs so lustig zu sein, dass ich selber, nachdem ich ihn fünfzigtausendmal gesehen habe, immer noch über die Szenen lache. Ich mag die Szene gern, in der die beiden Frauen miteinander über mögliche Sportarten sprechen, die sie machen könnten, und Paula Nordic Walken vorschlägt. Ich mag die Szene, in der Thea Erdoğan falsch ausspricht und Anton sie zweimal ausbessert, und ich mag auch sehr gerne die wortlose Szene, in der eine große Menge an Sex-Toys ausgepackt wird.

Marie Luise Lehner ist Autorin, Filmemacherin und Musikerin in der Band Schapka. Sie studierte in Wien am Institut für Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst, aktuell studiert sie Drehbuch an der Filmakademie Wien und kontextuelle Malerei an der Akademie der bildenden Künste. »Geh Vau« lief im Wettbewerbsprogramm der Diagonale ’20 – Festival des österreichischen Films. Foto © Sarah Tasha Hauber

Eine Interview-Reihe in Kooperation mit Cinema Next – Junges Kino aus Österreich.

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