Im Frühjahr, wenn die ersten Jahrmärkte wieder in Österreichs Gemeinden Einzug halten, locken Schießbuden, Autodrom und andere bunte Fahrgeschäfte zur kurzweiligen Unterhaltung. Die Künstlerin und Kuratorin Veronika Barnaš hat die Schausteller*innen, die diese Geschäfte betreiben, für ihren Kurzdokumentarfilm »Fahren« begleitet. Der Film ist neu in der Cinema Next Series kostenfrei zu streamen. Wir haben die Regisseurin zum Interview gebeten.
»Fahren« ist die nächste Veröffentlichung in der Cinema Next Series, die regelmäßig auf der Streamingplattform Kino VOD Club kostenlos spannende Filme von heimischen Filmtalenten präsentiert.
Bevor du den Film »Fahren« gemacht hast, hast du dich schon länger wissenschaftlich-kuratorisch mit Geschichte und Phänomen fahrender Schausteller*innen beschäftigt. Woher kommt dein Interesse an dieser Form gesellschaftlicher Unterhaltung?
Veronika Barnaš: Den Berufstand der fahrenden Schausteller*innen lernte ich 2016 im Rahmen meiner kuratorischen Arbeit für die Ausstellung »Urfahraner Markt – 200 Jahre Linzer Lustbarkeiten« im Nordico Stadtmuseum Linz kennen. Ich hatte mir davor nie überlegt, wer die Karusselle und Schießbuden eigentlich betreibt. Danach wollte ich es genauer wissen und begleitete filmend zwei Unternehmen drei Saisonen lang auf ihren Routen durch Österreich.
Die Geschichte der fahrenden Schausteller*innen und damit des Jahrmarkts ist eine sehr vielfältige: An den diversen (historischen) Unterhaltungsformaten lässt sich einerseits ablesen, was gerade gesellschaftlich gefragt oder verpönt war beziehungsweise ist, und andererseits auch die Technik- und Mediengeschichte. Fahrende Schausteller*innen erfüllten ja lange eine wichtige Funktion in der Informations- und Technikverbreitung. Gleichzeitig wurden sie ob ihres mobilen Arbeits- und Lebensstils marginalisiert, galten quasi überall als »Fremde« und ihr Geschäft mit dem Vergnügen war zwar beliebt, wurde aber gleichzeitig nicht wirklich als »Arbeit« angesehen.
Manche Schausteller*innen sind früher mit ihren Fahrgeschäften sogar bis nach Dubai oder Peking gereist. Mittlerweile befahren sie vor allem Österreich. Ein Schausteller im Film sagt, die beste Zeit sei zwischen 1970 und 2000 gewesen. Was hat sich hier in den letzten Jahrzehnten geändert?
Der Aktionsradius des Ehepaars Erich und Elfriede Avi, das ich im Film begleite, ist außergewöhnlich. Nachdem sich ihr selbstentworfenes Überkopffahrgeschäft Typhoon als zu groß für den österreichischen Markt erwiesen hatte und sie in Deutschland keine Stellplätze dafür bekamen, mussten sie einen anderen Markt finden. Über Kontakte reisten und arbeiteten sie, vom Libanon aus startend, auf der Arabischen Halbinsel und machten unter anderem Station in Bahrain, Katar und im Oman. Schließlich verkauften sie Typhoon nach Dubai und Erich Avi arbeitete eineinhalb Jahre als General Manager eines Vergnügungsparks in Peking. Nach über zehn Jahren kehrte das Ehepaar Avi wieder nach Österreich zurück und betreibt hier nun Kinderfahrgeschäfte.
Den Rückgang des Geschäfts ab ca. 2000 führen die fahrenden Schausteller*innen auf die Verbreitung von Handys und PCs zurück, die nicht nur neue, individuell konsumierbare Unterhaltung bieten, sondern auch Geld kosten, das dann am Jahrmarkt nicht ausgegeben wird.
Es sind vor allem Familien, die die Geschäfte betreiben und sich auch der Generationenfrage stellen müssen: Wer übernimmt mal das Geschäft? Sind Fahrende Schausteller*innen eine dying species?
Den Nachkommen steht die Berufswahl inzwischen meist frei und viele von ihnen wählen andere Berufe, in denen der zeitliche Aufwand kalkulierbar und das Einkommen gesichert ist. Es ist anzunehmen, dass es in Zukunft weniger, aber dafür größere Unternehmen geben wird. Die Covid-19-Pandemie, von der dieses saisonale Gewerbe schwer betroffen war, dürfte diese Entwicklung noch beschleunigen. Ganz verschwinden wir dieser Berufstand aber in absehbarer Zeit nicht, da das niederschwellig zugängliche Spektakel Jahrmarkt noch immer sehr populär ist. Es bietet jedermann/-frau relativ günstig außergewöhnliche Erlebnisse und für einen kurzen Zeitraum eine bunte und laute Gegenwelt zum Alltag. Geboten werden dort vor allem körperliche Rauscherlebnisse – sei es im Bierzelt oder in den mechanischen Fahrgeschäften, die einen Moment der Leichtigkeit und des Schwindels auslösen. Nicht zuletzt sind große Jahrmärkte für einzelne Gemeinden auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Eine zwar typisch ländliche, aber dennoch etwas absurde Szene ist, als ein Pfarrer im Autodrom die Schausteller*innen und ihre Arbeit segnet. Welche Szene oder welcher Aspekt deines Films hat für dich persönlich einen besonderen »Schauwert«?
Der ökumenische Schausteller*innen-Gottesdienst, den man in »Fahren« sieht, fand in Linz am Urfahraner Markt statt. Er wird auf unterschiedlichen Jahrmärkten in Österreich immer Freitagmittag abgehalten, da die Schausteller*innen am Sonntagvormittag, wenn das beste Geschäft startet, nicht in die Kirche gehen können. Das ist eine alte Tradition, von der Besucher*innen bewusst möglichst wenig mitbekommen sollen.
Besonderen Schauwert – neben den Fahrgeschäften in Aktion – hat es für mich, wie ihre komplexen Maschinerien »einfach« auseinander- und wieder zusammengeklappt werden. Ich finde es immer noch faszinierend, wie aus nur einem Lkw-Anhänger ein Autodrom entsteht. Auch die »exotischen« Kulissenbemalungen, die tradierte Sehnsuchtsvorstellungen und -orte wie einen Palmenstrand darstellen, der dann vor einer rauen Berglandschaft oder grauen Wohnsiedlung steht, haben für mich einen besonderen Reiz – aber eher einen etwas melancholischen.
Die Geschichten in deinem Film und auch das Spektakel der bunten Fahrgeschäfte hätten Potenzial für einen längeren Film. Bleibst du an diesem Thema dran?
Ich bin weiter am Thema dran, im Moment aber mehr in der wissenschaftlichen Forschung. Zurzeit fahre ich in Italien die historischen Routen eines fahrenden Schaustellers nach, der Ende des 19. Jahrhunderts mit einem Panorama durch die K.-u.-k.-Monarchie reiste. An seinen damaligen Stationen suche ich in Archiven nach Spuren – etwa Dokumenten oder Fotos – von ihm und anderen fahrenden Schausteller*innen. Während ich unterwegs bin, filme ich aber auch wieder, und eine längere Dokumentation ist angedacht. Sehr gerne möchte ich aber auch noch einen Film nur mit Aufnahmen von den Fahrgeschäften in Aktion machen. Material, das ich in »Fahren« nicht verwenden konnte, habe ich dafür jedenfalls noch genug in petto.
Die Frage müssen wir stellen: Hast du ein Lieblingsfahrgeschäft und warum?
Ich fahre am liebsten mit gar keinem. So gerne ich große Karusselle gefilmt habe, würde ich in sie auch für viel Geld nicht einsteigen. Maximal eine Kettenkarussell- und eine Autodromfahrt habe ich für den Film geschafft, aber auch nur, weil es sein musste. Ich verzichte dankend auf diese Form der »Unterhaltung«, die bei mir Panik pur auslöst.
Eine Interview-Reihe in Kooperation mit Cinema Next – Junger Film aus Österreich.