Into The Jungle

Sinkane erinnert an Sehnsuchtsorte. Egal ob das auf Hawaii oder am Nordpol liegt: Er lässt Afrobeat nach Soul, Salsa, RnB und Pop-Ballade zugleich klingen. Seine Geschichte beginnt 1839 in Sierra Leone.

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Ein bisschen weniger als 200 Jahre ist es her, da wurde ein Reisbauer aus Sierra Leone am Nachhauseweg gekidnappt und auf ein Boot geschleppt. Als er zu sich kam war er bereits auf dem Weg nach Kuba, wo ihn der Besitzer einer Zuckerrohr-Plantage ersteigern sollte. Aber so weit kam es nicht. Der Reisbauer entfachte eine Revolte an Bord und tötete mit den restlichen Männern die gesamte Besatzung. Das war 1839 als der trans-atlantische Sklavenhandel seine Blütezeit erlebte, als Schwarze „Fracht“ und die beliebteste Route, diese nach Europa oder Amerika zu bringen „Middle Passage“ genannt wurde.

Von Kanye inspiriert

Ein bisschen weniger als 200 Jahre später, im Jahr 2004 rappte J. Ivy für das Kanye West Debüt über genau diesen Reisbauern. „I’m tryina give us "us free" like Cinqué“ hieß es da. Und Kanye konterte wütend: „Racism still alive they just be concealing it“. Und zur ungefähr gleichen Zeit bekam auch Ahmed Gallab wie so viele in seinem Alter die Platte in die Hände. Sein Vater, ein sudanesischer Journalist hatte in jungen Jahren die gleiche Strecke zurück gelegt wie dieser Reisbauer namens Cinqué, nur eben im Flugzeug und wohl mit ein bisschen weniger Angst im Nacken. Ohne zu wissen, dass er ihn nicht nur falsch buchstabierte sondern auch aussprach, kührte Ahmed den rebellischen Reisbauern zum Nationalhelden seines Herzens und benannte sein Solo-Projekt nach ihm. Und so lebt die Geschichte eines aufständischen Schwarzen des 19. Jahrhunderts im Afrobeat eines jungen Hipsters mit sundanesischen Wurzeln weiter, der die Apartheid nur aus dem Geschichtsbuch kennt, dafür „Cinqué“ von Kanye West und nicht von „faden“ Spielberg Dokumentationen: Sinkane.

Sinkane macht Wellness

Wer jetzt denkt Sinkane mache politische Musik, der irrt. Sinkane macht Wellness. Er schüttelt nicht wach, er versetzt in Trance. Eine wunderbare Trance zwischen Jungle, Jazz, Afrobeat, Psychodelic und Soul. Sein Debüt „Mars“ vor zwei Jahren hätte diese Soundkulisse nicht besser bebildern können: Ein gut gebauter Mann mit Badehose am Strand, blauer Himmel, leicht gekräuselte Wellen, der Schatten einer fiktiven, gelb-roten Flagge im heißen Sand und die Finger zum Peace-Zeichen erhoben. Ach Sinkane, hättest du gewusst was 2014 im Sudan noch alles passieren wird, du hättest sie vielleicht ausgetauscht.

Musik der Zukunft aus dem Paradies

Aber auch das ist eine andere Geschichte und man merkt: Wenn es um diesen talentierten Multiinstrumentalisten geht, kommt man vom Hundertsten ins Tausendste. Es gibt so viele Themen die er ansticht, aber nie ganz zu Ende führt. So wie auch seine Karriere als Drummer: Yeasayer, Of Montreal, Caribou. Indie-Weltmusik nannte man das. Oder auch: Der Versuch sich mit Afrobeat, Bongos und Wah-Pedal einen frischen Anstrich im neuen Jahrtausend zu besorgen. Daran ist nichts auszusetzen. Bereits Brian Eno prophezeite Afrobeat als „Musik der Zukunft“. Egal ob die Zukunft schon war, gerade passiert oder noch kommt. So wie Sinkane sie uns serviert kingt sie nach dem Paradies.

Soul mit neuen/alten Mitteln

Mit „Mean Love“ ist er der Soulmusik näher als noch vor zwei Jahren, umschifft sie mit sanften Reggae Nuancen, Falsett, Chören und schneidert ihr die richtigen Basslinien auf den Leib. "Mean Love" ist Soul mit neuen, alten Mitteln. Nicht ganz so retro wie bei Blood Orange aber eben auch nicht gewollt modern, wie das auf „Mars“ noch bei einigen Singles der Fall war. Titel wie „Hold Tight“, die auf dem Debüt noch aussichtlos dahinplätscherten, werden mit Orgel und der richtigen Portion Sex und Weh-Wehchen in den Chören endlich interessant. Dazu kann man Liebesbriefe schreiben, ziemlich dämlich tanzen und natürlich kiffen.

Sinkane ist im Internet-Surfen

Im Falle von Balladen wie „Son“ schwingt natürlich auch viel Herzschmerz mit und die Erkenntnis, dass Sinkane auch so etwas wie Space-RnB kann. Dafür klingt „Omdurman“ nach verrückter Zirkusmusik, die erklingt, wenn man am Jahrmarkt an diesen Kästen kurbelt. Es ist wunderbar: Bei Sinkane fällt einem bei jeder Nummer ein neues Bild, eine neue Kulisse, ein neues Gefühl ein. Hat man eben noch die Witwe des Reisbauers in Sierra Leone bedauert, hat man einen Augenschlag später schon Lust auf Havana-Cola am Strand. Sinkane ist ein bisschen wie Internet. Man surft zwischen Nahost-Konflikt und Instagram, Katzenvideos und dem Live-Ticker zur Fußball WM. Ist das Indie-Weltmusik? Ist das pietätlos? Keine Ahnung, aber es klingt nach Hawaii. Und Hawaii ist und bleibt ein Sehnsuchtsort. Sinkane klingt so und das macht glücklich.

"Mean Love" von Sinkane erscheint am 29.08 via City Slang. Am 5. September spielt er mit Band in der Grellen-Forelle. Wir verlosen Tickets auf Facebook.

Die Autorin auf Twitter: i>franziska_tsch

Bild(er) © ©Shervin Lainez, Martine Carlson, Philip di Fiore, 
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