Die Angst vor Muslimen ist mittlerweile fest in westlichen Gesellschaften verankert. Ein Großteil der Bevölkerung fürchtet sich dabei aber wohl weniger vor dem muslimischen Nachbarn, sondern vor dem durch Medien und populistischen Parteien geprägten Islam-Bild. Dazu kommen – und das kann man auch gar nicht leugnen – massive Integrationsprobleme. Der österreichische Politikwissenschaftler Farid Hafez nähert sich dem Thema Islamophobie aus wissenschaftlicher Sicht. Erst kürzlich hat er das "Jahrbuch der Islamophobieforschung 2011" herausgegeben. Der gebürtige Oberösterreicher im Interview.
57,5% der Schweizer stimmen in einer Volksabstimmung für ein Minarett-Verbot. Der deutsche Innenminister Peter Friedrich behauptet der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Frankreich verbietet das Tragen der Burka. In Österreich plakatiert die FPÖ "Pummerin statt Muezzin" und veröffentlicht das sehr zweifelhafte "Moschee Baba"-Spiel. Wie sehr gehen solche Entwicklungen den Muslimen in Europa nahe? Fühlen sie sich verfolgt bzw. nicht willkommen oder wird das Thema medial (vor allem in Feuilleton-Medien) auch etwas aufgebauscht?
Statistisch gibt es darüber nichts zu berichten. Es ist angesichts dieser Debatten andererseits jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass es immer schwieriger wird, sich als MuslimIn hier zuhause zu fühlen. Wenn monatelang großflächig plakatiert wird, dass sich Menschen zwischen Religion und Heimat („daham statt islam“) zu entscheiden hätten, dann kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Diskurs wirkungslos an den Menschen vorbeigeht. Sowohl fremdenfeindliche und islamfeindliche Menschen fühlen sich dadurch in ihren Überzeugungen legitimiert, dies auch in der Öffentlichkeit zu sagen. Andererseits werden auch Menschen mit muslimischem Hintergrund sich durch derlei Statements in ihrer Identität bedroht fühlen. Die Atmosphäre, die hier geschaffen wird, ist eine grausliche, weil Selbstverständlichkeiten hinterfragt werden: Kann einE MuslimIn und ÖsterreicherIn sein oder ist er/sie per Definition Symbol der Islamisierung? Dass diese Entwicklung europaweit zu beobachten ist und sich nicht auf das rechtsextreme und rechtspopulistische Lager beschränkt (siehe die Beispiele Sarkozy und deutscher Innenminister) veranschaulicht, wie sehr die radikalen rechten Parteien die Mitte-Parteien vor sich hertreiben (FN in Frankreich und FPÖ in Österreich) bzw. wie sehr Mainstream diese Anschauungen geworden sind (Deutschland).
Wie werden eigentlich juristische Entwicklungen aufgenommen, dass bspw. das "Minarett-Verbot" in Kärnten (Sonderkommission für Bauten über 25 Metern Höhe) auch andere Bauvorhaben (Dampfkraftwerk, Stadion oder Pyramidenturm) verzögern könnte?
Diese Verbote waren populistische Spiele. Die beiden maßgeblich daran beteiligten Parteien in Kärnten und Vorarlberg haben hier mit den Menschen gespielt, sie gegeneinander aufgehetzt, um für ihren Wahlsieg vorzusorgen. Es ist unverantwortlich und im Kern unmenschlich. Das Kärntner Beispiel, wo kaum MuslimInnen leben, zeigt ganz besonders, dass die Islamophobie nichts mit real existierenden MuslimInnen zu tun hat. Es gibt in diesem Bundesland kaum MuslimInnen. Das Schreckgespenst der Islamisierung wird lediglich populistisch eingesetzt und existiert maximal in den Köpfen der Politstrategen.
Zuletzt haben sich (vor allem in Deutschland) die Übergriffe auf Muslime gehäuft. Haben die etablierten Parteien bereits den Nährboden für Islamophobie bereitet? Braucht es gar keine extremen Parteien mehr, damit sich der "Wutbürger" heutzutage Luft verschafft?
Es wäre zu überzogen, zu behaupten, dass alle Parteien Islamfeindlichkeit hofieren. Aber es ist andererseits anzumerken, dass Islamophobie nicht mehr geahndet wird. Ich erinnere an den damaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der 2003 noch zu seinem Koalitionspartner gesagt hat, man brauche keine deutschen Probleme importieren, als die FP-Abgeordnete Helene Partik-Pablé mit einem Kopftuchverbot à la Deutschland zu flirten begann. Wenige Jahre später werden ähnliche Aussagen von der eigenen Partei nicht mehr vom Parteivorsitzenden kritisiert. Summa summarum kann also gesagt werden, dass Islamophobie de facto salonfähig geworden ist. Auch auf der „linken“ Seite, wenn man sich dieser Kategorien überhaupt noch bedienen möchte.
Besteht durch diese Entwicklungen auch die Gefahr, dass sich auch manche Muslim-Gruppierungen weiter radikalisieren?
Es ist zu befürchten, dass eine weitere Ausgrenzung zur Radikalisierung auf der Seite von muslimischen Personen führt. Eine andere Befürchtung ist, dass ähnlich wie in Deutschland es auch hierzulande zu einer Negativeinwanderung kommt, d.h. dass junge Menschen mit hohem Bildungsniveau es bevorzugen, in die Türkei oder anderswo hinzugehen, weil sie sich hier nicht mehr angenommen fühlen und mit ihrer hohen Qualifikation im Ausland mehr Chancen haben. Zweiteres betrifft sicherlich mehr Menschen. Aufgrund der rechtlichen Anerkennung des Islams hierzulande finden extremistische Gruppen weniger Nährboden in Österreich, um eine Radikalisierung voranzutreiben.
Wie auch die Diskussion um das Buch von Thilo Sarazzin gezeigt hat, ist sich die Öffentlichkeit ja nicht wirklich schlüssig darüber, wie unsere Gesellschaft heute mit (vor allem muslimischen) Zuwanderern umgehen soll. Wurden wichtige Schritte zur Integration verpasst? Was könnte man jetzt noch tun, um die teilweise existierende Parallelgesellschaft zu integrieren?
Einerseits weisen die europäischen Nationalstaaten sehr unterschiedliche Migrationsgeschichten auf. Ich halte zudem nichts von dem Spuk der Parallelgesellschaft. Die Döblinger Gesellschaft könnte ebenso als Parallelgesellschaft gesehen werden. Viele der Probleme sind de facto hausgemachte. Nehmen wir etwa die Frage der Bildung. Der Bildungsstand wird in Österreich weithin vererbt. Zudem sind soziale Aufstiegschancen nicht auf das Bildungsniveau alleine zurückzuführen. Da bedarf es einer entsprechenden Portion Vitamin-B. Das sind systeminhärente Herausforderungen. Dass weniger gut gebildete Kinder von ehemaligen GastarbeiterInnen hier besonders betroffen sind, ist eine logische Konsequenz. Wir müssen hier in den öffentlichen Debatten weg von den Sündenbockstrategien. Zudem würde ich vorsichtig sagen, dass es durchaus ernstzunehmende Kräfte in unserer Gesellschaft gibt, v.a. auf Seiten der Wirtschaft, die sowohl gute Konzepte haben wie auch in ihrem jeweiligen Wirkungsbereich gute Arbeit leisten. Ich bin nicht pessimistisch. Es ist immer eine Frage der Zeit, bis die Normalisierung des „Fremden“ Realität wird. Katholiken waren Jahrzehnte lang die Außenseiter in den demokratischen Vereinigten Staaten. Irgendwann sind sie ein normaler und akzeptierter Bestandteil der Gesellschaft geworden.
In Deutschland und Österreich wird Islam sehr häufig direkt mit Türken in Verbindung gebracht. Inwieweit können Comedians wie Kaya Yanar oder Bülent Ceylan zur Integration beitragen?
Ich denke, derartige Initiativen sind für die breite Masse der Gesellschaft die wichtigsten Spielarten, zu einer Normalisierung des vermeintlich Fremden. Wenn in Deutschland ein türkischstämmiger Cem Özdemir Parteivorsitzender wird, dann hat das natürlich Signalwirkung für die jungen Menschen. Sie fühlen sich angenommen, normal und haben Hoffnung, dass auch sie mit Anstrengung etwas aus ihrem Leben machen können.
Im "Jahrbuch für Islamophobieforschung 2011" ist ein Beitrag über den EAV-Song "Supertürke" zu finden. Der Song-Text ist ziemlich polarisierend, richtet sich aber in der typischen (etwas primitiven) EAV-Manier gegen Aggro-Rapper. Kann man damit einen Diskussionsprozess starten oder besteht die Gefahr, dass beim Anhören nur die – wenn aus dem Kontext gerissenen – durchaus als rassistisch durchgehenden Passagen hängen bleiben?
Die Gefahr, auf die hier aufmerksam gemacht wurde, ist, dass islamophobe Argumentationsmuster sehr weite Verbreitung gefunden haben. Nicht nur die Eliten in den Parteien. Auch in der Musik, im Bildungsbereich, etc. finden sich Versatzstücke islamophober Positionen. Das Problem, das wir mit der Islamophobie haben, ist, dass jegliche wirtschaftliche, bildungspolitischen, etc. Probleme der Religion zugeschrieben werden und nur auf Seiten der Minderheit Defizite angesprochen werden. Weder gibt es hier differenziertes Denken, um Probleme in ihrem Kern verstehen zu wollen, noch die Bereitschaft, die Herausforderung auch in den allgemeinen Gesellschaftsstrukturen zu suchen.
Inwieweit können sich die Umstürze in Ägypten, Jemen oder Libyen positiv auf das Verhältnis zu den Muslimen in Europa auswirken? Oder werden über kurz oder lang Berichte über die Muslimbrüderschaft die Angst weiter anheizen?
Ich bin kein Nostradamus. Aber am Beispiel Ägyptens ist zu sehen, wie realitätsverweigernd und einseitig unsererseits berichtet wird. Plötzlich glauben wir, dass der Tahrir-Platz erstmals eine Jugendkultur und Eine Jugend 2.0 auferstehen ließ. Die Realität ist, dass es das immer schon gegeben hat, in unseren Breitengraden jedoch nie darüber berichtet wurde.
Auf der Jahrbuch für Islamophobie-Website findet sich bereits ein Call for Papers für die nächste Ausgabe. Wie viele Beiträge werden pro Jahr eingereicht? Wird das Buch wieder im Studienverlag erscheinen bzw. gibt es auch öffentliche Förderungen?
Aufgrund der allgemeinen Einsparungen fallen die Förderungen sehr knapp aus. Trotzdem finden sich immer wieder viele Beiträge. Es gab so viele Zusendungen, dass ich leider auch einige Absagen machen musste. Der Studienverlag ist für dieses Projekt der ideale Partner.
Du betreibst für das Jahrbuch für Islamophobieforschung auch eine Facebook-Page. Kommentare von Leuten, die die Seite "liken" sind nicht erlaubt. Besteht hier die Gefahr, dass die Seite sonst mit Negativ-Postings zugespamt wird? Inwieweit können (anonyme) Web-Diskussionsforen die Islamophobie anheizen?
Meine Kollegin Ingrid Thurner, eine Kultur- und Sozialanthropologin, hat einmal darauf hingewiesen, dass das Internet im Bezug auf Islamdebatten Ort des grenzenlosen Hasses geworden ist. Das gilt nicht nur für Facebook, sondern v.a. auch für Tageszeitungen und ganz besonders für islamfeindliche Homepages wie Politically Incorrect. Durch die Anonymität werden alle Grenzen des Geschmacks wie auch der Anständigkeit überschritten. Insofern ging es mir darum, Facebook als Marketing zu verwenden. Als anfangs jeder die Berechtigung hatte, zu posten, wurde die Seite sehr schnell mit Negativ-Postings zugespamt.
Farid Hafez ist Politikwissenschaftler, lehrt an der Universität, ist Herausgeber des Jahrbuchs für Islamophobieforschung (Studienverlag) und Träger des Bruno-Kreisky-Anerkennungspreises für das politische Buch 2009. Farid Hafez wurde von uns unter die "100 ÖsterreicherInnen mit besonderer Zukunft" gewählt (Porträt nachlesen).