Island und Florida haben eine neue Gemeinsamkeit: Sie klingen gleich. Dank dem zweiten Album von Hundred Waters.
Was isländischen Musikexport seit Jahren auszeichnet, ist eine ätherische Form von Folk, die gleichermaßen organische als auch elektronische Elemente in sich vereint. Das bedeutet häufig zurückhaltend, feinsinnig, introvertiert, geerdet und doch träumerisch und irgendwie entrückt. Manchmal wirkt es, als gäbe es für besonders viel isländische Abgedrehtheit Bonuspunkte von den Fans. Klar klingen sie unterschiedlich, Acts wie Björk, Sigur Rós, Múm oder Soley sind aber mittlerweile so etwas wie der Sound von Island geworden. Und neuerdings auch Hundred Waters aus Florida. (Ja, der Name stammt tatsächlich von unserem guten alten Friedensreich Hundertwasser.)
Die vier Köpfe aus Gainesville spinnen sich weit verlaufende Flächen und bekennen sich zu Stille und Pause. In die dadurch enstehenden Räume werden Sängerin Nicole Miglis‘ anmutig gehauchte Worte so eingebettet, dass sie gar nicht verstanden werden müssen, um ihre Wirkung zu entfalten können. Anfangs gibt sich »The Moon Rang Like A Bell« noch avant- poppig, spitzt sich später melancholisch zu. Die allgegenwärtige Intensität verliert sich langsam, beschränkt sich zur Mitte des Albums hin bei »Broken Blue« noch auf sachte Pianoanschläge und reduziert sich mit »Chambers (Passing Train)« ganz auf einen entfernten Hall. Es gelingt Hundred Waters, eine leise und filigrane Dramaturgie zu erzeugen, die jeden Moment zu zerreißen und zugleich bei der kleinsten Störung zu verschwinden droht. Zu diesem Zeitpunkt ist das Album so sehr in Ambient-Gefilde abgedriftet, dass die erdend-folkige Wirkung von Herzstück »Down From The Rafters« einer Absolution gleicht, die den kräftigeren und tanzbaren Schluss des Albums einleitet. Hundred Waters haben die verspielten Indie-Sounds von ihrem Debüt hinter sich gelassen. »The Moon Rang Like A Bell« macht keinen Spaß und stiftet keine Freude, sondern ist sensibles Kleinod, das ohne die nötige Aufmerksamkeit verwelkt, sie jedoch nie einfordert. Jene Art von harmonischen Schwingungen kombiniert mit Miglis‘ Singsang erinnert an Airs »Le Voyage Dans La Lune«.
Es sind nur die letzten Minuten von »[Animal]«, die durch Breakbeats, gesteigertem Tempo und dem einzigen lauten Moment des Albums an Skrillex erinnern. Gerade er, dessen Aufs-Maul-Dubstep wie die Antithese zum leisen und zurückhaltenden Sound des Quartetts wirkt, hat Hundred Waters schon nach ihrem ersten Lebenszeichen 2012 für sein Label OWSLA verpflichtet und ihrem bisher nur digital erschienenen Debüt einen ordentlichen Re-Release verpasst. Trotz Rückenwind des Dubstep-Stars und Top-Kritik von Pitchfork blieb das Echo gering und Hundred Waters in ihrer Nische. Die vier Multiinstrumentalisten tüftelten und produzierten weiter in ihrem Haus in Gainesville, reduzierten den organischen Sound und lernten ihre elektronischen Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Das Album schickt nun den einzigartig Sound Islands auf eine Reise in die Welt von Ambient und Chillwave.
»The Moon Rang Like a Bell« erschien am 27.05.2014 bei OWSLA und kann via Soundcloud gestreamt werden.