Eine Mix-Serie macht sich auf die Suche nach der verlorenen Zukunft und schreibt dabei auch noch Geschichte neu.
Wann hast du eigentlich dein letztes Mixtape gemacht? Eines mit Liebe, das jemandem sagt, wer du bist, was dir wichtig ist und welche Töne du spuckst, mit dem du aufschneidest, dein Inneres aufschneidest und dich für andere in Form bringst? Die Londoner Serie Late Night Tales bittet bekannte Gestalten der Musik das zu tun. Eben ist die Serie zehn Jahre alt geworden, heuer erstmals mit erhöhter Schlagzahl – mit vier Stück innerhalb von nur acht Monaten. Die Nachtgeschichten selbst schalten dafür oft genug auf Zeitlupe um, auf echte Ohrwaschelmusik, zum drinnen Wohnen, mit feinstem Ausblick und Bildungsauftrag. Irgendwie sind die „Late Night Tales“ damit auch eine Antwort auf das Modell DJ-Mix. Statt Visitenkarte der Gegenwart sind sie Memos und Erinnerungsbänder.
Das vergangene Jahrzehnt Popmusik war ja bereits von seinen digitalisierten Archiven und der neuen, geilen Allverfügbarkeit von jeder Musik besessen. Das hat sich nicht grundsätzlich verändert. Da braucht es außer maschinellen Algorithmen noch andere Führer durch die unwegsamen MP3-Plateaus, Experten, es braucht Stalker, die außergewöhnliche Songs erkennen. Manchmal heißt das auch das wertschätzen, was gestern noch links liegen gelassen worden wäre. Wenn aber sowohl Friendly Fires wie auch Metronomy plötzlich mit eigenen Coverversionen durch die Ruinen elektronischer Musik aus den Siebziger streifen, durch die Traummusik der Neunziger, nebeligen R’n’B, und Weltraumfunk, dann ist das nicht nur ein Ausflug in die Geschichte, sondern führt zu der Frage wo denn bloß die Zukunft von früher hin ist. Und ob die Zukunft von damals nicht vielleicht sogar brauchbarer als die von heute ist. Grandios wird das auch durch die Coverbilder illustriert, auf denen vertraute Gegenständen sonderbar von innen leuchten, aus nächster Nähe glühen und so wie die Tracks selbst Geheimnisse in sich tragen.
Popgeschichte wird von ihrer Zeit und ihren Rätseln neu geschrieben wird. Mit ein bisschen Glück wird etwas davon wiederentdeckt, bekommt posthum viel Geld über eine Autowerbung und wird danach so verehrt wie Nick Drake. So kann das doch noch etwas werden, mit uns und dem Leben nach dem Tod.
Das Weiche und das Harte
Metronomy gewinnen bei der Gesamtkomposition. Wenn eine Indieband mit Outkast und Sun Ra startet, ist klar, hier darf sich jemand austoben. Sie bremsen das schwerelose „Sea Bird“ der Alessi Brothers mit Autechre ab, das sich selbst immer wieder wie eine Feder auflädt und neuen Schwung holt. Sie mischen das Obskure mit dem Oberflächlichen wie in einem Film von David Lynch … und übertragen dabei etwas von beidem zueinander, stellen neue Verbindungen her und geben noch dazu Einblicke in ihre eigene Geschichte. Friendly Fires sind – man hört es ihnen auch sonst an – stärker in der Gegenwart verankert. Sbtrkt, Iron Galaxy (Entdeckung!) oder Bibio verstehen es aber auch hervorragend die Gedanken zum Tanzen zu bringen. Dabei ziehen sich die Songs da wie dort nie einfach auf klassische Genres zurück, sondern lassen Löcher offen und ziehen daraus funkelnde Gefühle hervor. Synths werden bei beiden groß geschrieben, die Liebe zu schwarzer Musik eher nur bei Metronomy.
Diese beiden Teile der „Late Night Tales“ eignen sich nun als Geschenk, als Traktat, als Möbelstück, zur Hermeneutik, zum Angeben oder als Bettgeschichte. Aber schon die letzten zehn Teile konnte man blind vorbestellen, diese verstärken das Gefühl noch, dass hier eine ganz außergewöhnliche Serie heranreift, die mit der Vergangenheit ganz nah am Puls der Gegenwart schleicht, ohne aber einfache Lösungen zu akzeptieren.
"Late Night Tales" von Metronomy ist bereits erschienen. Friendly Fires erscheint am 2. November 2012.