Kafkas "Amerika" in Klagenfurt II

Am 24. März feiert das Stück "Amerika" nach einem Romanfragment von Franz Kafka Premiere im Stadttheater Klagenfurt. Der Regisseur des Stücks Bernd Liepold-Mosser stand uns Rede und Antwort über seine Verbindung zu Kafka, die Zusammenarbeit mit Naked Lunch und seiner Inszenierung am Stadttheater Klagenfurt.

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Franz Kafkas "Amerika" wird zum 100-jährigen Jubiläum auf die Bühne des Stadttheaters Klagenfurt gebracht. Verantwortlich dafür ist der Kärntner Künstler Bernd Liepold-Mosser. Er führt bei diesem Stück Regie und schrieb auch die Bühnenfassung.

Das Stück „Amerika“ orientiert sich an den einzelnen Kapiteln zu Kafkas gleichnamigen Roman, der 1927 erstmals veröffentlicht wurde. Kafka agiert in diesem Roman visionär, weil er von Dingen schreibt, die er nie selbst erlebt hat. Der junge Protagonist Karl Rossmann wird ungewollt in das Großstadtleben gestoßen. Dabei begegnet er einer Vielzahl undurchsichtiger Gestalten und er stolpert von einer unglücklich ausgehenden Situation in die nächste. In einer Art grotesk, absurden Stationendrama wird die Neubearbeitung von „Amerika“ am 24. März erstmals in Klagenfurt uraufgeführt.

In der Rolle des Karl Rossmanns wird der bekannte Schauspieler und Musiker Robert Stadlober zu sehen sein- ebenfalls ein gebürtiger Kärntner.

Wir haben Bernd Liepold-Mosser (wie auch Oliver Welter hier) zu seinem neuesten Bühnenwerk per Mail befragt.

Mit Naked Lunch ist ja eine äußerst renommierte Band für die Musik zum Stück zuständig. Häufig fällt der Musik im Theater eher eine Begleitfunktion zu. Dem ist in "Amerika" nicht so, oder?

Bernd Liepold-Mosser: Die Genrebezeichnung ist Schauspiel mit Musik. Das klingt einfach, war aber ein längerer Findungsprozess, weil auch Phantombezeichnungen wie Musical im Raum geschwebt sind – zumindest als Genre – von dem wir uns ganz dezidiert und grundsätzlich abheben wollen. Das Stück besteht nun aus Szenen nach Kafkas Roman und neun Liedern, die von der Band in Auseinandersetzung mit dem Stoff komponiert wurden. Die Lieder sind Ausstiege aus dem Geschehen. Das heißt, die Handlung hält für diese Momente an, und die wunderschönen Songs der Band bilden einen emotionalen Innenraum einzelner Figuren oder der jeweiligen Szene aus. Ganz bewusst verzichtet haben wir auf jede Form der musikalischen Untermalung. Es gibt also das Stück und es gibt die Musik, die sich auf das Stück bezieht.

Was bedeutet die musikalische Interpretation jetzt im Konkreten für das Stück? Gibt es da eine Art Wechselwirkung zwischen Bühnengeschehen und Musik?

Liepold-Mosser: Wir haben vereinbart, dass die Band ihre eigenständige Interpretation des Stoffes in den Songs artikuliert. Wir sind davon ausgegangen, dass es zu einer Verbindung zwischen Stück und Musik kommen wird, die keiner direkten Vermittlung bedarf, und das ist für mich voll aufgegangen. Während wir in der Auseinandersetzung mit Kafka also die groteske Abkoppelung des Gefühls von den Motivationen der Figuren herausarbeiten, bilden die Songs das emotionale Hinterland aus. Das ergibt eine ganz außerordentliche Kombination, gerade weil da nichts künstlich zusammengekleistert wird.

Wussten Sie bereits vor dem Schreiben der Bühnenfassung für „Amerika“, dass Naked Lunch für die Musikinterpretation verantwortlich sein wird?

Liepold-Mosser: Ja, das stand von Anfang an fest. Ich habe das Projekt so, wie es jetzt realisiert wird, vorgeschlagen, und Intendant Köpplinger hat das Projekt genauso genommen.

Die Zusammenarbeit mit Naked Lunch scheint ja sehr fruchtbar zu sein. Immerhin haben Sie schon öfter gemeinsame Projekte umgesetzt. Was schätzen Sie an der Zusammenarbeit mit Naked Lunch besonders?

Liepold-Mosser: Zum einen besteht da eine Freundschaft mit Oliver Welter und Herwig Zamernik. Dann sind wir auf ähnliche Weise von der Kärntner Provinz geprägt. Für mich als Autor ist der Austausch mit der Populärkultur extrem wichtig, für die beiden ist die Auseinandersetzung mit Literatur und Theater wichtig. Hier gibt es sehr viele Berührungspunkte und so ergeben sich immer wieder neue Projekte, die den Vorteil haben, dass wir uns – obwohl wir alle Familien und Kinder haben – häufig treffen müssen. Ich schätze nicht nur die nonchalante Affinität der Band zum Theater, sondern auch die Mischung aus Offenheit und konzeptueller Strenge, die von den beiden auf ihre jeweilige Art in ein gemeinsames Projekt eingebracht wird.

Zum Stück selbst: Kafkas Roman „Amerika“ ist ja im Original kein Bühnenstück. Aber es gibt eine Dramatisierung von Max Brod. Haben Sie diese Fassung für ihre Inszenierung überhaupt berücksichtigt oder den Roman in ein völlig neues dramatisches Gewand gehüllt? Welche Aspekte waren Ihnen da besonders wichtig?

Liepold-Mosser: Ich wollte meinen ganz eigenen Zugang erarbeiten, weshalb ich Brods Fassung nicht berücksichtigt habe. Seit Jahren habe ich an dem Stoff einen Narren gefressen, was wahrscheinlich daran liegt, dass dieser erste Roman Kafkas „lichtester“ ist. Das Unerklärliche, Dunkle, dieses Grundgefühl, von einer fremden Macht bestimmt zu sein, kommt in „Amerika“ auf eine eigentlich sehr komische Weise daher. Gilles Deleuze weist darauf hin, dass Kafka ohne Humor nicht zu verstehen ist. Daran habe ich mich orientiert, gerade weil damit auch notwendigerweise die Frage aufgeworfen wird, was denn Humor ist.

„Amerika“ wurde ja von Kafka selbst laut Tagebuchaufzeichnungen mit dem Titel „Der Verschollene“ versehen, Warum entschieden Sie sich für den Titel „Amerika“ und nicht für den von Kafka gewählten Titel? Eine bewusste Entscheidung dagegen?

Liepold-Mosser: "Der Verschollene" legt den Akzent mehr auf das Schicksal des 17jährigen Protagonisten Karl Rossmann, „Amerika“ hingegen auf die prinzipielle Offenheit des Textes bzw. Stückes für verschiedenste Deutungen. Genau das war mir wichtig: das Stück offen zu halten für verschiedenste Interpretationen – seien sie politisch, existenziell, psychologisch oder theologisch. Für mich ist es kein Zufall, dass der Roman genau mit Karl Rossmanns Aufnahme in das „Naturtheater von Oklahoma“, in dem jeder willkommen ist und jeder seinen Platz findet, abbricht. Genau dadurch macht Kafka den Raum für Projektionen frei, das Naturtheater wird zur weißen Fläche, auf der die eigenen Deutungen des Stückes eingeschrieben werden können.

Kafka hat ja ein Werkschaffen hinterlassen, dass den Leser oftmals im Dunkeln lässt. Die düstere Grundstimmung seiner Werke und das Labyrinthische und Undurchsichtige sind aber auch gerade das Faszinierende an seinen Werken. Was fasziniert Sie persönlich an diesem speziellen Werk Kafkas bzw. an Kafkas Gesamt-Opus?

Liepold-Mosser: Kafka hat ein eigenes Universum errichtet. Es wirkt wie ein Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Die Verbindung dieser übergenauen, hyperbürokratischen Sprache mit dem Alptraumhaften ist für mich einzigartig. Das „Surreale“ bei Kafka liegt gerade in der Präzision. Die Rätselhaftigkeit der einzelnen Szenen findet sich auf der Mikroebene der Sätze wieder.

Bei den Proben haben wir gesehen, dass eine Kafka-Figur stets widersprüchliche Gefühle oder Affekte in sich vereint, die jedoch nicht in einen großen Bogen einverleibt werden, sondern sich in abrupten Umschlägen, in jähen Stimmungswechseln äußern. Diese Affekte folgen ganz selbstverständlich aufeinander, ohne Vermittlung oder Übergang, und genau das ist das Spannende. Dazu kommt natürlich die Rolle des Zufalls, ohne den das Notwendige nicht eintreten würde. Mit Kafka kann man sagen, dass das menschliche Schicksal sich genau darin vollzieht, dass der Mensch seine Handlungen frei bestimmt. Dieses Paradoxon ist natürlich ein Skandal, doch mit Humor betrachtet hat es vielleicht sogar etwas Tröstliches.

Die Thematisierung von Masse und Verkehr und die Vereinsamung des Einzelnen sowie der Zerfall der Werte sind wesentliche Themenkreise des modernen Romans der Zwischenkriegszeit. Inwieweit spielen diese Themenkomplexe in „Amerika“ eine Rolle? Wie geht Kafka mit diesen Themen um?

Liepold-Mosser: Kafka war ja, wie Karl May, selbst nie in Amerika. Er nimmt Amerika als Folie für zukünftige Entwicklungen des gesellschaftlichen Lebens. Karl Rossmann ist ein Vagabund, und man liest bei Kafka die Bilderwelten des Stummfilms mit. Immer wieder beschreibt Kafka das Eintauchen des Protagonisten in die serielle Welt der Massen in den New Yorker Straßen, in der Firma des Onkels, im Hotel Occidental.

Für meinen Zugang der entscheidende Moment war aber, dass Kafkas Amerika kein Land der Weite, der Prärie, des Horizonts ist, sondern eine Abfolge von klaustrophobischen Räumen. Amerika hält also als Chiffre den Raum offen, doch es entpuppt sich nicht weniger beengend und undurchschaubar wie die Welten von „Das Schloss“ und „Der Prozeß“. Das bilden wir auch auf der Ebene des Bühnenbilds ab: Karl Rossmann stolpert von einem kleinen Raum in den nächsten, von einer Kammer des Grauens in die nächste. Doch für den Schluss, den Eintritt Karls in das Naturtheater von Oklahoma, haben wir uns eine Überraschung vorbehalten.

Karl Roßmann ist eine Art tragischer Held, dessen Scheitern sich wie ein roter Faden durch den Roman zieht. Welche Anweisungen haben Sie ihrem Hauptdarsteller Robert Stadlober im Vorfeld gegeben, wie er seine Figur anlegen soll?

Liepold-Mosser: Auf der Oberfläche ist es eine Geschichte des Scheiterns. Es gibt eine leichte Tendenz nach unten, doch man wird das Gefühl nicht los, dass Karl den Herausforderungen standhaft entgegensteht. Die Ausgangssituation ist, dass Karl den unbegreiflichen Geschehnissen mit hartnäckiger Naivität begegnet und genau darin das Kind seiner Ereignisse wird.

In den Proben haben wir mit Robert und dem Team sehr viele Einblicke in die Tragik und Komik dieser Vorgänge erhalten. Wir sind, sehr schematisch gesagt, davon ausgegangen, dass Karl einer Reihe von mehr oder weniger verrückten, durchgeknallten Personen begegnet und selbst mehr oder weniger „normal“ bleibt.

Amerika

Ort: Stadttheater Klagenfurt

Uraufführung: 24. März 2011, 19.30 Uhr

nächster Termin: 26. März 2011

Mehr Infos zu weiteren Terminen und Tickets auf www.stadttheater-klagenfurt.at

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