Ein Buch und eine Compilation geben erstmals einen Überblick über die migrantische Kreativwirtschaft in der Hauptstadt – über Karaokebars, Ethno-Marketing und verschenktes Potenzial.
Wien ist Einwanderungsland: Ab 1964 begann Österreich mit Büros in Belgrad und Istanbul gezielt Arbeitskräfte anzuwerben. Seither setzte eine Arbeitsmigration ein, über deren Folgen heute fast tagtäglich in der Politik diskutiert wird. Bereits Anfang der 90er Jahre änderte sich der Ton, besonders durch Ostöffnung und EU-Beitritt wurden die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Menschen aus unerwünschten Drittländern – die also weder einen österreichischen noch einen EU-Reisepass besitzen – regelmäßig verschärft. Aber diese Menschen blieben hier, überdurchschnittlich oft in Wien, und wollten so wie die übrige Bevölkerung neben dem alltäglichen Brotjob auch ein kulturelles Leben haben. Bei manchen wurde aus diesem Leben sogar der Haupterwerb. Diese Kreativschaffenden müssen allerdings unter anderen Bedingungen wie die Mehrheitsstaatsbürger arbeiten. Man kann sagen: Viele von ihnen sind doppelt prekarisiert.
Nach Wien immigrierten Leute aus fast allen Ländern der Erde, aus Not, aus Hoffnung auf eine westlichere Zukunft, weil sie eben angeworben wurden oder um zu studieren. Aus Ex-Jugoslawien und der Türkei kam die zumeist männliche Arbeitsmigration, dann zogen die Familien nach (die speziell ab Mitte der 90er leichter eingebürgert werden konnten; was 2006 wieder erschwert wurde). Es gab daneben immer auch andere Immigration: aus der nordindischen Krisenregion Punjab, aus China, Pakistan, dem teils umkämpften Sri Lanka oder durch katholische Krankenpflegerinnen aus Südindien. Die drei losen Gruppen Türkei, China und Südasien hat kürzlich ein universitäres Forschungsprojekt untersucht. Die Ergebnisse wurden nun in der Studiensammlung »Randzonen der Kreativwirtschaft« veröffentlicht.
Ein weites, kreatives Land
Das Team rund um Herausgeber Andreas Gebesmair hat dabei mit großer Detailtreue möglichst alle kulturellen Aktivitäten von und für Migranten dieser drei sehr unterschiedlichen Communities in Wien abgebildet und diese vereinzelt persönlich porträtiert: Betreiber von Locations, CD- und DVD-Vertriebe, Herausgeber, Hochzeitskapellen, Clubveranstalter, Buch-, Magazin- und Zeitungshandel, Organisatoren und Mitarbeiter von Festivals, die Macher von Fernseh- und Radiosendungen und eigentlich jeder, der an einem entsprechenden Filmprojekt beteiligt ist – sie alle gehören zur Kreativbranche.
Auch jene fünf Wiener Karaokebars, die sich vor allem an ein chinesisches Publikum richten. Oder die Lehrenden von Musik und Theater. Dann wären da natürlich noch die Künstler selbst. Und ihre lausigen Arbeitsbedingungen. Denn Künstlern wird mittlerweile mit diversen Bewilligungsverfahren die Perspektive auf einen dauerhaften Wohnort in Österreich verbaut. Niederlassung, Aufenthalt, Beschäftigung, Zugang zum Arbeitsmarkt, Einbürgerung – in allen Bereichen wurde ihnen seit 1997 das Leben wesentlich erschwert. Die rechtliche Stellung von Künstlern aus Drittländern ist eines der dringendsten Probleme, unter dem diese Kreativen sowohl strukturell wie auch persönlich leiden. Ein Problem, das neben Lebenszeit auch Arbeitsplätze kosten kann.
Sehr häufig wird Letzteres allerdings nicht passieren; denn kulturelle Tätigkeiten werden in dieser kreativen Randzone oft ehrenamtlich oder in familiären Netzwerken ausgeübt. Damit Geld zu verdienen, steht erst einmal nicht zur Debatte. Und nur sehr wenige wissen, dass es für sie eine lange Liste an Förderungen gäbe, dass man sich beraten lassen könnte, dass man Sachleistungen, Preise, Stipendien und günstigere Kredite bekommen könnte. Fehlende Informationen und institutionelle Barrieren betreffen das Leben dieser Kreativen ganz besonders. Es beginnt damit, dass Beratungsgespräche erst seit wenigen Monaten in einzelnen Fremdsprachen angeboten werden (und wer jetzt einwendet, dass man dafür doch bitte gutes Deutsch verlangen könne, möge sich bitte zum Vergleich juristisches Kauderwelsch aus Anträgen, Darlehen und Vermögensverhältnissen in schottischem Englisch erklären lassen). Negative Erfahrungen mit Behörden und Ämtern setzen die Hemmschwelle nach oben; und so dürfte die durchschnittliche Quote der Geförderten – wie in Deutschland – deutlich unter jener von österreichischen Staatsbürgern liegen.
Wo die Rosen, Orchideen und Kakteen blühen
Es ist aber nicht alles nur üble Blockadepolitik in Wien. Vereinzelte Gründerprogramme und symbolische Auszeichnungen versuchen die Bedeutung migrantischer Kulturen zu würdigen. Ein Daueraufenthalt führt mittlerweile zum Recht auf Beschäftigung. Und abseits der öffentlichen Fördertöpfe gedeiht zudem ein reiches, ausdifferenziertes, kulturelles Leben. So wird derzeit etwa ein Bollywoodfilm »Kesariya Balam« (»Liebe kennt keine Grenzen«) mit großteils einheimischer Besetzung gedreht. Es gibt reichlich Clubs und Locations, die vor allem junges Publikum der zweiten Generation anziehen.
Die Wiener Festwochen setzen mit Einzelprojekten auf fruchtbare Konfrontation statt multikulturelles Idyll. Was in Österreich und Wien mit Blick aufs deutsche Nachbarland aber fehlt, sind bekannte Leitfiguren wie etwa Regisseur Fatih Akin, Feridun Zaimoglu oder auch Popstar Tarkan. Anna Netrebko? Wohl nicht. Russkaja? Jaja. Simon Inou, Arash Riahi? Als Mittler treten sie alle kaum in Erscheinung. Womit sich das nächste Problemfeld auftut: Braucht es diese intellektuellen Aushängeschilder überhaupt? Denn es besteht die Gefahr, dass Kreative aufgrund ihrer Hautfarbe und nicht aufgrund ihres Outputs gewürdigt werden.
Co-Autor Michael Parzer erkennt in der Kulturförderungspolitik bereits erste Anzeichen einer solchen Ethnisierung von Außen. Aufgaben der Sozialpolitik würden so möglicherweise in die Kulturagenda ausgelagert werden. Statt echten Veränderungen gäbe es dann lediglich einen trügerischen Dialog zwischen den Kulturen. Genau deswegen verweigern auch einige Kulturschaffende dieses Ethno-Marketing: Sie wollen nach ihrer Kunst beurteilt werden und keine Ethnien repräsentieren müssen. Leute wie Dzihan und Kamien, Karuan, Cay Taylan, Coup de Bam, Pinie Wang oder DJ Beware haben zwar allesamt eine familiäre Vergangenheit außerhalb Österreichs, sie verzichten aber auf exotische Etikettierungen.
Sie richten sich an ein kosmopolitisches Publikum, sei es nun türkisch, deutsch oder französisch. Oder österreichisch. Ihre Musik ist inmitten transnationaler Codes mal weniger, mal mehr erfolgreich. Sie überschreitet Grenzen, weil sie versucht, sich erst gar nicht entlang dieser Grenzen zu bewegen. Damit soll jetzt nicht behauptet werden, dass genau das der alleinige Königsweg wäre. Es gibt offensichtlich ein Bedürfnis, die Beziehungen innerhalb der eigenen Gruppe zu stärken. Tirolerball und Tirolerheim sind da durchaus mit Clubs wie Salam Orient, Balkan Fever oder Turkish Delight vergleichbar. Sie geben Geborgenheit und finden großteils unbeachtet von den Medien und den Augen der Mehrheit statt.
»Randzonen der Kreativwirtschaft« gibt nun erstmals höchst aufschlussreiche Einblicke in das kulturelle Leben von drei ausgewählten Migrationsfeldern. Die Untersuchung musste aber aus finanziellen Gründen die Regionen Balkan, Osteuropa und auch Afrika ganz außen vor lassen. Prominent vertreten sind diese dafür auf dem vierteiligen CD-Sampler »Migrant Music Vienna«: Kompiliert vom Ö1-World Music-Kenner Wolfgang Schlag, wurde hier erstmalig ein umfassender Überblick über World Music in Wien zusammen getragen. 61 Bands aus 40 Ländern sind darauf vertreten. So manches darauf klingt nach Ethnokitsch oder jazziger Gefühlsorgelei. Zwischendrin sind zwar einige Perlen versenkt worden, doch wird man das Gefühl nicht los, dass selbst diese 61 Nummern nur einen sehr kleinen Ausschnitt der Welt migrantischer Musik in Wien verkörpern. Das Buch führt besser vor, wo kreatives und wirtschaftliches Potenzial vergeudet wird und wie weit der Horizont gesteckt gehört.
»Randzonen der Kreativwirtschaft – Türkische, chinesische und
südasiatische Kulturunternehmungen in Wien« ist soeben als Buch mit beigelegter DVD im Lit Verlag erschienen. »Migrant Music
Vienna« ist bei Lotus Records erschienen.