Man könnte meinen, die Clubs von Wien sind weltberühmt. Wie aber sehen vier internationale Akteure die Rolle Wiens auf der internationalen Clublandkarte?
Alma Gold
Momentan: Nein! Durch meine Tätigkeit als DJ bin ich seit zwei Jahren sehr häufig in Wien. Das Nachtleben spielt dabei eine überaus wichtige Rolle. Hat Wien das Zeug dazu, eine Feierhauptstadt zu werden? So, wie es im Moment aussieht, würde ich sagen: Nein! Obwohl die Ausgangslage dazu hervorragend wäre. Wien ist eine Metropole mit vielen Touristen, jeder Menge Kunst und Kultur, Kreative leben und studieren hier und Wien hat sein eigenes, besonderes Flair. Ideenreiche Veranstalter, wie Club Pompadour, Susi Klub, Filterqueen, Hart aber Herzlich, Stadtparkmusik und Sunday Mornings, um nur einige zu nennen, gestalten das Nachtleben. Talentierte und erfolgreiche Wiener DJs ziehen die Nachtschwärmer in die Clubs, dies auch ohne internationale Bookings und das ist überaus wichtig. Wien hat aber in den letzten Jahren, was elektronische Musik und Club-Landschaft betrifft, geschlafen. Erst seit der Eröffnung der Pratersauna vor zwei Jahren hat sich, in meinen Augen, etwas getan und damit wieder das Interesse der internationalen Szene auf sich gezogen. Das Flex mit einer der besten Musikanlagen europaweit und qualitativem, nationalen und internationalen Booking war bis dahin Wiens Vorzeige-Club. Leider, und das ist das große Problem an Wiens Nachtleben, machen die Sperrstunde und die harten Auflagen diesem Club das Leben schwer. Ein weiteres Problem an Wiens Nachtleben ist, dass es neben der Pratersauna nicht viele vergleichbare Clubs gibt, welche dann auch international Anerkennung finden könnten und das ist das A und O für eine Feierhauptstadt. Nimmt man Berlin als Vorbild, fehlt es Wien leider an diesen nennenswerten Clubs, und vor allem schiebt die Sperrstunde dem Ganzen einen Riegel vor. Wie kann eine Stadt Feierhauptstadt werden, wenn alle Clubs um sechs Uhr morgens schließen müssen. Dazu gibt es, außer der Sunday Morning Afterhour im Sass, keine weitere Veranstaltung nach den Partys der Nacht und auch diese muss um elf Uhr dicht machen. Ich glaube nicht, dass dies Feierwütige aus der ganzen Welt anzieht. Leider, denn Wien ist einfach wunderbar, um dort zu leben und um sich dort dich Nächte um die Ohren zu hauen. Die Menschen sind herzlich, kreativ und offen und haben Lust aufs Feiern mit Leib und Seele. Das wiederum ist ein wichtiges Kriterium für eine Feierhauptstadt und Wien erfüllt es voll und ganz. Alma Gold, 29, lebt in München und gastiert auch als DJ regelmäßig in Wien.
Christopher Just
Wo geht was ab? – Nirgends! 8.000 Kids torkeln zu R’n’B-Rhythmen und Partysound, der aus den Lautsprechern, die von A1 flächendeckend an sämtlichen Laternenpfählen auf der Strecke zwischen Lutz und Freiraum angebracht worden sind, dröhnt über die Mariahilferstraße. Die Warteschlange vom Pasha Meidling ist beinahe so lang wie die vor der Pratersauna – und die reicht mittlerweile bis zum Riesenrad, wo sie sich mit der vom Paul van Kackbrenner VIP-Eingang des Fluc vermischt, was gröbere logistische Probleme verursacht. Besser gleich ins Market zu Richie Hawtin, Wartezeit höchstens zwei Stunden, 80 Euro Eintritt – ein Klacks im Vergleich zu den 250 Euro für Miss Väth im Flex. Armin van Burenwurst ist heute im Museumsquartier – nein, da muss man nicht unbedingt hin, aber die Afterparty mit Lars Schlafwurm dürfte interessant werden. Blöderweise bekommt man zwischen Dienstag und Montag nur schwer ein Taxi, sonst könnte man in der Stadthalle beim 90ies-Clubbing vorbeischauen, oder im Praterstadion – Boys Noize sind dort und spielen Ping Pong mit Ricardo Villalobos. Ausgelöst durch den Zuzug studiergeiler, deutscher junger Menschen, befindet sich Wiens Clubszene ohne eigenem Zutun plötzlich in einem Age-d’Or-esquen Zustand. Die Locations sind besser besucht, die Stimmung ausgelassener und das Publikum bestrebt, seinen Beitrag zum Gelingen einer Veranstaltungen mittels Tanzen zu leisten, statt sich einer, vielleicht manchen noch aus früheren Zeiten bekannten, in äußerst seltenen Fällen eventuell höchstens ansatzweise aufgekommenen Lethargie hinzugeben. Und doch ist man weit davon entfernt, Wien als Feierhochburg bezeichnen zu können, und es ist nach wie vor problemlos möglich, zumindest an manchen Wochentagen, Gästen auf die Frage, wo denn heute noch was abginge, mit »Nirgends!« antworten zu können. Und schlafen zu gehen. Und davon zu träumen, Wien wäre die nächste Feierhochburg. Und aufzuwachen. Und froh zu sein, dass es nur ein Traum war. Christopher Just ist Musiker, Produzent und DJ. Er übersiedelte 2007 für drei Jahre nach New York und lebt seit 2011 wieder in Wien. Aktuelles Projekt: Theaterproduktion »Porno«, Premiere 14.September 2011 im Rabenhof.
Clara Moto
Wien kann nicht Berlin werden. Und das ist gut so. In der Außenperspektive erscheint mir Wien nicht als »Clubmetropole«. Trotzdem es an willigen Partygehern nicht mangelt und Clubs wie die Pratersauna und das Flex internationale Bekanntheit besitzen, fehlt eine ausgedehnte Clubszene und Afterhours müssen in den privaten Raum ausgelagert werden. Andererseits darf man aber nicht vergessen, dass in Wien sehr viele Musikerinnen und Musiker, Veranstalter, DJs oder in einem ähnlichen Umfeld Tätige ständig an der Partyinfrastruktur arbeiten und restriktive Maßnahmen wie z. B. die ehemalige Sperrstunde von vier Uhr früh rückgängig machen konnten. Wien kann kein zweites Berlin sein. Und das ist auch gut so. Denn dann würde Wien an seiner Eigenständigkeit, an seiner Authentizität und an seiner Gemütlichkeit einbüssen. Ich bin gerne, wenn auch nicht oft, in Wien, lege dort sehr gerne, wenn auch nicht oft, auf und finde das Wiener Publikum immer sehr angenehm. »Wiener Blut – wie gut es tut … prost.« ( Falco) Clara Moto ist Techno-Musikerin, DJ, lebte in Graz, heute in Berlin und releast auf dem französisch-deutschen Label Infiné.
Tobias Rapp
Freiflächen, Drogen, Schandtaten, weniger Kontrolle, Musik 1. Sehr wichtig sind Freiflächen im innerstädtischen Bereich. Wenn die Stadt Wien sich nicht bereit erklären sollte, einige öffentliche Gebäude abzureißen, um Platz zu schaffen, müssten zumindest ein paar Bürogebäude umgewidmet werden. 2. Liberale Drogengesetze schaden auch nicht; wenn sich die Gesetze nicht ändern lassen, dann sollte die Polizei wenigstens permanent beide Augen zudrücken. Denn Ausgehen mag im Einzelfall ohne Drogen funktionieren, aber wenn Wien die Jugend der Welt anlocken will, muss die dort dürfen, was sie zu Hause nicht kann. 3. Es ist eine Illusion zu glauben, dass man Feierhauptstadt für eine Saison werden kann. Das eigentliche Feiern mag ab und zu Eventcharakter haben, aber Feierhauptstadt wird man nur, wenn das ganze als nachhaltige Entwicklung angelegt wird. Feiern geht ja nicht auf Kommando, ohne einen Bodensatz von Feierwilligen, der zu allen Schandtaten bereit ist, wird man keine Feierszene etablieren können, die wirklich international für Aufsehen sorgt. So eine Szene entsteht zwar in der Nacht, aber nicht über Nacht. Sie muss sich entwickeln. 4. Daraus folgt, dass eine Feierhauptstadt generell schwierig zu planen ist. Angesichts der Tatsache, dass überall in der westlichen Welt (und woanders auch), die Freiheit der Sicherheit geopfert wird, ist es kein schlechter Anfang, ein wenig mehr Unsicherheit in Kauf zu nehmen und die Bürger etwas weniger zu kontrollieren. Das spricht sich relativ rasch herum. 5. Musik braucht man natürlich auch. Aber die kommt erfahrungsgemäß fast von alleine, wenn leere Gebäude locken. Tobias Rapp, Jahrgang 1971, ist Musikredakteur der /taz/, DJ, und hat 2009 das Buch „Lost and Sound – Berlin, Techno und Easyjet“ (Suhrkamp) verfasst.
Früher war es für Eistee, Autos, Bier oder Kleidung einfach nur wichtig, gut zu funktionieren, gut zu schmecken, gut auszusehen. Heute steckt da überall der Partyvirus drin. Der Zwang zur Party, zum Abgehen im Club geht quer durch alle Werbeagenturen, durch die Society, durch Facebook und die Freizeitgesellschaft. Am Wochenende muss gut abgefeiert werden. Fun, fun, fun. In The Club. On The Floor. Yeah 3x! Fun sells.
Für Politiker gehört es zum guten Ton, mit den Jungen in der Diskothek zu können, Schauspieler werden mit Drogenexzessen unsterblich, sogar alte Menschen dürfen sich ein paar bunte Pillen einwerfen und den Guetta machen. In so einem Umfeld ist dann manchmal nicht mehr ganz klar zu erkennen, ob sich nun entweder eine Stadt oder die ganze Gesellschaft verändert hat – oder ob man gar selbst schon weich in der Birne wird.
Wien hat 2011 ein prall gefülltes Clubprogramm: von Medienopern und exquisiten Visual Artists über ranzige Technobunker und erleuchteten Afterhours bis hin zur durchschnittlichen Auflegerei für 55 Bekannte und Saturday Night Fever ist die ganze Palette im Angebot. Das funktioniert erst einmal gut geölt für die, die hier wohnen. Immer wieder fliegt sich was Internationales nach Wien ein. Doch das haben zig andere Städte auch. Nur manchmal noch mehr davon und das in leuchtenderen Farben. Damit der Ruf einer Stadt international widerhallt, braucht es Aushängeschilder, seien das nun Musik, Locations oder Festivals. In den 90ern waren etwa der Dub Club und das Soft Egg Cafe im Flex für ihr Programm an einem Montag bzw. Sonntag abend legendär, den normalerweise ödesten Clubtagen der Woche. Allein die Jukebox und eine der ersten Webcams im Wiener Rhiz waren Grund genug, um kleine Mythen daraus zu stricken. Festivals wie Phonotaktik, Hyperstrings, Picknick am Wegesrand halfen. Und dass der Donauwalzer seit der Film-Odyssee »2001« immer wieder kosmische Feierlichkeiten akustisch untermalt und zum Anfang jeden Sonnenjahres in die Welt gefunkt wird, prägt das Image der Stadt auch ein bisschen. Das geht nun alles nicht ohne ein Drumherum für den Tag danach. Und dem Sound, den Medien und dem Draht zu den Institutionen. Kann das Wien alles bewältigen?