Karl Kraus – Ein Mann für jedes Zeitalter

Noch weit untertrieben: Karl Kraus ist kein leichter Autor. Vielleicht wird er deshalb auf alle möglichen Arten in die Gegenwart geholt?

Die geschätzte Länge der ursprünglichen Fassung beläuft sich auf zehn Theaterabende. Man kann sich ohne große Erfahrung als Comiczeichner ausmalen, wie lange eine lückenlose Realisierung dauern würde. Welche Stellen übernommen wurden, wird am Ende aufgereiht.

Blut und Boden und Tod

Der Krieg schreibt immer eine heldenlose Geschichte. Es gibt nur Verlierer in ihr. So ist auch das Marsdrama heldenlos und die Storyline in szenische Bilder zerklüftet. Kraus selbst wacht über allem. Allmächtig schwebt ein markanter Satz, dem eines Erzählers gleich, fast auf jeder zweiten Seite über den Zeichnungen. Dass er außerhalb der Szenen steht, entspricht ganz der Kraus’schen Logik, die in ihren Standfesten bis ins kleinste Detail, zu jeder Szenerie nicht Meinung äußert, sondern Haltung beweist und stets den kritischen Blick von außen hinwirft. In fünf Bildern wächst die Erdkugel, in schmutzigem Camouflage-Schlammbraun gehalten.

Jokesch zeichnet strukturiert. Er teilt Seiten großflächig auf und arbeitet mit Wiederholungen. Als wäre es ein Fehlersuchbild, sieht man die gleiche Sequenz viermal nur leicht verändert. Die Figuren sind Schatten ihrer selbst, meist scherenschnittartige Silhouetten, fast nur männlich, oft unsympathische Glatzköpfe. Von Weitem, nämlich schon im Weltall, vernimmt man die reißerischen Schlagzeilen, gebrüllt von den Zeitungsverkäufern. Die Interview-Fragen der Alice Schalek kommen aus dem Off.

Die politischen Farben Rot, Braun und Schwarz dominieren den Comicband. Blut und Boden und Tod. Verdächtig ist alles außerhalb der Norm, die von jenen, die verdächtigen, bestimmt wird, zeitgenössisch dargestellt durch Conchita Wurst. Um dann wieder den Zeitgeist von vor 100 Jahren zu transportieren, mischte man zwischen die Dialogseiten karikaturhafte Werbeplakate, die in ihrer Überspitzung fast an heutige Memes erinnern.

Gewiss ist die Umsetzung in diese Form ist ein Wagnis, jedoch eines, das recht gut glückt, um eine neue Zielgruppe zu erschließen. Krausianern mag das verkürzt erscheinen, für Einsteiger oder den fächerübergreifenden Deutsch- und Geschichtsunterricht eignet sich die kurzweilige Auseinandersetzung ideal.

Nicht nur in Form einer Graphic Novel wirken die Texte von Karl Kraus heute erschreckend aktuell. Die Kraus-Renaissance begründet sich wohl auch in der thematischen Vielfältigkeit und der ausgeprägten Komplexität. Aus über 20.000 Seiten /Fackel/ lässt sich schließlich Einiges schöpfen. Es ist jetzt etwa 100 Jahre her, dass Kraus den Einfluss der Massenmedien und die chauvinistische Rhetorik in der Zeit des Ersten Weltkriegs anprangerte. Jonathan Franzen zieht Parallelen zur Gegenwart, die ähnlich überrollt würde von Neuerungen und technischen Entwicklungen. Da muss man sich zurechtfinden und die Menschlichkeit bewahren. Vergleichbare Szenarien, in denen kritische Stimmen und Polemiken eine große Rolle spielen, können als Anhaltspunkt dienen. So wertvoll kann die scharfsichtige und scharfzüngige Stimme von Karl Kraus also auch im Heute sein.

»Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit« von Daniel Jokesch ist im Holzbaum Verlag erschienen. »Karl Kraus: Das Kraus Projekt« von Jonathan Franzen brachte der Rowohlt Verlag auf Deutsch heraus.

Die Autorin Juliane Fischer twittert als @liabellafi; Katharina Prager als @biographische u.a. zur virtuellen Biografie von Karl Kraus.

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