Moby erzählt im Interview über sein neues Album „Innocents“, das Wesen des Menschen, sein eigenes Äußeres und die Ruhe des Alters.
Streicherlandschaften, Comic-Videos und super emotionale Stimmen – das mag in der unterkühlten EDM-Szene nicht immer gut ankommen, aber eines muss man Moby lassen: die Sounds sitzen. Und das seit über 20 Jahren. Als ein im vorigen Zeitalter der Musikindustrie „gelabelter“ Musiker nimmt er sich heute die Freiheiten, mal Dance-Hits, mal Ambient-Träumerein aufzulegen; ehrlich zuzugeben, dass er natürlich nicht selbst auf seinen dutzenden Social-Media-Plattformen postet und er scheut sich auch nicht, als nicht-Profi andere künstlerische Wege auszuprobieren. Das Video zu „A Case For Shame“ vom neuen Album hat er selbst gemacht und er wagt es – zum xxx-ten Mal in der Popmusik – Masken ins Spiel zu bringen.
Aber genau das, auch diese kleinen Fehltritte, sind es, die Moby ausmachen. Und das weiß er ja selbst, wenn er sagt: „In einer perfekten Welt wäre ich groß, hätte volles Haar und könnte wie David Bowie singen“. Dabei ist Moby maßgeblich dafür verantwortlich, dass elektronische Musik in den 90er Jahren auch in den USA so langsam Mainstream-tauglich wurde.
Im Interview erzählt Moby einiges abseits der üblichen Themen. Und ob man es glauben will oder nicht – wenn man Moby’s Stimme persönlich sagen hört: „I don’t care about the commercial side …“, dann glaubt man ihm das.
The Gap: Moby, ich muss zugeben – ich bin sehr nervös, weil ich dich als Musiker so schätze. Du hast einen so großen Output; es geht eben bei „Moby“ – entschuldige, wenn das unvorteilhaft klingt – nicht nur um’s Aussehen, tolle Performances und scharfe Bilder…
Moby: (lacht) Danke, dass du das so siehst!
Wie kam es denn beim neuen Album "Innocents" zu der langen Liste an Kollaborationen, gehört das zum Konzept?
Grundsätzlich ist das so; wenn ich Musik mache, denke ich nicht darüber nach, welches Genre das ist oder den kommerziellen Aspekt daran, sondern ich versuche einfach nur Musik zu machen, die ich liebe und die eine emotionale Wirkung transportiert. Einer der Wege dahin ist, verschiedene interessante Stimmen in die Aufnahmen zu bringen.
Bei diesem Album war es so, dass ich die Musik bereits hatte und dann fragte ich mich selbst, wer meine Lieblingssängerinnen und Sänger sind, denen habe ich meine Musik geschickt und viele waren interessiert. In einer perfekten Welt wäre ich groß, hätte volles Haar und könnte wie David Bowie singen oder Bono. Leider ist meine Stimme nicht ganz so weit.
Wir müssen ja nicht explizit über Genres sprechen, aber wie ordnest du den Sound auf "Innocents" selbst ein – auch im Rückblick auf dein bisheriges Schaffen?
Die Musikwelt ist im Moment so verwirrend und verwirrt, dass ich wirklich gar nicht darüber nachgedacht habe … Was mir aber dennoch auffällt; in den letzten Jahren wurde elektronische Musik immer und immer besser produziert. Was ich aber an Musik auch liebe, ist eine gewisse Verwundbarkeit. Also wollte ich, dass sich dieses – so wie das letzte Album – ein bisschen verletzlich anfühlt. Deshalb arbeitete ich viel mit altem Equipment, analog, das teilweise sogar schon kaputt ist. Ich liebe diese alten Geräte, sogar und vor allem die, die kaum mehr funktionieren – Synthesizer, wo man erst einmal drauf hauen muss, dass wieder ein Ton heraus kommt. Auch billiges Equipment hat seinen Reiz.
In einer Welt, in der so viele Musiker Pop, Dance und Hip Hop produzieren – und das meistens sehr, sehr laut haben wollen – ich weiß nicht, etwas ist mit mir passiert in den letzten Jahren, dass ich es lieber ruhiger mag. Ich liebe auch harte Dance Music, aber bei diesem Album stellte ich mir eine Kommunikation zwischen mir und meinen Hörern vor und die sollte intimer sein, etwas ruhiger und verletzlicher.
Was genau meinst du mit der Verwirrung in der Musikwelt, die du erwähntest?
Nun, diese Verwirrung ist etwas, das auch Einfluss auf das Album und den Albumtitel "Innocents" hatte. Ich verbringe im Moment viel zu viel Zeit damit, über das Menschsein nachzudenken und aus einer analytischen Perspektive – ich studierte Philosophie im Hauptfach, weißt du – lassen sich darüber sehr konkrete Fragen formulieren. Aber in emotionaler Hinsicht sind wir ziemlich verwirrt. Die einzigen Menschen, die niemals verwirrt sind, sind Soziopathen. Eine gesunde, emotionale Reaktion zum Tod und Altern zu entwickeln, ist eine wahre Herausforderung. Diese Fragen über das Menschsein sind es, die mich gerade hauptsächlich dazu inspirieren, Musik zu machen. Es gibt wirklich sehr effektive Möglichkeiten, über all diese Aspekte analytisch zu philosophieren, aber Musik ist für mich der beste Weg, diese Fragen auch emotional zu behandeln.
Fühlst du diese Verwirrung auch, wenn du Musik hörst?
Nein, gar nicht; Musik ist etwas für mich, das Sinn macht! Musik ist eine der wenigen Sachen in dieser Welt, die unserem Gehirn gestatten, sich zu entspannen. Musik wirkt für viele Menschen wie eine Zuflucht in dieser modernen, chaotischen Welt.
Glaubst du, dass Popmusik in ihrer ästhetisch-befreienden Wirkung eine besondere politische Kraft hat, auch gerade weil sie so kompensierend zum Rest unseres Lebens wirkt und uns dadurch stärker macht?
Ja, total! Es gibt ja auch eine lange Tradition politischer Popmusik. Ich wünschte, ich wäre besser darin, politische Musik zu schreiben. Früher habe ich es mehrmals versucht – also wirklich politische Musik zu machen – aber um ehrlich zu sein: Ich bin einfach nicht gut darin, obwohl ich mich echt viel mit Politik beschäftige und es mich wirklich interessiert. Deshalb konzentriere ich mich darauf, emotionale Musik zu schreiben.