Jamie, Jamie, Jamie

Ein halbes Jahrzehnt nach dem sonischen Boom von Dubstep brechen sich dessen zarteste Bassausläufer und elektronische Artefakte in Soul und Pop. Zum Beispiel magisch schimmernd bei Jamie Woon.

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Die Vergleiche mit dem anderen Jamie des Frühjahrs 2011 sind unvermeidlich. Der Tenor ist in etwa, dass Jamie Woon im Verhältnis zu James »Jamie« Blake näher am Club und näher am Pop dran wäre. Der Blake’sche Jamie hat dabei schon das Maximum der subtilen Expressivität für sich gepachtet und die Aufmerksamkeit des Feuilletons für sich besetzt. Beide stellen sie den Nachhall von Dubstep in den Dienst dunkel schimmernden Songwritings. Mit ihrem Beharren auf der eigenen Stimme – und sei sie noch so elektronisch verfremdet – spielen sie gerade in ihrer eigenen Liga.

Beinahe. Den dritten Jamie, Jamie XX nämlich, haben nämlich nicht mehr ganz so viele Kommentare im Visier. Der dreht bei The XX an Reglern und MPCs, hat Anfang des Jahres Gil Scott-Heron remixt. Mit beiden Projekten hatte er diese maximal reduzierte Soundästhetik perfektioniert. Gerade die ultra entschlackten The XX schienen Ende 2009 eigentlich aus dem Nichts zu kommen. Aus heutiger Sicht lassen sich die Spuren von The XX relativ schnell zum Co-Produzenten von Jamie Woons Albumdebüt weiter zurückverfolgen. Will Bevan aka Burial lieferte mit den beiden Alben »Burial« (2006) und »Untrue« (2007) so etwas wie die gemeinsame Blaupause für die drei Jamies. Ein Track wie »Shell Of Light« hat bereits so gut wie alle Zauberzutaten beisammen, den verhuschten Soul, die radikal heruntergebremsten Beats, die verschliffenen Vocal-Schnipsel (gut, die fehlen bei The XX). Nur den Schritt zur Künstler-Persona, mit der eigenen Biografie ans Mikro und auf die große Bühne, hat Burial nicht gewagt. Auch wenn sich nun das Debüt von Jamie Woon nur mehr sehr selektiv am Zeichenvorrat von Post-Dubstep bedient, macht diese Genre-Zuschreibung über die historische Brechung bei Burial schon fast wieder Sinn. Am ganz anderen Ende der Dubstep-Stange tanzen derweil eine Reihe von Artists in eine ganz andere Richtung – in Richtung Freiluftarena: Magnetic Man, Chase & Status oder Katie B geht es jeweils ganz unterschiedlich um die fette Breite.

Vorsprung durch Technik

Wer früher vielleicht klassischer Folk-Songwriter oder Neo-Soul-Brother geworden wäre, kann heute die ästhetischen Möglichkeiten von Subbässen erkunden. Audio-Technologie hat heutzutage wieder Bass. Die Abspielgeräte legen wieder etwas mehr Wert auf Klangtreue, vor allem aber sind MP3s durch höheren Speicherplatz im Bassbereich leistungsstärker geworden. Die Songs von Jamie Woon funktionieren dabei zwar möglicherweise auch auf der Klampfe oder ganz ohne Begleitung – siehe das magisch schimmernde Video zu »Lady Luck (Al Fresco)«, in dem Jamie Woon irgendwo im kambodschanischen Dschungel auf der Suche nach einem wahnsinnigen Marlon Brando ist – aber: Ohne die Funken digitaler Klangräume, dessen schwaches Wummern, würde nur einen Teil der Hörer die Ohren aufsperren. Sie bieten die Anknüpfungspunkte an aktuelle Lebens- und Soundwelten.

Die Reduktion unterscheidet Jamie, Jamie und Jamie letztlich auch von Trip Hop-Einzelkämpfern wie Jay-Jay Johanson oder Perry Blake, die Ende der 90er ebenfalls die Seele in den Maschinen suchten. Sie waren aber theatralischer und vor allem viel opulenter. In Zeiten der Krise gehen auch jemand wie Jamie Woon verantwortungsvoll mit seinen Sound-Ressourcen um. Vielleicht wird der asketische Hall von cirka drei Basilikas in zehn Jahren ähnlich angestaubt wirken, wenn die Kernfusion dann endlich erfunden und Verzicht nicht mehr so sexy ist. Inzwischen gilt es, die musikalischen Mittel möglichst zu haushalten. Die sanft sägenden Streicher im Hintergrund auf »Spiral« sind so niedrig dosiert wie nur irgend möglich. »Middle« ist der einzige Track, der es fast schon euphorisch knistern lässt. Schwaden von Burials Geist hängen in diesen Tracks. Gerade Beats, einfache Hooks, relativ wenig Produktionsspielerei, wenig expressiver Gesang rücken Jamie Woon in die Spitzenliga des Maschinen-Soul.

»Mirrorwriting« von Jamie Woon ist bereits via Polydor / Universal erschienen.

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