»Old Life« ist das Albumdebüt von Kisling, auf dem das Gitarrenholz erst zerhackt wird, nachdem es im Lagerfeuer landete. Ein Mittelfinger an eingestaubten Neofolk und Vinyl-only-Purismus gleichermaßen.
Da haut’s euch die Saitn auf’d Seitn – oder so. Kisling, bisher herumschwirrend im Umfeld von Kunstuni, Vinylograph und Hyperreality, legt ihr Debütalbum vor und damit wird es sich gut fischen lassen in den Sümpfen des heimischen Undergrounds, denn: Es ist sehr gut, aber eben auch sehr eigen. Letzteres wiederum ist auch, was es hörenswert macht. Auf elf Tracks mit einem Dreieinhalb-Minuten-Durchschnitt werden dabei Gitarrenmelodien via Pioneer CDJs verzerrt, zerhackt und arrangiert. Richtig gehört: Emergency Loop trifft auf Neofolk – den ausgestreckten Mittelfinger an die Vinyl-only-Fraktion gibt’s gleich auch mit dazu.
Die Mische aus Minimal- und Turntablismus will laut Liner Notes ein Gefühl hervorrufen, dem das Vergessen zu drohen scheint: »Die Lebendigkeit spiritueller Lieder, das Nachglühen von Lagerfeuermusik, die Melodien einer tausendjährigen Jugend und Erinnerungen an eine allzu idealisierte Vergangenheit.« Kinda relatable, immerhin machte der Discman der Jugend ähnliche musikalische Spompanadeln, wenn die CD nur mal die richtige Anzahl an Kratzern aufwies.
USB-Player-Synthese und Loop-Affinität
Der Titeltrack »Old Life« kommt mit soothing Gesang daher, der – im Gegensatz zur Gitarrenbasis – nicht als kaputter Loop passiert, sondern so ganz »normal«. Auf »Scha« klingt das gleich anders, denn da wurden auch die Vocals Teil der Verwurstung. Das baut erst mal eine spannende Unruhe auf und ist auf eine Art ungewohnt, die den Millennial-Ordnungszwang kurz ankitzelt, aber immerhin folgt gleich die Erlösung: »Musick« ist dem Vernehmen nach der einzige Track, der von vorne bis hinten ein linear arrangiertes Klangerlebnis bietet und gleichzeitig die Frage aufwirft, ob es sein kann, dass »Scha« aus »Musick« entstand. Eine Mail an die Künstlerin schafft – Obacht, Spoiler! – Klarheit: ja.
»Old Life« ist ein Album, das sich am Ende des Jahres in Best-of-Listen wiederfinden wird, weil es sich traut, etwas anders zu machen, ohne sich dabei selbst zu überladen.
Das Album »Old Life« von Kisling ist am 26. Juli 2022 bei Serious Serious erschienen.