Klassische Floorfiller

Klassik x Klub, das galt anno vor fünf Jahren für kurze Zeit als das jüngste musikalische Wunderkind im Land. Ein DJ-Kollektiv hat den Rausch erlebt und den Kater danach. Als Engelsharfen & Teufelsgeigen tragen sie weiterhin klassische Musik – so schwammig der Begriff auch sein mag – in Wiener Clubs. Wir haben sie per Mail getroffen.

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Seit wann macht ihr das schon? Was waren Höhepunkte bisher?

Das erste Mal haben wir am 1. Februar 2009 als Engelsharfen & Teufelsgeigen (tuten&blasen – keine Ahnung) im Elektro Gönner aufgelegt. Gegründet wurde das Kollektiv von den Gorillakaffee-DJs. Die Grundidee war, auch klassische und avantgardistische Musik in Clubs aufzulegen. Mit der Zeit kamen weitere Mitglieder mit unterschiedlichem musikalischen Background (klassisch bis experimentell) hinzu.

Ein Höhepunkt war sicher das spontane Schreikonzert mit dem Dirigenten des finnischen Männerschreichors Mieskuoro Huutajat im Aufzug des Festspielhauses St.Pölten (Café Publik), hier zu sehen.

Was sind denn die klassischen Floorfiller bei euch?

Höfische Musik der Renaissance, Barock, Walzer, Ballett – eben klassische Tanzmusik – außerdem Minimal Music, Jazziges, schräge Nachbearbeitungen bekannter Nummern.

Bis wohin franst ihr aus, Sun Ra, Oval, Max Richter? Was ist bei euch andrerseits verboten?

Die Frage müsste eher lauten: Von woher franst ihr ein?

Ganz im Ernst, wir sind musikalische Eklektiker und haben nichts gegen Genreüberschreitungen. Wir nähern uns aus allen nur denkbaren Richtungen diesem viel- und nichtssagenden Ungetüm Klassik. Unsere Sets leben von der Vielfalt und Unberechenbarkeit. In diesem Sinne gibt es nichts Verbotenes, auch keine Absprachen vorher. Wenn ein Set droht, allzu gefällig und somit langweilig zu werden, steuert aber immer jemand verlässlich mit Schönberg oder experimentellem Geschraube dagegen. Es kommt auf die Mischung an, und die ist bei uns interessant.

Spielt ihr Sätze bzw. Stücke aus? Oder killt ihr auch mal ein Largo, wenn ihr merkt es kommt nicht richtig an?

Grundsätzlich killen wir kein Stück.

Während die Leute bei unserem angestammten monatlichen Sonntagabend im Elektro Gönner eher nur zum Chillout und Musikgenuss kommen und wir da quasi alles spielen und auch ausspielen, muss man in Locations wie der Grellen Forelle natürlich die Leute schon zum Tanzen bringen und bei Laune halten, also dann statt dem 10-Minuten-Largo doch zum Beispiel lieber ein kurzes Barockstück auflegen.

Habt ihr auch Hassfiguren? Brandt Brauer Frick? Stefan Obermaier? William Orbit?

Wir haben keine Hassfiguren. Was uns nicht gefällt, legen wir nicht auf.

Klassische Musik hat im Lauf des 20. Jahrhunderts irgendwie seine Themenführerschaft verloren. Das konnte nicht einmal Adorno verhindern. Wie viele Jahre gebt ihr dem hochsubventionierten Hochkulturbetrieb noch?

Na seawas! Also gut, versuchen wirs: Klassische Musik ist ein zu heterogener Begriff, als dass man ihn wie ein Genre behandeln kann. Er ist ein Sammelsurium von jahrhundertealten Überlieferungen, die zu ihrer Zeit nicht "klassisch" waren sondern auch Tanzmusik oder Unterhaltungsmusik. Adorno vertritt eher eine Sparte, die man demokratische Intellektualisierung der Musik nennen könnte, mit dem Ziel, das Referenzorgan vom Bauch in den Kopf zu verschieben. Diese Form der Komposition, die als Zwölfton-, atonale oder serielle Musik bekannt ist, war aber selbst zu Adornos Zeiten eher voluntativ als faktisch in einer Themenführerschaft. Wir sind gewissermaßen Adornos Bauch, weil wir seine spröden Vergeistigungen mit sinnlichen Zusätzen verdauen.

Zum "hochsubventionierten Hochkulturbetrieb": Er ist dort, wo er ernst genommen wird, ein wichtiger Bereich progressiver Kulturfortschreibung (siehe eben Adorno). Und dort, wo er erfolgreich ist, ein Unterhaltungszirkus für die oberen Siebenhunderttausendundmehr (siehe auch Adorno). Das Verschwinden des Ersten wollen wir alle nicht erleben, und das Verschwinden des Letzten werden wir alle nicht mehr erleben.

Eigentlich gibt es eine Menge elektronischer Musiker mit klassischer Ausbildung, da müssten sich doch ohne Ende halbwegs prominente Gast-DJs auftreiben lassen, oder?

Gast-DJs haben wir eigentlich nicht, es gibt aber regelmäßig Live-Acts. Wir laden gerne klassische bis experimentelle Musiker ein, bei uns aufzutreten. Höhepunkte waren bisher u.a. Performances von Bruno Liberda, Jörg Piringer oder Rudolf Bauer, der auf einem eindrucksvollen Schlagzeugset Xenakis spielte.

Seht ihr die Yellow Lounge im Chaya Fuera eher als einen Event für Blender oder als Freunde im Geist?

Große Events, auf denen Ö3-DJs auflegen, fallen generell unter die Kategorie „schwierig“. Aber die Grundidee des Klassik-Crossovers ist begrüßenswert und schlägt natürlich in unsere Kerbe.

Inwiefern passt ihr eure Musikauswahl der Jahreszeit und der Location an?

Ein schönes Beispiel ist Schubert: seinen Liederzyklus „Winterreise“ legen wir natürlich eher in der kalten Jahreszeit auf als „die schöne Müllerin“.

In Locations wie der Pratersauna oder der grellen Forelle legen wir eher Floorfiller (siehe oben) auf, als sonntags im Elektro Gönner, wo wir experimenteller sein können.

Ihr werdet sicher auch oft beschimpft, was waren originelle Anfragen?

„Wo is die Party?“

"Engelsharfen & Teufelgeigen" kommen regelmäßig am ersten Sonntag im Monat im Elektro Gönner darnieder, bespielen aber auch mal Grelle Forelle oder Pratersauna.

www.facebook.com/Engelsharfen-Teufelsgeigen

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