Seit Jahren wird gejammert: Wie soll sich Online-Content jemals finanzieren? Plattformen wie Flattr und Kachingle appellieren an das gute Herz des Users. Können Social Micro-Payments an der Gratiskultur des Internet rütteln?
Es ist ein Win-Win-Szenario
Wir von Kachingle glauben, dass Social Payments in Zukunft /das/ Business-Modell der digitalen Welt sein wird. Um damit erfolgreich zu sein, muss der Fokus auf die sozialen Aspekte gelegt werden, nicht auf den Umstand, dass man nun Geld für Content ausgibt. Man sorgt für einen Mehrwert, indem man für Zustimmung und guten Content Geld verteilt und erntet dafür auch echte soziale Credibility. Wir laden bei Kachingle die Menschen nicht nur ein, zu sagen, dass sie etwas mögen – egal ob es sich dabei um einen Journalisten, einen Blog, einen Teil der Tageszeitung, einen Musiker, einen Song, ein Video etc. handelt – sondern ihr Geld auch an den für sie richtigen Stellen zu platzieren, indem wir Ihnen freiwillige Mikrobeteiligungen ermöglichen. Nur zu sagen: „Ich mag es“ ist nicht genug. Aber zu sagen, “Ich mag es, ich schließe mich an und steuere echtes Geld bei” schafft Verbindlichkeit und merzt Beliebigkeit aus. Der User bekommt als Gegenleistung für die Bezahlung von eigentlich freien Inhalten Reputation, Zugehörigkeitsgefühl und er stärkt seine Rolle als mündige Online-Person. Bei Kachingle haben wir außerdem soeben ein neues Widget eingeführt, das den Usern die Top 3-Supporter einer Website oder eines Blogs beim Besuchen auflistet. So kann der User die Websites und Blogs der anderen Kachingler leichter entdecken. Social Payment heißt also, dass der User reale, greifbare Online-Sozialleistungen bekommt. Und der Produzent der Inhalte oder eines Services bekommt finanzielle Unterstützung. Es ist also ein Win-Win-Szenario. Wir vermuten, dass das Social Payments-Modell eine soziale Norm werden wird; selbst wenn “Bezahlen für freie Inhalte” auf den ersten Blick lächerlich erscheint. Aber die Möglichkeit, online eine soziale Rolle zu spielen und Stellung zu beziehen und so mit anderen in Kontakt zu treten, ist wertvoll, macht Spaß und ist den kleinen Geldbetrag im Monat wirklich mehr als wert! Cynthia Typaldos, Gründerin der Plattform Kachingle. www.kachingle.com
Social Payment: Schöne neue Welt?
Die Idee klingt bestechend. Auf der einen Seite die, die für die Erstellung von Inhalten kein oder nur wenig Geld bekommen. Auf der anderen Seite die User, die im Gegenzug ihre Wertschätzung monetär ausdrücken wollen und bereit sind, freiwillig einen kleinen Geldbetrag zu überweisen. Doch ganz so einfach ist es leider nicht. Flattr oder Kachingle haben nichts zu verschenken, sie müssen sich selbst finanzieren. Das bedeutet, sie behalten eine Gebühr ein, selbiges passiert bei Paypal, das die Transaktionen abwickelt. Derzeit sind diese Gebühren insgesamt gesehen noch recht hoch, was vor allem bei kleineren Beträgen ein Hindernis darstellt. Aber nehmen wir an, dass die Überweisung von Kleinstbeträgen ohne großen Aufwand und ohne Gebühren möglich ist. Was wir dann geschaffen haben, ist eine Art virtueller Klingelbeutel, in dem Spenden gesammelt werden. Social Payment basiert auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, als Geschäftsmodell lässt es sich daher kaum bezeichnen und wohl auch nicht durchsetzen. Trotzdem ist der Ansatz erfolgversprechend, denn es kann der Ausgangspunkt für neue Transaktionsmodelle werden, die das Ende der Gratiskultur mitsichbringen. So entstehen Geschäftsmodelle, die (neue) Gewinner und Verlierer hervorbringen werden. Es wird also nur eine neue, keine schöne neue Welt. Christian Henner-Fehr, 48, betreibt Das Kulturmanagement Blog. http://kulturmanagement.wordpress.com
Social Micro-Payments funktionieren nur als Zubrot
Wir von der taz wollen in einem linken emanzipatorischen Grundverständnis von Journalismus möglichst breit informieren. Es geht nicht um satte Gewinnmargen, sondern darum, unabhängig arbeiten zu können allein dem Gedanken verpflichtet, eine kritische Öffentlichkeit herzustellen. Das gilt für die gedruckte Ausgabe wie für das Internet. Deshalb ist die taz auch ganz grundsätzlich gegen das Hochziehen von Paywalls. Nicht nur, weil sie noch nicht funktionieren. Sondern weil für uns das Internet eine besonders gute Form ist, mit relativ geringem Kostenaufwand möglichst viele Menschen zu erreichen. Insofern wollen wir in dem Sinne an der Gratiskultur im Netz gar nicht rütteln, im Gegenteil: Wir begrüßen sie. Bezahlmöglichkeiten wie Flattr sind für uns daher attraktiv. Auch deshalb haben wir es auf unserer Website möglich gemacht, dass unsere User die Artikel freiwillig bezahlen, die sie für besonders lesenswert halten. Es gibt auch Überlegungen im Haus, ein eigenes taz-System zu entwickeln, das an die Grundidee von Flattr angelehnt ist, sich aber an dem Bezahlmodell für die gedruckte Ausgabe orientiert. Hier haben Menschen je nach Einkommen und Einstellung die Möglichkeit, sich zwischen drei Preiskategorien zu entscheiden: Der politische Preis für diejenigen, denen die taz jeden Monat viel Geld wert sein kann, über den Standardpreis bis hin zum ermäßigten Preis. Dieses System könnte man auf freiwilliger Basis aufs Netz übertragen. Dabei ist klar, dass diese Modelle immer nur in einem sehr beschränkten Umfang Geld in die Kasse spülen, allein mit Micropayments wird eine professionelle Berichterstattung nicht zu bezahlen sein. Denkbar ist, dass Menschen, die sich der taz verbunden fühlen und das Projekt auch und gerade im Internet unterstützen wollen, durch regelmäßige Beiträge oder Einlagen ermöglichen, dass wir weiter guten, unabhängigen Qualitätsjournalismus machen können, der freiwillig bezahlt werden kann, aber allen Interessierten auch kostenfrei zur Verfügung gestellt wird. Social Micropayments werden mutmaßlich nur als kleines Zubrot funktionieren, das Problem, wie Netzinhalte finanziert werden können, wird man darüber höchstens etwas abmildern, aber mutmaßlich nicht lösen können. Ines Pohl, 43, ist Chefredakteurin der taz. www.taz.de
Im Gegensatz zur geforderten Kultur-Flatrate funktioniert dieses System
Wenn ich in einem Lokal gut bedient werde, gebe ich gerne mehr Trinkgeld. Wenn ich im Web etwas Gutes sehe gebe ich auch gerne. Bisher war das selten möglich. Außerdem wäre das Budget lange vor Monatsende verbraucht. Durch Flattr und Kachingle habe ich die Möglichkeit ein monatliches Budget fair auf die Inhalte, die ich gerne konsumiere zu verteilen. Im Gegensatz zur von der Politik geforderten Kulturflatrate funktioniert das System auch. Doch das ändert wohl nichts an der Netz-Gratiskultur. Die Inhalte sind weiterhin kostenlos verfügbar und ich habe die einfache Möglichkeit die Menschen zu unterstützen, deren Arbeit ich schätze. Luca Hammer, 21, ist Blogger und Publizistikstudent. www.2-blog.net
Es kommt darauf an, welche Art von Content
Es gibt Content von öffentlichem Interesse und Content, der diesen Bekanntheitsgrad noch nicht erreicht hat. Content von öffentlichem Interesse sind Themen, die unser alltägliches Leben umfassen. Nur bei dieser Art von Content ist Social Payment nützlich, denn Medien, die nicht so einen Content vertreiben, sind meist nicht die eigentlichen Produzenten des Contents. Gleichzeitig braucht unbekannter Information wie z.B. unbekannte Musikfacts freie Verbreitung über Blogs zur Bekanntheitssteigerung. Pinie Wang, 31, ist DJ und Musik- und Medienwissenschaftlerin. http://piniewang.com
Artikel, Musik, Filme, Blogs – im Netz gibt es alles gratis. Schon seit Jahren zermatern sich Musiker, Online-Medien und Blogger den Kopf wie sich Online-Content finanzieren lässt. Die Regel, dass im Netz alles kostenlos verfügbar ist, wird durch wenige Ausnahmen wie etwa das Abo-Modell des /Wall Street Journal/ bestätigt. Abo-Modelle funktionieren aber nur in Ausnahmefällen, eine Content-Steuer wurde diskutiert, doch niemand weiß, wie diese konkret umzusetzen wäre. Die vorherrschende Gratiskultur im Netz erschwert Versuche, rentable Finanzierungsmodelle zu entwickeln. Werbung kann jedenfalls die redaktionellen Kosten nicht ansatzweise decken.
Flattr und Kachingle sind Plattformen, die auf sogenannten Social Micro-Payments basieren. Sie appellieren an das gute Herz des Benutzers: Pro Monat können User Beträge überweisen, die dann auf die besuchten Websites, die diese Plattformen nutzen, verteilt werden. Bei Kachingle misst ein Plug-in die Besuche der unterstützten Seiten, bei Flattr muss wie auf einen Like-Button geklickt werden. Der Vorteil gegenüber Abo-Modellen: einmal aufgesetzt, läuft das System unaufwendig nebenher, die Mikrobeträge senken die psychologische Hemmschwelle.
Medien und Blogger werfen sich jetzt gegenseitig monatlich ein paar Euros in das digitale Sparschwein. Die Frage ist jedoch, ob sich genug normale Leser an diesem freiwilligen System tatsächlich beteiligen werden. Wer Flattr oder Kachingle nutzt, setzt auf die Anerkennung (abgesehen vom „Daumen hoch“ auf Facebook) des Users. Wir haben uns umgehört, ob das Modell der Social Micro-Payments der Gratis-Netzkultur tatsächlich etwas anhaben kann.