Wir befinden uns im Jahre 2014 nach Christus und die ganze Welt ist vom Gedanken an die digitale Revolution durchdrungen. Alle Welt? Nein. Es gibt solche, die sich dem verweigern. Zwei Interviews aus den gallischen Dörfern des Buchhandels.
Zugegeben: Es ist gar nicht so einfach Verlage zu finden, die sich dem E-Book verweigern (einen großen Szenerundschau zu E-Books gibt es hier). Viele derer, die im Moment keine auf dem Markt haben, bestätigen auf Nachfrage, sich gerade Strukturen für den Einstieg zu schaffen. Peter Wieser, Verlagsleiter bei Drava, und der Verleger Dieter Bandhauer von Sonderzahl ziehen – noch – das durch, wovon vermutlich viele in der Branche träumen: Keine E-Books zu machen – oder machen zu müssen.
Herr Wieser, warum hat Drava keine E-Books im Programm?
Das ist keine prinzipielle, sondern eine pragmatische Entscheidung. Einerseits sind wir natürlich dem Buch als Gegenstand, als jahrhundertealtem Speichermedium verpflichtet. Die Halbwertzeit der Hardware Buch ist noch immer um Äonen länger als jene digitaler Speicher- und Lesemedien. Um sich den Inhalt eines Buches zu erschließen, braucht man Hand und Aug und Licht.
Was haben wir auf der anderen Seite allein in den letzten zwanzig Jahren an technischen Krücken zur Erschließung digitaler Inhalte kommen und gehen sehen: Magnetband, Floppy, Harddisk, DLTs, MicroDisc, ZIP, CD, DVD, FlashCard, USB – und von den vielen, täglich veraltenden Lesegeräten nicht zu reden. Wie lese ich in fünf Jahren mein heute erworbenes E-Book? Wird es Kindle und Tolino & Co dann noch geben? Oder werden Leselizenzen überhaupt auf einige Wochen oder Monate begrenzt sein?
Haben Sie keine Angst, ob Ihrer Verweigerung als völlig unmodern betrachtet und spöttisch belächelt zu werden?
Aber natürlich haben wir die! Größer ist jedoch die Angst, im Programmbereich nicht mehr auf der Höhe der Zeit zu sein. Das große Fressen der Marktgiganten wird weitergehen, die digitalen werden die analogen schlucken. Für die Kleinen wird es noch ein wenig Narrenfreiheit geben im Long Tail der verschwindenden Welten.
Verzichten Sie nicht auch vorsätzlich auf eine Absatzmöglichkeit, die künftig von Bedeutung sein könnte?
Wir verzichten zunächst auf Entwicklungskosten, die sich ein kleiner Verlag sowieso nicht zumuten kann. Und es ist ein abwartender Verzicht, ein Warten auf die Senkung der Eintrittsschwelle und die Klärung der Vertriebswege. Auf ewig und immer wird sich aber auch ein kleiner Verlag nicht dem Heulen mit den Wölfen verweigern können, die technische und wirtschaftliche Entwicklung bleibt nicht stehen. Die Digitalisierung schreitet voran, Vertriebswege klären sich, Datenformate werden vereinheitlicht und gute grafische Gestaltung und Typografie werden auch im E-Book Einzug halten.
Und sind Sie mit dem E-Book versöhnt, wenn es künftig so schön wie ein Buch gestaltet werden kann?
Nur, wenn es in Begleitung eines analogen Buches zum Verleihen und Signieren daherkommt. Aber ernsthaft: Unsere Generation wird das E-Book wohl nur als Zusatzangebot akzeptieren (können), die nachkommenden Generationen werden ein unkomplizierteres Verhältnis entwickeln. Aber schöne Bücher werden auch in der E-Zeit ein Muss sein. Die Frage ist allerdings, wie sich die Lesegewohnheiten entwickeln werden, zumal bei schöner Literatur.
Auch wenn Sie betonen, dem Buch verpflichtet zu sein: Verlagen könnte es doch egal sein, ob deren Inhalte digital oder als Printprodukt gelesen werden…
Für Verlage wird natürlich das Trägermaterial, ob Papier oder Flashspeicher, zunehmend relativiert werden, aber es gilt trotzdem: Das Medium ist die Botschaft. Und die des E-Books ist noch recht flüchtig. Bis ein E-Book das ehrwürdige Alter einer Gutenberg-Bibel erreicht, wird es noch dauern. Und bis Villem Flussers Ende der Schrift ist es noch ein weiter Weg.
Wird das E-Book das Buch verdrängen?
Nein, das E-Book wird Ergänzung zum gedruckten Buch sein, nicht Ersatz. Die digitale Flüchtigkeit wird sich vor allem bei zeitlich flüchtigen, weil täglich zu aktualisierenden Inhalten durchsetzen. Bei Literatur werden wir das Hybridbuch lesen: Analog im Bett und auf dem Klo, digital im Flugzeug und im Wartezimmer des Arztes. Allerdings kommen auch die großen Monopolisierer nicht am Papier nicht vorbei, zumindest die Lesegeräte sollen danach aussehen. Es wird noch der Tag der Reanalogisierung kommen, wo wir uns digital unser Buch zum Selberdrucken downloaden werden!
Und wann kommt da erste E-Book bei Drava heraus?
Sicher noch in diesem Jahrzehnt 😉
Während Drava früher oder später doch auf die digitale Schiene aufspringen wird, scheint Dieter Bandhauer von Sonderzahl einer der letzten Komplettverweigerer zu sein. Auf der Startseite der Homepage prangt ein „Stopp E-Books“-Schild, das zu einem „Manifest“ gegen das E-Book führt.
Herr Bandhauer, Sie sind ein erklärter Gegner des E-Books. Warum?
Das Buch ist die größte Erfindung des zweiten Jahrtausends. Gutenberg steht nicht zufällig von seiner Lebens- und Schaffenszeit ziemlich im Zentrum dieses Zeitraums. Verbesserungen dieses Mediums sind nicht möglich. Eine Rückkehr zu einer elektronischen Tontafel ist ein Treppenwitz der Geschichte.
Ihr Manifest besagt, dass es einer „kostspieligen Marketingmaschinerie“ gelungen ist, ein Produkt zu platzieren, das „niemand haben wollte“. Für die Buch-Branche mag das wohl stimmen, aber stimmt das auch für die Konsumenten? Denn unbestreitbar hat das E-Book auch Vorteile gegenüber dem Buch.
Welche? Mir ist kein einziger Vorteil bekannt. Konsumenten sind bekanntlich Idioten, die sich alles verkaufen lassen. Bücher sind keine Konsumartikel, beziehungsweise sollten keine sein, sondern Verkörperungen des Geistes. Lesen heißt arbeiten – Henry Miller verwendete einmal die schöne Formulierung einen Text ausweiden. Und Lesen sorgt für Ungleichzeitigkeit: Nur wer aus der Zeit fällt, durch ihren doppelten Boden, kann ein Gefühl für sie bekommen. Elektronische Medien hingegen sind Fußfesseln, die einen an eine Gegenwart ohne zeitliches Bewusstsein ketten.
Verändert das digitale Buch auch den Leser und seine Rezeption?
Ja. Das digitale Buch – vom Begriff her: ein Oxymoron und eine Anmaßung – wird für eine weitere fatale Beschleunigung und Zerstreuung sorgen. Eine atomisierte Massengesellschaft ohne Zusammenhalt findet im elektronischen Lesegerät, das „interpassive Medium“ (Robert Pfaller) schlechthin, ihr Glück und Ende. Eine entkanonisierte Literatur ohne Maß und Ziel wird am Ende einen einzigen Textbrei ergeben, in dem es nur noch Autoren und keine Leser geben wird.
Vermutlich werden viele Verlage die Aussagen Ihres Manifests teilen, trotzdem stellen fast alle digitale Bücher her. Warum machen alle mit?
Aus Verzweiflung? Aus Angst, nicht dabei zu sein?
Rein vom Geschäftlichen her betrachtet: Etliche Verlage verdienen – wenn auch sehr wenig – bereits Geld mit E-Books. Ist der mögliche Verdienst denn gar kein Anreiz für Sie?
In dieser Hinsicht stimme ich mit John D. Rockefeller überein: „Wer den ganzen Tag arbeitet, hat keine Zeit, Geld zu verdienen“.
In Ihrem Manifest drücken Sie die Hoffnung aus, dass sich andere Verlage Ihrer E-Book-Verweigerung anschließen. Wissen Sie, ob Sie jemanden beeinflussen konnten?
Das war eine rhetorische Wendung. Ich bin das Gegenteil eines Missionars. Als ich heute am Morgen in die Straßenbahn stieg und nahe beisammen drei Buchleserinnen sah, war der Tag schon gerettet (Ich war dann der vierte.).