Die Wirtschaft geht um, der Tourismus spielt mit. Das Rathaus entdeckt den Club und professionalisiert eine Szene – mit Konsequenzen. Ein Kommentar zur Zukunft der Vienna Club Commission und der möglichen politischen Vereinnahmung der Clubkultur.
Wien ist nicht Berlin. Darin ist man sich im Rathaus einig. Zumindest wenn es um die heimische Clubkultur geht. Aber: Man wolle sich ein Beispiel nehmen, nicht den Anschluss verlieren, besser werden. Zuletzt fixierte die sogenannte Fortschrittskoalition zwischen SPÖ und Neos die Ausschreibung der Vienna Club Commission (VCC). 300.000 Euro fließen jährlich in die Servicestelle, die »zwischen Clubs, Politik und Stakeholder*innen« vermitteln soll – vorerst bis 2026.
Das hat Gründe. Als »Herzschrittmacher der Metropole« bezeichnet Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler die Wiener Clubs. Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke weiß: Die Szene solle als »relevanter Wirtschaftsfaktor« wahrgenommen, Clubs als »kreative Hotspots vermarktet« werden. Einen Aspekt, den auch Markus Ornig, der Clubkultursprecher der Neos, betont. Er mache sich seit Jahren für die Wiener Clubszene stark. »In einer Millionenmetropole wie Wien ist eine florierende Nachtwirtschaft ein wichtiger gesellschaftlicher Katalysator und Wirtschaftsfaktor.«
Unwort Kommerz
Man könnte glauben, sich auf ein Vernetzungstreffen für Start-up-Unternehmer*innen verirrt zu haben. Dabei handelt es sich um das neue Wording, wenn Politik über Clubs spricht. Die Wirtschaft geht um. Der Tourismus spielt mit. Die Wirkung nach außen, auf den sogenannten Mainstream, wird wichtig. Kreativ, relevant, florierend – auf einmal stampfen nicht einfach nur ein paar Leute in Dunkelkammern zu Vierviertelbeats, sondern im Fokus der politischen und wirtschaftlichen Verwertbarkeit. Auch wenn es noch niemand in den Mund genommen hat, das Wörtchen »Synergie« schwingt in diesen Annäherungen mit wie die Suche nach Vibes in Marketingabteilungen.
All jene, die darauf gehofft haben, dass sich die Wiener Clubszene professionalisiert, werden anerkennend nicken. Der Rest fürchtet schon jetzt, die eigene Seele an den Teufel zu verscherbeln. Allein kommerzielle Interessen zu verfolgen, mit dem Städtetourismus zu füßeln oder die eigene Veranstaltung als »kreativen Hotspot« zu branden ist so weit von Clubkultur entfernt, dass man auch Privatpartys für Sebastian Kurz schmeißen könnte.
Konfliktpunkt Clubkultur
Die Politik vereinnahmt gerade den Club-Begriff. Und alle schauen zu. Dabei müht sich das Pilotprojekt der VCC, das noch aus der rot-grünen Stadtregierung hervorging, an allen Enden. In seinem eineinhalbjährigen Bestehen habe man weite Teile der Wiener Szene erstmals breit unterstützen können, so Sabine Reiter, Geschäftsführerin des Mica – Music Austria, dem die VCC untersteht.
Die Servicestelle erhob Bedürfnisse der Szene, vermittelte Informationen, bündelte Wissen, das inzwischen für alle zugänglich ist. Und habe beide Seiten – Clubs und Politik – diplomatisch bedient, wie Laurent Koepp vom Pilotprojekt der VCC betont. Das habe auch dazu geführt, den Begriff Clubkultur medial positionieren zu können. Die Szene bekommt plötzlich Gehör. Nicht wegen Lärmbeschwerden, sondern für kulturelle Arbeit, die die Stadt lange ignorierte.
Deshalb setze sich mittlerweile auch die Regierung für eine »starke Clubszene« ein. Eine, die nicht nur für die einheimische Bevölkerung, sondern auch für Besucher*innen aus In- und Ausland interessant wird, wie Markus Ornig betont. »In der Wiener Clubszene gibt es viele kreative Köpfe. Sie scheitern aber oft am Bürokratiedschungel, an behördlichen Auflagen oder den allgemeinen Rahmenbedingungen«, so der Neos-Clubkultursprecher. »Ziel muss daher sein, dass die Szene in Wien mehr Raum bekommt, um sich auszuprobieren, neue Konzepte ins Leben zu bringen und dass wir so in Wien eine noch attraktivere Clubszene haben.«
Wie das konkret aussieht, konnte man an der »coronasicheren Clubalternative« des Kultursommers der Stadt Wien beobachten. Vizebürgermeister Christoph – »Ich tanze gerne, ich finde das eine gute Freizeitbeschäftigung« – Wiederkehr (Neos) installierte eine offizielle Location für Veranstalter*innen. Man mag den guten Willen nicht schmähen. Schließlich ging der Idee nicht nur Corona, sondern das Polizeichaos am Karlsplatz voraus. Allein: Der »Outdoor-Club mit Industrieflair« auf einem Lagerplatz der Straßenmeisterei neben der Südosttangente versprühte den Charme einer geilomobilisierten Wahlkampfveranstaltung der, nun ja, Neos. Und wurde von einer Bank gesponsert.
Kultur statt Wirtschaftsfaktor
Dass es nicht ausreicht, drei Basskisten in einen Carport zu stellen, die Nebelmaschine durchzuheizen und mit einer Lichtanlage zu hantieren, für die man sich sogar im Prater zu schade wäre, sollte nach diesem Kultursommer auch den Entscheidungstragenden im Rathaus klar geworden sein. Die Zuschreibung von Clubkultur mag sich zwar von Wodkaboot-Partys in Schickeria-Schuppen bis zum Acid-Rave im abgefuckten Technokeller erstrecken. Aber selbst bei neoliberalen Leistungsträger*innen ohne Anspruch bimmeln bei Sätzen wie »Das langersehnte Warten auf eine Party mit geiler Musik hat endlich ein Ende« die Cringe-Glocken.
Das Pilotprojekt der VCC hat eineinhalb Jahre gut gearbeitet. Dass es die Stadt Wien verlängert, ist konsequent. Es stellt sich die Frage, in welche Richtung sich die Servicestelle und damit auch die Szene entwickelt. »Auch wenn Clubs personalintensive Unternehmen mit wirtschaftlichem Faktor und großer Wertschöpfungskette darstellen, sollte ihr Anspruch niemals auf ihren wirtschaftlichen, sondern auf ihren kulturellen Leistungen liegen«, sagt Laurent Koepp. Diesen Fokus sollten auch jene Entscheidungsträger*innen der Stadtregierung erkennen, die die Begriffe Nachtgastronomie, Stakeholder und Wirtschaftskatalysator im selben Atemzug verwenden.
In welcher Form die VCC zukünftig auch immer agiert, sie darf nicht zum Steigbügel für Politik und Wirtschaft werden; nicht die Fußmatte für politische Verantwortung sein, während sie Hoffnungen innerhalb der Clubszene schürt, während sie für wirtschaftliche Interessen ausgenützt wird. Der Wiener Clubkultur steht eine Professionalisierung bevor. Sie bekommt dafür endlich mehr Zuwendung, die sie sich lange gewünscht hat. Bleibt zu hoffen, dass sich damit auch jene Bereiche weiterentwickeln können, die nicht den Vorstellungen von Menschen entsprechen, die ihre einzige Cluberfahrung aus Segelschuh-Meetings im Volksgarten ziehen.
Neben der VCC haben sich seit März 2020 die IG Club Kultur und die DJ-Gewerkschaft Deck gegründet. Die Fragen, wer hinter diesen Gruppen steht, was sie machen und warum sie zusammenarbeiten sollten, werden zukünftig in The Gap besprochen.