Lach- und Sachgeschichte

Göring war ein Ordenfetischist, Goebbels ein Womanizer, der Führer ein

gescheiterter Maler, für den viele Nazis und NS – Mitläufer bloß Verachtung übrig hatten. Das belegt eine Sammlung damals kursierender "Flüsterwitze", die der Grazer Reinhard Müller nun neu herausgegeben hat. Im Interview erklärt der Soziologe und Anarchismus – forscher, warum manche der Witze und Spottreime zu Propagandazwecken bewusst von den Nazis in Umlauf gebracht wurden, wie Lachen als Ventil analytische Kritik ersetzen kann und warum die Flüsterwitze nicht als Dokumente des Widerstands mißverstanden werden dürfen.

Die von Ihnen neu herausgegebene Sammlung von Flüsterwitzen erschien erstmals 1946/47. Wie wurden die Flüsterwitze denn unmittelbar nach Ende des Weltkriegs rezipiert?

Leider gibt es kaum Hinweise auf die Rezeption dieser Sammlungen unmittelbar nach ihrer Erstveröffentlichung. Das muss und kann man natürlich vor dem Hintergrund der Nachkriegsjahre verstehen. Der Verleger Kurt Helmut Zube hatte damals aufgrund seiner guten Beziehungen zu den US-amerikanischen Besatzungsbehörden Zugang zu großen Papierkontingenten, in den Mangeljahren nach dem Weltkrieg durchaus etwas besonderes. Dies erlaubte ihm die Gründung eines Verlags und unter anderem die Veröffentlichung dieser fünf Flüsterwitzsammlungen. Allerdings: Die meisten Menschen hatten damals wohl andere Sorgen als die Lektüre von Witzen, nämlich zuerst und zu allererst den materiellen Überlebenskampf, den Überlebenskampf von einem Tag auf den nächsten. Dazu kommt, dass die Menschen nach sieben Jahren Hitler-Terrorismus wohl genug vom Nationalsozialismus hatten: Die einen, weil sie sich für dieses Regime engagiert hatten und nun nach der Niederlage und dem Öffentlichwerden der unzähligen Verbrechen in Frustration versanken, die anderen, weil sie diese Schreckensjahre zwar überlebt, aber psychisch noch nicht bewältigt hatten. Erst in den Jahren des aufkeimenden Wohlstands erwachte ein breiteres Interesse an Flüsterwitzen. Dafür spricht, dass seit den 1960er Jahren regelmäßig derartige Sammlungen erschienen. Dabei bedienten sich viele Herausgeber solcher Publikationen der früh veröffentlichten Sammlungen von Hanna Dauberger und Minni Schwarz, vielfach ohne Nennung dieser Quellen. Der springende Punkt dabei ist, dass die 1946/47 von den beiden Frauen publizierten Sammlungen schon wegen ihres Veröffentlichungszeitraums als authentisch gesichert sind.

Kurt Zube bezeichnete die Flüsterwitze 1946 in seinem Vorwort als »Dokument der Verachtung und Ablehnung« des Nationalsozialismus.Warum können diese dennoch nicht als Dokumente des Widerstands gewertet werden?

Ich schließe mich der Einschätzung Kurt Zubes an: Flüsterwitze sind höchstens Dokumente der Verachtung und der Ablehnung des Nationalsozialismus, keinesfalls ein Beitrag zum Widerstand gegen das Regime. Sie ermöglichten den Erzählern wie den Zuhörern ihrem Ärger, vielleicht sogar ihrer Wut über Auswüchse und Missstände des Nationalsozialismus Luft zu machen. Das System selbst wurde damit aber nicht in Frage gestellt. Nur einige wenige der in den Sammlungen von Hanna Dauberger und Minni Schwarz veröffentlichten Witze können als grundsätzliche Kritik am Nationalsozialismus verstanden werden. Vielmehr überwiegen die Witze über einzelne Repräsentanten des Regimes, über ihre körperlichen Gebrechen, ihre Eitelkeiten, ihre Krankheiten: der hinkende, kleinwüchsige Joseph Goebbels, der dickleibige Ordensammler und Uniformliebhaber Hermann Göring, die alkoholsüchtigen Josef Bürckel, Walther Funk oder Robert Ley. Und da ist natürlich auch Hitler selbst, wobei man ihn auffallend oft als ehemaligen Maler und Tapezierer bespöttelte.

 

Welche Rolle spielte der Witz als Nazi-Propaganda-Tool?

Wie wichtig es für ein Regime ist, dass sich seine Unterdrückten von Zeit zu Zeit Luft machen, ihre Wut herausreden und herauslachen können, erkannten auch die Nazis. Etliche der Witze aus den Sammlungen von Dauberger und Schwarz wurden nachweislich von den Nazis selbst in Umlauf gesetzt. Dazu zählen vor allem die Witze über die Homosexualität Ernst Röhms nach dessen Ermordung durch die Nationalsozialisten, oder die Witze über den vorgeblich geisteskranken Rudolf Heß nach dessen Englandflug. Vor allem aber gehören dazu die unzähligen Witze über den Arier-Nachweis, von dem die nationalsozialistische Führung rasch wahrnahm, dass diese für ihre Raubaktionen an jüdischen Mitbürgern so wichtige »Formalität« vielen Deutschen und wohl auch Österreichern auf die Nerven ging. Der Rotkäppchen-Witz (in der Sammlung Nummer 395) stammt sogar wortwörtlich aus der Faschingsnummer eines nationalsozialistischen Organs. Man muss also bei den Flüsterwitzen stark differenzieren, darauf achten, aus welchem Eck sie kommen. Dazu kommt noch die wichtige Funktion solcher Witze für die emotionale Entlastung. Sie mögen zwar die Unzufriedenheit mit dem System, ja auch den Ekel vor einzelnen Repräsentanten der Nazis dokumentieren, aber man sollte sich doch fragen: Was passierte beim Erzählen oder Anhören dieser Witze? Man lachte sich seine Abscheu von der Seele, doch aktiver, tätiger Widerstand war wohl nur in Ausnahmefällen die Folge. Damit will ich aber das Verdienst jener nicht minimieren, die derartige Witze heimlich sammelten, denn viele von ihnen, wie auch manche Witzerzähler, haben dies wegen angeblicher Wehrkraftzersetzung mit dem Leben bezahlt. Auf Lachen stand also wirklich der Tod.

 

Der jüdische Witz ist legendär und machte gerade auch vor den Nazis nicht Halt. Wurde eigentlich auch überliefert, welche Witze die Nazis erzählt haben?

Es gibt unzählige Witzsammlungen aus der Nazizeit, zweifelsohne ungleich mehr als anti-nazistische. Lachen ist ein fixer Bestandteil sozialen Verhaltens, und Witze sind dafür ein gern genutzter Stimulator. Witze selbst erzählen oder Witzerzählern zuhören ist ja auch heute eine verbreitete Form gesellschaftlicher Kommunikation. Das haben die Nazis ebenfalls genutzt und mittels ihrer Witzpropaganda den Leuten ein Stück Alltag, ein Stück Normalität vorgegaukelt. Auf die entlastende Funktion von Witzen, auch von Flüsterwitzen, für ein System habe ich ja schon hingewiesen: Man findet sich in seiner Kritik bestätigt, stellt aber das System selbst nicht in Frage. Lachen kann einem auch vom Druck kritischer Analyse befreien. Eine besondere und wichtige Rolle spielten bei den Nazis die Feldpost-Ausgaben: Unzählige Broschüren mit Witzen und heiteren Anekdoten sollten die Kampfbereitschaft der Wehrmachtsoldaten an der Front fördern, indem sie durch mehr oder – meist eher – weniger witzige Witze gleichsam vom Alltag des Mordens und Gemordetwerdens abgelenkt wurden. Das ist zwar etwas vereinfachend ausgedrückt: Vor der Machtergreifung der Nazis waren es meist zutiefst üble Witze über, oder besser, gegen Juden, später, insbesondere nach Kriegbeginn, gefiel sich die Propaganda eher in der Verbreitung harmloser, unverfängliche Alltagssituationen betreffender Witze. Überspitzt gesagt: Je schrecklicher, je verbrecherischer der Alltag des Regimes, desto harmloser die von ihm geduldeten Witze.

 

Was können Sie als Soziologe und Anarchismusforscher heute aus den Flüsterwitzen ablesen und schließen?

Witze sind eine wichtige Quelle zum sozialen Verhalten. Man erfährt einerseits viel über ihre Erzähler. So fällt beispielsweise in den Sammlungen von Dauberger und Schwarz auf, dass viele Witzerzähler ganz offensichtlich aus dem ländlichen Raum stammen. Andererseits erfährt man viel darüber, was die Urheber dieser Witze besonders beschäftigte. Gerade die von Schwarz vorgelegte chronologische Sammlung ermöglicht es, die Präsenz politischer wie sozialer Ereignisse zu bewerten. Wichtig dabei ist, dass man sich nicht den einen oder anderen Witz herauspickt, sondern man muss die Sammlung als Ganzes betrachten. Erst in der Fülle der Witze kann man erkennen, was die Menschen damals besonders störte. Zum Beispiel: Kaum startet das Regime einen neuen Propagandafeldzug, taucht auch schon ein Witz zur neuen Propagandaparole auf. Es sagt auch viel über die Gesellschaft im Nationalsozialismus aus, dass Witze über die Sammeltätigkeiten des Winterhilfswerks ungleich häufiger vorkommen als über die Schrecken der Konzentrationslager, über die man – auch dies belegen die Flüsterwitze eindrucksvoll – mehr als genug Bescheid wusste.

Der Konnex zwischen Flüsterwitz und Anarchismus ist in diesem Fall durch die Person des Verlegers gegeben. Es ist ja wirklich bemerkenswert, dass es in dem in Sachen Anarchismus wirklich unterentwickelten Österreich bereits unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs einen Verlag gibt, der von einem Anarchisten betrieben wurde, Kurt Helmut Zube, besser bekannt unter seinem Pseudonym K.H.Z. Solneman, und das auch noch in der kleinen Bezirksstadt Gmunden. Die anti-nazistischen Flüsterwitze sind keinesfalls ein Genre von Anarchisten, denn ihnen ist jede Form von Herrschaft Anlass zur Kritik, auch in Witzform. Natürlich empfinden Anarchisten den Nationalsozialismus als besonders verabscheuensvolle Herrschaftsform, aber prinzipiell ist es eben nur eine Form von Herrschaft. Die Verbrechen des Nationalsozialismus waren nicht zuletzt durch die Herrschaftsform der Demokratie möglich, denn der Nationalsozialismus ist ja demokratisch an die Macht gelangt. So gesehen ist es für Anarchisten gleichgültig, welches Mäntelchen sich eine Regierung umhängt: Das Prinzip Herrschaft ist auch jenes der Demokratie, und die Diktatur der Mehrheit über die Minderheit kann jederzeit derartige Verbrecherregimes zeitigen. Von daher ist es für Anarchisten weniger interessant, sich über eine spezielle Herrschaftsausformung lustig zu machen. Anarchistischer Witz richtet sich deswegen gegen das Prinzip Herrschaft, gegen die Herrschaft von Menschen über Menschen.

 

Was Persönliches zum Schluss: Welches ist denn Ihr liebster Flüsterwitz?

Mein Lieblingswitz ist die Nummer 100 der Sammlung, weil er viel Österreichisches enthält und trotz all seiner Kürze vielschichtig ist, etwa in der Anspielung auf den Vegetarier Hitler:

– Hitler hat solchen Gusto auf Spinat und geht selbst zum Händler. Der sagt: »I hob kan Spinat.«

– Hitler fragt ganz erstaunt: »Ja, kennen Sie mich denn nicht? Ich bin doch der Befreier Europas.«

– Da ruft der Händler: »Schani, bring schnell an Spinat aussa, der Herr Stalin is da!«

In den Volksmund gelegt: Sprache als Waffe

Ein Klassiker zum Wiederlesen: Victor Klemperers Aufzeichnung über die »LTI«, die Lingua Tertii Imperii, die Sprache des Dritten Reichs. Voll gescheit und voll tragischem Witz.

LSR, so allgegenwärtig diese Abkürzung gegen Ende des Zweiten Weltkriegs im Deutschen Reich auch gewesen sein muss, so bald war sie nach dem Sieg der Alliierten wohl auch wieder vergessen. Angebracht war das Kürzel an zahllosen Häusern. Es bedeutete einen Luftschutzraum und wies somit den schnellsten Weg in die Sicherheit vor feindlichen Luftangriffen. An diese hatte man sich im Lauf der Kriegsjahre gewöhnt. So sehr, dass die bombardierte Bevölkerung, die kaum mehr an den Endsieg der nationalsozialistischen Herrenrasse glauben konnte, die Formel umdeutete. Als Witz kursierte die Auflösung »Lerne schnell Russisch!« Wohl ein Beleg für den Galgenhumor wie für die allgemeine Bereitschaft, sich (abermals) anzupassen. Was als Flüsterwitz einigermaßen harmlos erscheint, ist aber jedenfalls auch ein Beleg für die Bedeutung von Sprache als Mittel zum – uniformierten, technokratischen, systematischen – Zweck. Und ein Beweis für die Gewohntheit der Bevölkerung daran, formelhaft verkürzte Befehle zu empfangen.

Einen monumentalen Beleg für die »Abkürzungsmanie der nationalsozialistischen Bewegung« (Reinhard Müller in seinen Erläuterungen zu den von ihm neu editierten Flüsterwitzen) lieferte Victor Klemperer (1881–1960). Dieser litt in mehrfacher Hinsicht unter den Nazis; als Jude unter permanenten Anfeindungen und Verfolgung, als Gelehrter unter der überladenen Dumpfheit und »Geschwollenheit des Goebbels’schen Propagandastils«, welcher sich bald selbst im Alltagssprachgebrauch der Regimegegner breit gemacht hatte. Worte, die sickerten »wie winzige Arsendosen«. Vom Propagandaminister über die gleichgeschalteten Medien ausgegeben, war »der für alle Welt verbindliche Stil der des marktschreierischen Agitators«, die LTI »ganz darauf gerichtet, den Einzelnen um sein individuelles Wesen zu bringen«. Klemperers Überzeugung als sprachlicher Seismograph (»Die Aussagen eines Menschen mögen verlogen sein – im Stil seiner Sprache liegt sein Werk hüllenlos offen«) begleiten in seinen Aufzeichnungen, wie die Bevölkerung aufgehetzt und über die gemeinsame Sprache uniformiert wurde. Parallelen zum Sprachgebrauch der Expressionisten werden ebenso bloß gelegt, wie der Umstand, dass Goebbels indirekt Schillers funktionales Credo (Sprache poetisch vorzuformen) exekutierte, in dem er für die Masse »vordachte«, vorformulierte und dieser seine mörderischen Floskeln in den Volksmund legte. Mit wissenschaftlich geschulter Nüchternheit demonstriert er, wie es gelang, die viel gepriesene Sprache der Dichter und Denker als Waffe des totalen Kriegs auf eine unbewusste Alltagsebene zu verlagern. Wie sie es schafften, Worte positiv aufzuladen (etwa »fanatisch«) und Gegner durch scheinbare Nebensächlichkeiten (etwa die entwürdigend eingesetzten »ironischen Anführungszeichen«) systematisch zu verunglimpfen.

Warum Klemperers Aufzeichnungen gerade auch im Zeitalter des »Iconic Turn« noch lesenswert sind? Zuallererst, weil das einst ausgegebene Arsen immer noch fortwirkt – in Wendungen, ethisch gesäuberten Ortsnamen und den Modenamen von einst. Vor allem aber, weil Klemperers Beobachtungen demonstrieren, wozu ein unbewusster Umgang mit Sprache führen kann. Und weil sich, nicht zuletzt, die Propagandisten auch heute sehr wohl ihre Gedanken machen. In diesem Sinne gemahnt uns Klemperers Vermächtnis nicht nur Sprache, sondern auch Zeichen in unserem Alltag sensibel und auf ihre eigentliche Bedeutung hin zu deuten. LTI, die Sprache des Dritten Reichs lesen wir im 21. Jahrhundert als, wenn man so will, ultimative Stilkunde des Barbarismus.

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