Lampedusa im Winter

Der Doku-Film "Lampedusa im Winter" zeigt das Leben der Bewohner der Insel Lampedusa, abseits der Medienberichte über Flüchtlingstragödien. Wir haben den Regisseur des Films, Jakob Brossmann, zum Interview geladen und ein paar Fragen gestellt.

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Wir alle kennen den Namen: Lampedusa. Die italienische Insel im Mittelmeer, ca. 200 km südlich vor Sizilien, über die tausende Bootsflüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten jährlich versuchen, in das scheinbar sichere Europa zu gelangen. Auf der Insel selbst lebt dabei nur eine kleine Gemeinde von ca. 5.000 Menschen, viele von ihnen Fischer. Sie sind direkt mit den Auswirkungen der Flüchtlingsbewegungen konfrontiert. Einerseits mit der vorübergehenden Unterbringung der Migranten, bevor sie auf das Festland gebracht werden können, andererseits mit einer medialen und politischen Instrumentalisierung. Durch mehrere Schiffsunglücke vor der Insel mit jeweils hunderten von Toten wurde ihr Name schließlich zum Inbegriff der Flüchtlingstragödie im Mittelmeer.

Von den Problemen der Bewohner von Lampedusan handelt Jakob Brossmanns Film "Lampedusa im Winter". Gedreht in der kalten Jahreszeit, zeigt der Film die Insel abseits des großen öffentlichen Interesses. Die Touristen sind weg, die Ankunft von Migranten nicht so hoch wie in den Sommermonaten. Die Insel ist zum Großteil auf sich allein gestellt. Auf einmal fällt durch ein Feuer die Fähre nach Sizilien aus, die Fischer gehen in den Streik, eine Gruppe von Migranten versucht verzweifelt aufs Festland zu gelangen und die Bürgermeisterin der Gemeinde, Guisi Nicolini, kämpft an allen Fronten. Die Bewohner der Insel kämpfen verzweifelt um ihre eigene Würde und die Solidarität mit den Bootsflüchtlingen.

Brossmann hat über drei Winter hinweg das Leben der Lampedusani mit der Kamera verfolgt, insgesamt arbeitete er vier Jahre an dem Projekt. Wir haben ihn getroffen und zu dem Filmdreh, den Problemen auf der Insel sowie der aktuellen Flüchtlingssituation in Österreich befragt.

Jahre bevor das Thema solche Brisanz auch bei uns bekommen hat, hast du schon an dem Film gearbeitet. Wie kamst du dazu?

Im historischen Kontext hat mich schon immer interessiert, wie mit Flüchtlingen aus dem Dritten Reich, auch in den Aufnahmegesellschaften, umgegangen wurde. Ich habe mich für ein früheres Spielfilmprojekt mit diesen Fragen intensiv beschäftigt. Im Rahmen des Arabischen Frühlings und die in seinen Zügen startenden Migrationsbewegungen kamen viele der Fragestellungen zurück.

Was mich damals wirklich beschäftigt hat, war die Rolle der medialen Berichterstattung. Viele Medienbilder hatten immer einen bestimmten Fokus. Das Rundherum, das tatsächliche Ankommen, die Begegnung mit den Flüchtlingen selbst, wird nie thematisiert. Es gibt immer nur die sich wiederholenden dramatischen Bilder einer Flüchtlingswelle, die nicht zu enden scheint. Diesen Fragen haben mich dann nicht mehr losgelassen.

Warum dann ausgerechnet Lampedusa?

Ich habe mich eben im Laufe des Arabischen Frühlings angefangen, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen und zu recherchieren. So bin ich auf Lampedusa aufmerksam geworden, das mir vorher nicht bekannt war. Ich habe mich dann kontinuierlich mit der Insel befasst. Was ich auch hier gemerkt habe, war, dass Lampedusa als Ort selbst und der europäische Umgang mit den Ankommenden kaum repräsentiert und reflektiert wurde. Es ging wieder nur um den Flüchtlingsstrom als solchen. Diese Perspektive wollte ich aufbrechen.

Inwiefern waren dir die Auswirkungen der Asylpolitik der EU im Vorhinein bewusst? Wie viel wurde dir während der Dreharbeiten klar?

Die Auseinandersetzung mit der großen geopolitischen Frage sind mir vor allem im Laufe der Recherche immer klarer geworden. Die Auseinandersetzung mit der lampedusianischen Perspektive hat das Ganze dann verschärft.

Was zur Zeit aufgrund der Beschäftigung mit den Kriegsflüchtlingen ein bisschen untergeht ist das Schicksal der Subsahara-Flüchtlinge, das komplett offen ist. Das wird uns die nächsten Jahrzehnte sicher noch beschäftigen.

Wie empfinden die Menschen auf Lampedusa die Flüchtlings- und Migrationsfrage? Wie ist die Stimmung?

Die grundsätzliche Stimmung den Flüchtlingen gegenüber ist eine solidarische und positive. Man hat da ein gewisses Ethos, dass man Leuten in Seenot zu helfen hat. Auch nimmt man die Flüchtlinge aus der eigenen Perspektive als Opfer einer zynischen Politik war, unter der man auf einer anderen Ebene auch selbst leidet. Hier gibt es eine Solidarität zwischen marginalisierten Opfergruppen. Von der europäischen und italienischen Politik fühlt man sich nicht richtig wahrgenommen.

Generell hat mich ein großer Teil der Bevölkerung und vor allem die Bürgermeisterin Giusi Niccolini beeindruckt, weil sie trotz der immer wieder passierenden Unglücke und Traumata sagen "Wir können beides! – Wir können uns für unsere Probleme einsetzen, als auch für die Probleme der Flüchtlinge!" Es gibt hier kein Entweder-Oder.

Im Moment ist das Thema Flüchtlinge präsenter als je zuvor. Warst du in der derzeitigen Lage selber an Hilfsaktionen involviert?

Ich habe mich an diversen Aktionen beteiligt. Eine Aktion haben wir dabei auch mit einer Kamera begleitet. Für mich hat sich in der jetzigen Situation vor allem gezeigt, dass dort wo der Staat und die Institutionen scheitern, die Zivilgesellschaft das Schlimmste verhindert. Das hat mich sehr beeindruckt und ich bin froh, dass dies so in Österreich passieren konnte.

Welche Botschaft willst du mit deinem Film generell mitgeben?

Wir als Europäer müssen eine Gesellschaft gestalten, die auch in der Lage ist, Flüchtlinge aufzunehmen. Die Auseinandersetzung mit unserer Gesellschaft ist genauso essenziell, wie die Auseinandersetzung mit den Flüchtlingen. Was man auf Lampedusa ganz deutlich sieht, ist wenn man denn Blick nicht tunnelartig auf die Ankommenden richtet, sondern etwas erweitert, die Gefahr nicht von den Flüchtlingen ausgeht, sondern von unserem Umgang mit ihnen.

Wird dich das Thema Flüchtlinge und Asyl in deiner weiteren filmischen Arbeit noch beschäftigen?

Ja, es wird sicher weiter ein Teil meiner künstlerischen Arbeit bleiben. Es gibt da ein paar Sachen, die im Entstehen sind, aber es ist noch nichts konkret. Mal sehen was die Zukunft bringt.

"Lampedusa im Winter" hatte im August seine Premiere auf den Filmfestspielen in Locarno. In Österreich wird man die Doku das erste Mal auf der diesjährigen Viennale zu sehen bekommen, seinen offizielen Kinostart hat der Film dann hierzulande am 6. November.

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