Vom Nachteil als Vorteil

In seiner Masterarbeit hat Christoph Mayer die »Alternative Jugendsubkultur im ländlichen Raum« anhand des Beispiels Waldviertel beleuchtet. Ein Interview über Strukturschwächen, Meilensteine und Strategien der Politik.

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Palaverama Festival, d’Wintergschicht, Rock den Park – zumindest in Sachen Konzerte scheint das Waldviertel nicht mehr ganz so verschlafen zu sein, wie gerne behauptet wird …

Christoph Mayer: Genau so ist es, das Waldviertel ist in dieser Hinsicht absolut konkurrenzfähig! Die Jugend hat die Gestaltung der Jugendkulturszene längst selbst in die Hand genommen und schafft sich ihr eigenes Programm. Im Laufe der letzten Jahre sind viele Jugendkulturvereine entstanden, Hunderte Jugendliche arbeiten ehrenamtlich und freiwillig daran, Akzente zu setzen. Und das wird auch honoriert, wie die Besucherzahlen zeigen. Aber nicht nur die Konzertszene, auch experimentelle oder genreübergreifende Institutionen wie zum Beispiel der Verein sub etasch arbeiten nachhaltig an der Jugendkulturszene im Waldviertel.

In dieser Entwicklung hat das Kulturzentrum Avalon in Allentsteig eine wesentliche Rolle gespielt. Du nennst es in deiner Masterarbeit gar einen »Meilenstein in der jugendkulturellen Geschichte des Waldviertels«.

Provokant gesagt: Was für Wien früher die Arena war, war für das Waldviertel wohl das Avalon. Bevor Chris Rabl und Willi Lehner diese Institution aufgebaut hatten, war das Waldviertel in Bezug auf Jugendkultur fast ein weißer Fleck auf der Landkarte. Und plötzlich gab es ein Angebot für Jugendliche – auch was das Mitarbeiten und Mitgestalten anbelangte.

Die Wichtigkeit dieses Treffpunkts zeigte sich vor allem nach dem traurigen Aus: Plötzlich stand das Waldviertel wieder am Beginn. Das wollte sich die Jugend aber nicht bieten lassen: Nach und nach entstanden Vereine, die selbst zu Veranstaltern wurden und somit die Lücke, die das Avalon hinterließ, füllten. Dabei waren es meist Jugendliche, die mit dem Avalon groß geworden sind und die nicht hinnehmen wollten, dass das Thema Jugendkultur im Waldviertel wieder in der Bedeutungslosigkeit versinkt.

Von Anfang an hatte das Avalon mit Behördenstress und Anrainerbeschwerden zu kämpfen. Gleichzeitig gab es von Teilen der Politik vorsichtige Unterstützung und Würdigung – etwa in Form des Landeskulturpreises. Fehlt den Entscheidungsträgern der Mut, solche Projekte deutlicher zu befürworten?

Ich möchte mich dabei nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber ich denke Ja. Viel zu oft hört man von Entscheidungsträgern, wie wichtig gewisse Institutionen für die Region sind, wenn es dann aber um die Finanzierung geht, bleiben die Aussagen häufig Lippenbekenntnisse.

Chris Rabl war dabei ein Vorreiter, er kämpfte ja nicht nur für seine Institution, sondern sprach immer für die und von der Jugendkultur im Waldviertel und in Niederösterreich – er war zu solchen Themen auch beim Bundespräsidenten zu Gast. Bei diesen Projekten ist einfach eine gute Zusammenarbeit auf allen Ebenen notwendig, eine Partnerschaft auf Augenhöhe – so etwas ist aber leider nicht immer möglich. Zu oft wird man als Bittsteller oder gar als der »dumme Jugendliche« angesehen.

Auch wenn vor allem die Gemeindefinanzen derzeit alles andere als rosig sind, benötigt es meines Erachtens ein klares Bekenntnis pro Jugendkultur, vor allem im ländlichen Raum. Man darf nicht vergessen, dass es auch das jugendkulturelle Angebot ist, das die Jugend im Waldviertel hält bzw., wenn sie hier keine Arbeit findet, zumindest am Wochenende zurückkommen lässt. Das ist ein sehr wichtiger Faktor.

Das Ende des Avalon bedeutete schließlich, dass das Waldviertel über kein zentrales Haus mehr verfügte und dass sich die alternative Jugendkultur zersplitterte. Hat sich diese Entwicklung im Nachhinein als eher positiv oder eher negativ für das jugendkulturelle Angebot erwiesen?

Die Beantwortung dieser Frage ist eine Zwickmühle. Eine Institution wie das Avalon, die so viele Jahre lange großartige Arbeit geleistet hat, wird es so schnell nicht mehr geben – sie war einfach einzigartig. Natürlich war der Aufschrei groß, als es vorbei war. Das Avalon hat aber letztendlich den Grundstein dafür gelegt, dass die Jugendkulturszene im Waldviertel immer vielfältiger wird. Es haben sich viele Jugendkulturinitiativen gegründet, die es – würde das Avalon nach wie vor bestehen – wohl nicht geben würde. Für diese ist das Avalon ein Vorbild. Auch verteilt sich das Angebot nun besser auf alle Waldviertler Bezirke. Aber ganz klar: Ein großes zentrales Haus würde der Jugendkultur noch einen ordentlichen Schub geben und viele neue Dinge ermöglichen.

Du hast deine Masterarbeit bereits Ende 2011 abgeschlossen. Hat sich seither Wesentliches getan? Das Avalon soll ja beispielsweise unter neuer Führung wiedereröffnet werden …

Im letzten Jahr hat sich im Wesentlichen nicht viel verändert. Die bestehenden Jugendkulturvereine setzen ihre Arbeit unbeirrt fort, es ist jedoch eine ständige Erweiterung bemerkbar. Und es ist auch zu sehen, dass sich im kreativen Bereich etwas mehr tut. So entstanden zum Beispiel die Filme »nacht.aktiv« und »Rendezvous an der Grenze«. Beide wurden von Jugendlichen aus dem Waldviertel großartig umgesetzt.

Spannend bleibt natürlich auch das Thema Avalon. Es gibt genügend Gerüchte und Pläne, es bleibt aber abzuwarten, ab wann hier wirklich mit einem Veranstaltungsprogramm gerechnet werden darf und wie dieses aussehen wird. Die geplante Neueröffnung ist aber absolut zu befürworten – dafür haben sich auch rund dreißig Kulturvereine aus dem Waldviertel ausgesprochen.


Während früher ein wesentlicher Teil der Sozialisation Jugendlicher im Rahmen traditioneller Jugendarbeit – etwa bei Feuerwehren oder Sportvereinen – erfolgt ist, passiert diese heutzutage vor allem im Freundeskreis. Dort und aus gemeinsamen Interessen heraus entstehen immer wieder eigene Vereine als, wenn man so will, jugendkulturelle Spielwiesen. Wie können Politik und Gesellschaft mit dieser Entwicklung umgehen?

Ich denke, dass diese Thematik in der Politik und Gesellschaft noch nicht so angekommen ist. Die Zeiten haben sich einfach geändert – natürlich haben Feuerwehr und Sportvereine nach wie vor eine große Bedeutung, aber die tatsächliche Sozialisation findet – vor allem im »alternativen Sektor« – außerhalb dieser Strukturen statt. Die Politik müsste darauf reagieren und dahingehend auch Unterstützung für diese neueren Formen der Sozialisation anbieten und ein Bewusstsein dafür bilden, dass dies keine minderen Vereine sind. Für die Gesellschaft und die Zukunft ist letztendlich nur wichtig, dass die Sozialisation stattfindet – wo ist eigentlich egal.

Unter dem Titel »come on!« betreibt das Land Niederösterreich seit 2007 eine österreichweit einzigartige Jugendkulturförderschiene. Nach welchen Kriterien wird dabei vorgegangen? Wie würdest du den Erfolg der Schiene einschätzen?

Diese Förderschiene hat in Niederösterreich und besonders im Waldviertel vieles ermöglicht, das ohne Förderung – auch wenn es sich oft nur um kleinere Beträge handelt – nicht umsetzbar gewesen wäre. Die Rahmenbedingungen sind bewusst sehr offen gewählt, der Einreicher – also die Jugend – entscheidet, was Jugendkultur ist.

Ich bin sehr froh, dass Niederösterreich hier ein Vorreiter ist, und ich kann den Politikern in anderen Bundesländern nur empfehlen, sich dieses einmalige Erfolgsmodell genau anzusehen, damit ähnliche Förderschienen in ganz Österreich geschaffen werden. Letztendlich ist es auch eine Bestätigung, dass Jugendkultur etwas wert und wichtig für die Entwicklung eines Landes ist.

Im Vergleich zur positiven Entwicklung im Konzertbereich ist von einer florierenden Kreativszene bislang weniger zu sehen. Warum?

Die Kreativszene steckt im Jugendkulturbereich noch etwas in den Kinderschuhen. Das mag auch daran liegen, dass Vorbilder fehlen, an denen sich Nachwuchskünstler orientieren könnten. Aber auch hier kommt langsam Bewegung in die Szene.

Lass uns zum Stichwort »Grenzlage« kommen. Welche Rolle spielen länderübergreifende Kulturprojekte, für die es ja auch gut dotierte EU-Förderungen gibt? Wie sieht der Austausch zwischen Österreich und Tschechien konkret aus?

Die in den Medien oft als Nachteil dargestellte geografische Lage entwickelt sich immer mehr zum Vorteil. Vor allem größere Kulturinstitutionen stehen in ständigem Austausch mit den Nachbarn und lukrieren dabei natürlich auch Fördergelder, um gemeinsame Projekte umzusetzen. Bei der Jugendkultur gibt es hier Aufholbedarf, wobei auch neue Formen geschaffen werden müssten – eine Zusammenarbeit bei einer einzelnen Veranstaltung wirkt natürlich nur aufgesetzt.

Ein Vorreiter war hier aber auf jeden Fall der Kulturverein lepschi, der sich mittlerweile leider aus dem aktiven Vereinsleben zurückgezogen hat. Hier stand tatsächlich der Austausch zwischen österreichischen und tschechischen Jugendlichen im Mittelpunkt – und das hat letztendlich auch sehr gut funktioniert.

Hat das Waldviertel insgesamt mit speziellen Problemen oder Besonderheiten zu kämpfen oder ist die Situation mit jener anderer strukturschwacher Gegenden des ländlichen Raums vergleichbar?

Ich denke, dass das Waldviertel mit anderen strukturschwachen Gegenden, die mit Abwanderung und/oder Schrumpfung kämpfen, vergleichbar ist. Gleichzeitig hat es aber auch den Vorteil, dass es eine Grenzregion ist – es können sich hier in Zukunft Möglichkeiten ergeben, die andere Regionen nicht haben. Dafür ist aber noch viel zu tun, natürlich auch seitens der Politik, um die Zusammenarbeit – etwa im touristischen oder eben im kulturellen Bereich – zu verstärken.

Welche Strategien gibt es seitens der Politik, um die strukturellen Nachteile der Region auszugleichen?

Die Politik versucht – und das ist der richtige Weg –, das Bild des verträumten Waldviertels etwas zurückzudrängen. Auch mit der Forderung nach einem hochrangigen Straßenausbau ins Waldviertel ist ein erster Schritt getan. Die Politik setzt letztendlich natürlich viel Hoffnung in den Tourismus, aber auch in die Kultur. Es soll gezeigt werden, dass es möglich ist, hier zu arbeiten, zu leben – und das mit einem sehr hohen Standard.

Aber klar: Für eine nachhaltig positive Entwicklung müssen alle an einem gemeinsamen Strang ziehen – auch um zu verhindern, dass Infrastrukturgelder wieder überall anders als im Waldviertel eingesetzt werden.

Christoph Mayer (27) lebt und arbeitet im Waldviertel und ist, wie er sagt, »mit dem Avalon aufgewachsen«. Er ist Geschäftsführer der Kultur- und Bildungsinstitution Waldviertel Akademie sowie ehrenamtlich in zwei Jugendkulturvereinen tätig.

Niederösterreich ist Schwerpunktthema in der Feberausgabe von The Gap, mit Clubkultur (Warehouse, Jazzkeller Krems, Sub, Redbox Mödling etc.), einem Wortwechsel zu schwarzer Kulturpolitik, zwei Texten zu St. Pölten, Filmpolitik und dem Leitartikel von Thomas Weber.

Bild(er) © (1, 2) aL!VE – Allentsteiger Lichtspiel Verein, (3) Christoph Mayer — Das Avalon gilt als wesentlicher historischer Faktor für das jugendkulturelle Angebot im Waldviertel. Das alte Kino wird zur Zeit revitalisiert und soll unter dem Namen Lichtspiel Allentsteig als Kulturzentrum wiedereröffnet werden.
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