Regisseur und Drehbuchautor Greg Zglinski bezeichnet seinen neuen Film »Tiere« als magisches Drama. Mit uns hat er über den Zwischenraum von Realität und Traum, den Dreh mit Tieren und über Liebe als Voraussetzung für Verständigung und Verständnis gesprochen.
»Gehst du fremd?«, fragt sich Anna (Birgit Minichmayr) selbst am Anfang von »Tiere«, dem neuen Film des Regisseurs und Drehbuchautors Greg Zglinski. Die Frage ist natürlich an ihren Partner Nick (Philipp Hochmair) gerichtet. Die Beziehung der Autorin und des Kochs steckt in der Krise, eine Auszeit in der Schweiz soll die beiden zueinander führen und zusätzlich kreative Ergüsse (er will vergessene Schweizer Gerichte sammeln, sie ihren ersten Roman für Erwachsene schreiben) bringen. Die schicke Wiener Stadtwohnung lassen sie in Mischas (Mona Petri) Obhut, wobei Anna in ihr Andrea (Mona Petri), die Nachbarin aus dem 3. Stock, und später eine Eisverkäuferin (Mona Petri) zu erkennen glaubt. Ein Zusammenstoß mit einem Schaf lässt Anna und Nick nach und nach an ihren Wirklichkeiten zweifeln.
Die ursprüngliche Idee zu »Tiere« stammt von Jörg Kalt. Sie meinten, dass Sie der Stoff nicht losgelassen hat. Was genau hat Sie an dieser Geschichte fasziniert?
Die originelle Form. Ich hatte das Gefühl, dass diese Geschichte ein Geheimnis berührt, durch das wir wie durch einen Vorhang in eine Welt hineinsehen, die größer ist, als die, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können. Mir war die Geschichte von Anfang an vertraut. Ich hatte das Gefühl, dass ich sie verstehe; vielleicht nicht aus einer Logik heraus, aber von ihrer Metaphysik.
Und wie sind Sie bei der Umsetzung vorgegangen?
Es lag mir sehr viel daran, die Form und Jörgs Humor beizubehalten. Ich habe an den Figuren gearbeitet, ich habe sie psychologisiert und die Konflikte ein bisschen schärfer gezeichnet, sie aber zugleich auch vereinfacht. Ich hatte das Gefühl, dass die ursprüngliche Version noch einen Schritt zu weit führte, also musste ich die Komplexität reduzieren. Aber so Jörgs Art. Er dachte sehr komplex und er nahm die Welt sehr komplex wahr – ein Umstand, der sich auch in seinen Filmen zeigt.
Da Sie gerade meinten, sie wollten den Film psychologischer gestalten: Wie haben Sie diesbezüglich recherchiert?
Psychologie-Bücher habe ich keine gelesen, obwohl ich mich sehr für Psychologie interessiere, meine zwei vorherigen Filme waren psychologische Dramen. Meine Mutter ist Psychiaterin und sie ist meine primäre Beraterin in diesem Bereich.
Was hat Ihre Mutter zu »Tiere« gesagt?
Sie hat den Film schon gesehen und auch eine Diagnose gestellt: Für sie war es sehr eindeutig, dass die beiden Protagonisten nicht miteinander kommunizieren können und zu spät merken, dass sie einander geliebt haben. Sie haben einander zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Sie haben auch das erste Mal auf Deutsch Regie geführt und ich habe gelesen, dass Sie die meisten der Darsteller recht schnell gefunden haben. Gab es sonst Herausforderungen für Sie?
Der ganze Dreh war eine Herausforderung (lacht). Die größte Schwierigkeit bestand für mich darin, dass ich darauf vertrauen musste, dass alles funktioniert. Für mich war der Ansatz bei »Tiere« ein ganz neuer. Es war eben keine Geschichte, die man total nachvollziehen kann.
War es für die SchauspielerInnen schwierig, sich in ihre Rollen hineinzuversetzen?
Wir alle haben uns sehr auf das Hier und Jetzt konzentriert, und das ist auch die Art, wie man den Film ansehen sollte: Nicht zu viel nachdenken, sondern sich auf die Geschichte und die Figuren einlassen.
Der Film erinnert an vielen Stellen an einen Traum, etwa durch die verschiedenen Perspektiven und Zeitebenen. War es in der Produktion manchmal schwierig, den Film so zu schreiben, zu drehen und zu schneiden, damit es nicht zu verwirrend für das Publikum wird?
Ja, das war vor allem beim Schnitt der Fall. Beim Drehen hatten wir unser Konzept, dem wir folgten, da gab es keinen Spielraum. Aber beim Schneiden mussten wir nochmals vereinfachen. Es gab Szenen, die im Drehbuch für mich klar waren, aber beim Anschauen stellte es sich heraus, dass sie doch nicht so eindeutig waren. Da mussten wir dann so ansetzen, dass die Intentionen deutlich werden, damit das Publikum dranbleibt und weiß, was in den Figuren emotional vorgeht.
Der Film bietet Spielraum zur Interpretation, es wird nicht alles genau erklärt. Warum? Bieten andere Filme zu viele Erklärungen an oder etwa auch Trailer, die oft schon viel verraten?
Ja, das ist blöd (lacht). Es ist nicht einfach, einen guten Trailer zu produzieren, der nicht schon alles erzählt. Trailer werden auch immer von eigenen Firmen gemacht, das müssen andere Leute machen. Dass allgemein Filme zu viele Erklärungen bieten, finde ich nicht, da alle Filme ja verschieden sind. »Tiere« würde ich ja als magisches Drama bezeichnen. Genau diese Magie darf man gar nicht zu viel erklären.
In einer internationalen Rezension zum Film wurden unter anderem Vergleiche zu David Lynch oder Alfred Hitchcock gezogen. Hatten Sie beim Entstehungsprozess des Films irgendwelche Vorbilder im Kopf?
Das habe ich ebenso gelesen (lacht). Aber nein, ich hatte keine Vorbilder. Ich mag es nicht, wenn das Publikum allzu die Vorbilder der Künstler erkennen kann. Bei der Produktion des Films habe ich also gar nicht an Vorbilder gedacht, erst bei einer Schnittfassung hat mich jemand auf eventuelle Referenzen hingewiesen. Aber natürlich wird man beeinflusst. Ich habe die Filme von David Lynch oder Alfred Hitchcock gesehen und natürlich hatten etwa diese beiden einen Einfluss auf mich. Alles, was man zum Beispiel sieht, speichert sich im Unterbewusstsein ab und kommt irgendwann einmal zum Vorschein. So funktioniert Inspiration.
In vielen Szenen des Films kommen Tiere auf unterschiedliche Art und Weise vor und diese können quasi als Botschafter verstanden werden, da verschiedenen Tieren ja auch verschiedene Bedeutungen zugeschrieben werden. Wie hat es sich schließlich gestaltet, diese Tiere im Film zu inkludieren?
Mit Tieren und Kindern zu drehen, das ist immer schwer. Ich habe zuvor einen Film mit jungen Kindern gedreht und auch dieser Dreh war diesbezüglich nicht so einfach, vor allem die Szenen, in der Anna mit der Katze spricht. Alle Tiere in dem Film wurden natürlich trainiert. Bis auf die Schafe, die waren sozusagen Laiendarsteller. Die Tiere dazu zu bringen, dass sie zehn Sekunden irgendwohin schauen, das hat jedes Mal eine Stunde Drehzeit gebraucht. Natürlich hatten wir Tiertrainer am Set und mit denen haben wir uns auch darüber abgesprochen, was überhaupt möglich ist, da sie die Tiere am besten kennen.
Waren bestimmte Szenen mit den Tieren nicht möglich?
Bei den Schafen haben wir anfangs nicht daran gedacht, dass sie in einer Herde sind. Als wir dann für die eine Szene nur ein Schaf benötigt haben und dieses von den anderen separieren mussten, wollte es natürlich zurück zur Herde. Da mussten wir bei jedem Take 20 Minuten abwarten und das Schaf halten und warten, bis es sich beruhigt hatte.
Die SchauspielerInnen hatten aber keine Probleme beim Drehen mit den Tieren, oder?
Es war natürlich eine Herausforderung für sie, vor allem bei den Szenen mit Anna und der Katze, die beiden haben wir nicht gemeinsam aufgenommen, sondern Birgit Minichmayr hat mit einer kleinen Puppe gedreht. Ein Waschbar war das, glaube ich. Der hatte ungefähr die gleiche Höhe wie die Katze.
Die Katze spricht mit Anna ja auch auf Französisch.
Genau. Obwohl ich bei der Vorbereitung kurz daran dachte, den Film nicht in der französischen Schweiz, sondern in Tessin spielen zu lassen, und dort wird ja Italienisch gesprochen. Aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass die Katze Italienisch spricht, das wäre zwar komisch gewesen, aber nicht in der Art komisch, in der ich es wollte. Das wäre nicht gruselig-komisch gewesen, sondern nur komisch.
Zentral für den Film ist natürlich die Beziehung von Anna und Nick und deren Suche nach Verständnis und Verständigung, nach einer gemeinsamen Wirklichkeit. Inwiefern kann Ihrer Meinung nach Verständigung und Verständnis funktionieren?
Im Film wird eine Welt auf sehr subjektive Weise erzählt. Sowohl Anna als auch Nick haben ihre eigenen Wirklichkeiten, sie sind nicht unbedingt auf einer Ebene und reden aneinander vorbei. Das kennt jeder aus dem eigenen Leben. Es gibt im Film nur einen Moment, in dem die beiden auf der gleichen Ebene sind, und zwar in der Szene, in der sie sich lieben. Ich denke, die Liebe ist der gemeinsame Nenner. Dort, wo Liebe ist, dort ist auch Verständigung und Verständnis. Da ist überall so: Familie, Freundschaften, ich würde sogar sagen, in der Politik ist es ebenso: Wenn jemand Liebe in seine Handlungen und Intentionen legt, dann findet er oder sie auch Verständigung und Verständnis.
Sie haben in Ihrem Leben viel Zeit in der Schweiz und in Polen verbracht. Wie gestaltet sich die dortige Filmszene? Gibt es eventuell Unterschiede in den Stoffen, die gefragt sind, oder ähnliches?
Polen hat eine reiche Filmtradition. In den 1990er Jahren gab es einen Einschnitt, aber seither findet eine kontinuierliche Professionalisierung statt. In Polen, so habe ich das Gefühl, sind die Filmstoffe sehr reichhaltig, die Filme sehr unterschiedlich. Aktuell ist das polnische Kino sehr interessant – vom Sozialdrama bis zu Science-Fiction werden nahezu alle Genres abgedeckt. Die Schweiz ist ein kleines Land, unterteilt in verschiedene sprachlichen Regionen, die auch andere Mentalitäten haben. Hier ist die Filmbranche etwas schwieriger einzuschätzen. Die Filmemacher und -macherinnen kämpfen auch darum, den Film zu professionalisieren und in die Welt zu bringen, aber sie haben es ein bisschen schwerer.
Wie gefällt Ihnen die Filmszene Österreichs?
Ich habe hier gedreht und ich habe hier wunderbare Leute kennengelernt, meine Crew war wirklich fantastisch. Ich war auch bei zwei Filmpremieren und einer Filmparty und mein Eindruck war, dass es in Österreich die schönste Filmcommunity gibt, die ich bisher erlebt habe. Es gibt so viel Herzlichkeit zwischen den Menschen, es gibt keinen starken Konkurrenzkampf – ganz im Gegenteil. Alle sind daran interessiert, was die anderen machen. Wir hatten Probescreenings, zu denen wir FilmemacherInnen eingeladen hatten, die sehr gerne kamen und Feedback gaben. Sie haben sich auch dafür bedankt, dass sie kommen durften. Das hat mir sehr geholfen, ich war sehr beeindruckt. Ich möchte wiederkommen.
Welche Themen interessieren Sie als Filmemacher noch?
Mich interessiert dieser Raum zwischen Wirklichkeit und Traum, also zwischen der Ebene, die wir als Realität empfinden, und der Ebene, die uns quasi entgleitet. Es interessiert mich sehr, was hier geschieht, und überhaupt interessieren mich die großen Fragen: Wer sind wir? Was machen wir hier? Ich denke, in diesen Zwischenräumen lassen sich die Antworten darauf finden.
»Tiere« ist ab 17. November 2017 in den österreichischen Kinos zu sehen.