Liebesdinge und Mitsing-Sachen

Wenn uns das Kapital im 21. Jahrhundert enttäuscht hat und der Seele nicht mehr richtig Treibstoff liefert, besinnen wir uns auf das, was uns niemand nehmen kann, keine Bank und kein Staat – unsere Liebe.

Wie schwierig ist das erreichen, du hörst die Songs immer und immer wieder, du musst sie ausarbeiten, wie kann man so ein spezielles Gefühl einfangen?

Das war auch so etwas … Weil ich Musik machen wollte, die andere Menschen erreichen sollte und nicht nur mich, war das der Fokus. Ich musste mich selbst daran erinnern, wie sich etwas für andere anhört, beim ersten Mal oder beim zehnten oder hundertsten Mal. Ich wollte nicht nur meine Perspektive zeigen. Du hast Recht, man wird in diesen Modus eingeschlossen und fragt sich, was da jetzt gerade für mich drinsteckt. Das kann dazu führen, dass man Dinge zu lange bearbeitet und überall herumflickt, bis zu einem Punkt, an dem man die Kernidee verloren hat. Also habe ich ganz bewusst darüber nachgedacht, wie es andere hören. Und ich habe es auch einigen Leuten vorgespielt und von ihnen Feedback bekommen.

Es gibt da diese Geschichte über Radiohead, die lange dachten, dass aus »Paranoid Android« niemals ein kompletter Song entsteht. Hattest du ähnliche Momente?

Definitiv. Es war so mit »Found Out« auf »Swim« und »Back Home« auf diesem Album passiert. Ich hatte den Refrain sehr früh, aber weder das Ende noch den Anfang. Ich habe so viele komplizierte Versionen, Umkehrungen, verschiedene Tonarten probiert. Das, was letztendlich funktionierte, war wirklich simpel. Der Refrain ist nur ein Vorspiel zum Refrain. Wenn ich zurückschaue, denke ich, Mann, ich hatte die Perspektive verloren und war damals zu nah, um zu sehen, was nötig war.

Haben auch neue Lebenserfahrungen (eigntlich gemeint: live experiences) deinen Fokus für dieses Album verändert?

Ja, wirklich sehr. Es waren vier wundervolle Jahre, die Tour mit Radiohead, unsere eigene Tour, immer größere Festivals, der Umstand, dass meine Tochter mich nicht nur meiner Beziehung, sondern auch meiner Familie und meinen Freunden nähergebracht hat – das hat den Rhythmus meines Lebens verändert. Davor hatte ich dauernd nur gearbeitet, die ganze Zeit. Ich war viele Tage 18 Stunden lang im Studio. Jetzt muss ich damit aufhören, ich muss andere Leute berücksichtigen. Das bedeutet, ich wechsle zwischen zwei Welten. Ich glaube, das ist der Grund, warum das Album persönlicher ist. Auch wenn ich aufnehme, habe ich das Gefühl, dass andere Menschen um mich sind.

In den vergangenen Jahren hat es ja gewirkt, als wärt ihr ununterbrochen auf Tour …

(Lachen) Ja, aber wir sind schon seit Jahren auf Tour. Seit »Andorra« und auch schon davor spielten wir cirka 200 Shows nach jedem Album. Ich war mit dem Gefühl vertraut, aber die Live-Shows waren das, wo ich merkte, dass etwas passiert ist. Wir wurden ins »Space« auf Ibiza und immer größere Bühnen gebucht. Ich habe niemals Songs geschrieben, die Leute wirklich leicht mitsingen können und die auf »Swim« sind auch gar nicht leicht mitzusingen – aber genau das passierte. Meine Musik wurde von Menschen in ihre Leben absorbiert. Die Reaktionen waren plötzlich anders, und das habe ich live bemerkt. Für mich war das ein Weckruf, es war großartig.

Manchmal wissen Musiker nicht so richtig, wie sie mit Erfolg umgehen sollen, wenn sie etwa die Leute Songs mitsingen sehen, die für sie sehr persönlich sind. Du scheinst das aber zu mögen?

Ja, eigentlich mag ich alle möglichen Arten, wie die Leute reagieren. Viele haben »Odessa« zuerst auf einem Game-Soundtrack gehört. Fifa Soccer, ich weiss nicht einmal das Jahr. Früher war meine erste Reaktion eher, warum ist das da drauf, das hat nichts mit mir zu tun, ich muss das kontrollieren, ich kann Leute nicht unautorisierte Remixes auf Youtube stellen lassen. In der Hinsicht bin ich aber zuversichtlicher geworden und kann Spaß daran haben. Dass es auf eine Art nicht mehr meine Musik ist, sobald sie veröffentlicht ist, gefällt mir. Andere Menschen können ihr eigene Bedeutung hinzufügen. Das ist wunderbar. Es führt nicht von meinen ursprünglichen Intentionen weg, sondern verändert den Kontext drumherum.

Wenn wir dabei sind: Bist du auf diejenigen wütend, die dein Album geleakt haben?

Ähm … wann kommt das Interview denn raus?

(Lachen) Sehr nah zum Release.

Also brauche ich mir keine … also, ich will dem Umstand, dass es geleakt ist, nicht Monate vor dem Release noch mehr Öffentlichkeit geben. Wütend bin ich aber definitiv nicht. Es ist bisher mit jedem meiner Alben passiert. Ich bin eher überrascht, denn es war eine sehr ausgewählte Gruppe Journalisten, die das Album hatte, und ich wundere mich schon, wer das gewesen sein könnte.

Für mich wäre es einfach toll, wenn es alle Leute gleichzeitig zum allerersten Mal hören könnten und man diese Aufregung spürt. Aber das Wichtigste – und auch der ganze Punkt am Album – ist, dass ich mich nicht darüber beschweren kann, wenn Leute meine Musik hören wollen, sie mögen und sie unbedingt bekommen wollen. Viele sagen, Dan, ich liebe das Album, ich habe es runtergeladen, es tut mir leid, ich werde das Vinyl kaufen oder zu deiner Show kommen. Wie sollte ich darüber verärgert sein?

Bekommst du noch immer viele Fragen zu EDM?

Nur von amerikanischen Journalisten.

Du hast das ja einmal als »Fart-Fest« oder so ähnlich bezeichnet.

»Barfsploision« war das. Ja, ich hätte mir wohl denken können, dass das aufgegriffen wird. Es ist nicht so, dass ich ein Problem mit dieser Musik hätte. Sie erfüllt eine sehr wertvolle Funktion in der Gesellschaft, sie erlaubt es, jungen Leuten rauszugehen, Drogen zu nehmen, sich ihren Eltern zu widersetzen und das mitten in einem Massen-Jugendkultur-Moment zu erleben, das ist großartig. Musik sollte das machen, EDM erlaubt das, riesiger Aufbau, riesige Drops, das ist perfekt, ich habe gar keine Probleme mit der Musik.

Was ich damals unterstreichen wollte, ist der Kontext, der zu meiner »Daphni«-Platte passte und nichts mit dieser ganz anderen Welt zu tun hatte. Ich will in kleine Clubs ohne Licht, wo Theo Parrish, Moodyman, Floating Points oder Motor City Drum Ensemble läuft, facettenreiche, interessante Musik, die dich mehr auf eine Reise mitnimmt, dich überrascht und nicht konstant auf Maximum gedreht ist. Das wollte ich herausstreichen.

Meine letzte Frage ist etwas albern, ich werde sie aber trotzdem stellen: Bist du froh, dass Birkenstocks wieder cool sind?

(Lachen) Mir wurde das gesagt. Ich bin so draußen, dass ich das nicht weiß. Als ich aufgewachsen bin, war meine Familie oft auf Mathe-Konferenzen, das war der einzige Ort, an dem du in den 80ern und 90ern erwachsene Menschen sehen konntest, die Birkenstock-Sandalen und Socken tragen. Also finde ich zu einem gewissen Grad, dass es eben mein Geburtsrecht ist, Birkenstocks und Socken zu tragen. Wegen meiner Mathematik-Vergangenheit. Als Kind war davon total abgestoßen. Ich habe mir das auf eine Art zurück erkämpft, vermute ich. Ich bin nicht glücklich oder unglücklich, dass sie wieder cool sind. Ich bin froh, dass sie bequem sind und ich werde auch nicht aufhören sie zu tragen, wenn sie wieder aus der Mode sind.

»Our Love« von Caribou erscheint am 7. Oktober via Merge. Caribou spielt am 18.10. mit Jessy Lanza, London Grammar und Omar Souleyman beim Electronic Beats in der Halle E in Wien. Ist ausverkauft, wir werden aber dazu via Facebook noch 2×2 Tickets verlosen.

Bild(er) © Jason Evans, Thomas Neukum, Thomas Neukum
Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...